ZDE Podcast 177 mit Theresa Schleicher: Nachhaltigkeit und Handel – geht das auch in optimistisch?
Top-Handelsexpertin Theresa Schleicher stellt ihre neueste Studie vor. Es geht um regeneratives Wachstum. Was ist das genau? Wie bekommen wir endlich Tempo in die Kreislaufwirtschaft? Im Talk mit Marilyn Repp geht es auch um die Themen Zurückgeben, Verzicht und weniger Konsum.
Welche Händler gehen vorneweg? Apropos Vorneweggehen: wer treibt eigentlich das Thema Nachhaltigkeit – Kundschaft, Unternehmen oder Politik?
Shownotes
Mittelstand-Digital Zentrum Handel
Die Folge zum Nachlesen
Marilyn Repp: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe des Zukunft des Einkaufens-Podcasts. Mein Name ist Marilyn Repp. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit den Themen Innovation, Trends und Digitalisierung im Handel und ich bin nebenbei stellvertretende Geschäftsführerin des Mittelstand-Digital Zentrum Handel. Hier unterstützen wir gerade kleine und mittlere Einzelhändlerinnen und Einzelhändler bei der Digitalisierung und das machen wir kostenlos für euch. Und zwar sind wir da finanziert und gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium und das Ganze wird geleitet beim Handelsverband, wo ich auch unterwegs bin. Ja, diesen Podcast mache ich jetzt auch schon seit dreieinhalb Jahren. Ich interviewe hier die Frauen, die Vordenkerinnen der Handelsbranche und möchte da den Frauen der Branche eine Bühne bieten. Gerade weil das Thema Diversity in den Führungsetagen gerade im Handel noch nicht abgeschlossen ist. Also an der Stelle möchte ich natürlich auch für dieses Thema sensibilisieren. Und ja, ich habe heute zu Gast: Theresa Schleicher. Sie wird uns etwas erzählen zum Thema regeneratives Wachstum und wie wir unsere Wirtschaft in Zukunft umstellen können und sie sagt Folgendes:
Theresa Schleicher: Um tatsächlich nicht nur zu schauen, wie können wir minimal Schaden anrichten, sondern wie können wir tatsächlich auch helfen, dass sich der Planet an der einen oder anderen Stelle auch erholen kann oder wieder aufbauen kann?
Marilyn Repp: Ja, da sind wir gespannt, wie die Antwort darauf lautet. Und hier noch ein kleiner Werbe-Einschnitt: Und zwar könnt ihr mich auch als Speakerin buchen für eure Veranstaltung. Ich spreche über all diese Themen, die ich vorhin genannt hatte: Innovation, Trends, Digitalisierung im Handel. Ich zeige vor allem auch Innovationsprojekte aus der Branche. Beschäftige mich vor allem mit den Themen Metaverse, Künstliche Intelligenz, Web3, Blockchain und Gamification, Erlebnishandel, das sind so meine Themen, aber auch weitere Trends der Branche. Und wenn ihr mich buchen wollt, dann schreibt mir gerne auch bei LinkedIn. Und jetzt wünsche ich euch ganz viel Spaß beim Podcast. Herzlich willkommen, liebe Theresa Schleicher hier in unserem Podcast. Theresa Schleicher, sie ist Handels-Zukunftsforscherin, für viele Handelsunternehmen tätig als Beraterin, sie berät aber auch das Bundeswirtschaftsministerium, sie ist bekannt als Autorin und Speakerin. Autorin vor allem der Retail-Report-Reihe und jetzt hat sie eine eigene Studie rausgebracht: Die Zukunftsstudie Handel, über die wollen wir heute sprechen. Herzlich willkommen, liebe Theresa. Hab ich was vergessen?
Theresa Schleicher: Nein, überhaupt nicht. Ich freu mich hier zu sein, dank dir.
Marilyn Repp: Ja, wir haben ja schon mal einen Podcast aufgenommen, vor ein paar Jahren.
Theresa Schleicher: Oh ja!
Marilyn Repp: Genau, haben wir schon mal gesprochen. Und wir treffen uns auch regelmäßig auf den Branchenveranstaltungen deutschlandweit. Da freue ich mich immer, wenn wir da zusammen on Tour sind und du hast jetzt eine Studie herausgebracht. Vielleicht kannst du ein paar Worte dazu verlieren. Wie kam es dazu und worum geht es?
Theresa Schleicher: Ach gerne. Ein paar Worte? Mal schauen, ob ich das hinbekommen. Aber die Studie liegt mir tatsächlich sehr am Herzen. Also heißt „Zukunftsstudie Handel“ und geht um die Entwicklungen und die Trends des regenerativen Handels, als Weiterentwicklung des nachhaltigen Handels. Und zeigt ein wenig Lösungen und Trends im Jahr 2024 und darüber hinaus. Wie kam es dazu? Speziell im Bereich Nachhaltigkeit, finde ich, gibt es wahnsinnig viele Trends, Themen, etc. Also man versucht irgendwie mit dem Thema Ressourcenknappheit und wie geht es mit der Welt weiter und wie geht es mit dem Konsum und dem Handel weiter, versucht man, neue Lösungen zu finden. Aber vor allem jetzt im letzten Jahr in der Forschung habe ich gemerkt: Man spricht dann doch eher mehr über die Probleme. Also egal mit wem ich spreche, sei es Händler, sei es Politik, sei es Hersteller, sei es Umweltinitiateure, man spricht sehr, sehr, sehr häufig über die Probleme. Und natürlich gibt es da auch ganz viele. Nur, nur über Probleme sprechen führen uns nicht immer unbedingt zur Lösung. Und speziell, wenn man sich so die jüngeren Zielgruppen anschaut, die gehen teilweise auch mit einer gewissen Neugierde und mit einem Pragmatismus und mit einer Lösungsoffenheit in die nächsten Jahre. Ihnen bleibt ja auch nichts anderes übrig und dementsprechend war es mir sehr, sehr, sehr wichtig, in Zeiten von Überforderung teilweise, weil einfach Kunden nicht mehr so kaufen, wie sie kaufen, etwas Positives und vor allem etwas mit extrem viel Substanz, wenn es um Innovation und Lösungen geht, damit auf den Markt zu kommen und das hat einfach Zeit gebraucht. Also ich habe jetzt zwölf Monate geforscht, mit allen möglichen Forschenden und dementsprechend, letzte Woche ging es live und ich freue mich darüber sehr.
Marilyn Repp: Ja, ich habe die Studie auch schon bekommen von dir zur Vorabsicht und ich muss wirklich sagen: Die spricht mir total aus dem Herzen und das hat mich wirklich richtig angesprochen. Vor allem das, was du gesagt hast, es ist ein optimistischer Blick in die Zukunft und ich finde, das fehlt halt so oft, wenn es rund um das Thema ökologische Nachhaltigkeit geht, dann herrscht so schnell so ein Stück weit eine Resignation, eine Aufgabe und man weiß nicht so recht, wo soll man anfangen. Und man hat irgendwie das Gefühl: Mensch, wir fahren hier wirklich alle gemeinsam voll vor die Wand und wissen nicht so recht, wie wir das Ganze verhindern können. Aber die Studie gibt so einen optimistischen Blick in die Zukunft und es hat irgendwie was Angenehmes, anders als das, was man sonst so kennt, wenn man sich mit dem Thema befasst, wo immer die Probleme aufgemacht werden. Also da muss ich dir sagen, das sehe ich ganz genau so und es hat viel Spaß gemacht, das Ganze sich anzugucken. Es sind auch viele tolle Beispiele mit dabei. Das ist mir ja auch immer sehr wichtig, dass da wirklich auch die Praxis zur Sprache kommt. Kannst du vielleicht das ganze Thema „regeneratives Wachstum“ mal ganz kurz umreißen? Was ist denn das überhaupt?
Theresa Schleicher: Ja, gerne. Also regeneratives Wachstum, das ist ja ein Begriff, der in den letzten Jahren immer mal wieder aber eher philosophisch aufgetaucht ist und manche kennen vielleicht die regenerative Landwirtschaft. Und das ist eher daraus entstanden, wenn man das breiter fasst, also im regenerativen Konsum und im regenerativen Handel. Letztendlich geht es darum mit der Problemstellung der, wir haben nur einen Planeten und wir alle verbrauchen Dinge, egal ob es CO2 ist oder ob wir tatsächlich unsere Biodiversität mehr und mehr zerstören und das braucht natürlich ein Planet, also ein Planet hat auch nur eine gewisse Biokapazität. Das heißt, wir müssen schlaue Wege finden, wie wir unseren Planeten und damit unser Leben weiter erhalten. So, das ist jetzt erstmal einfach eine neutrale Aussage und in dem Zusammenhang, es gibt ja schon sehr, sehr lange den Megatrend der Nachhaltigkeit. Das ist auch nichts, was jetzt nur vor zwei Jahren mal entstanden ist, weil dem Menschen langweilig wurde, man gedacht hat: Was ist der neue Trend? Sondern tatsächlich ist ja Nachhaltigkeit per se unsere Existenzgrundlage, also schon immer, eine wichtige Entwicklung gewesen, sie ist nur, weil wir Menschen es jetzt einfach sehr, sehr stark merken, durch Überflutungen und durch Waldbrände und durch viele, viele andere Dinge, merken wir: Jetzt wird die Zeit langsam knapper. Also wird es ein sehr, sehr signifikanter Trend auch in der Wirtschaft und da gibt es unterschiedliche Lösungsansätze. Und am Anfang ist man sehr stark rein auf das Thema Verzicht gegangen und in der nachhaltigen Wirtschaft waren hauptsächlich die Schlagwörter: Wir wollen Ressourcen einsparen, wir müssen effizienter mit Ressourcen umgehen, wir müssen schauen, dass wir alle eben nicht einen so großen Fußabdruck, egal, ob das jetzt Unternehmen sind oder Individualpersonen sind, nicht so einen großen Fußabdruck erzeugen. Und dementsprechend mehr zurückgeben, mehr verzichten. Regionale Produktionen hieß tatsächlich, auf internationale Einflüsse zu verzichten. Und in der Weiterentwicklung der klassischen Definition von der nachhaltigen Wirtschaft kommt die regenerative Wirtschaft. Und das ist etwas, was, du hast es selber gerade gesagt, in der Studie sind Beispiele drin, was durchaus schon von Akteuren verstanden wird und immer mehr vorangetrieben wird. Regenerative Wirtschaft, regenerativer Handel heißt, tatsächlich etwas Positives wieder in die Welt zu tragen. Das heißt, der klassischen Kreislaufwirtschaft von Vorhinein so begegnen, dass wir Materialien einsetzen und nutzen, die dann nach Verbrauch des Produktes wieder etwas Positives in die Welt setzen. Also in Australien gibt es Beautycremes, die, wenn sie dann eben aufgetragen werden, danach wieder abgewaschen werden, dass die Inhaltsstoffe, die dann wieder in die Gewässer kommen, helfen, Ökosysteme im Ozean wieder aufzubauen. Oder Textilien, die tatsächlich CO2 binden und dementsprechend etwas Positives, nicht nur in der Produktion den CO2-Ausstoß, zu unterstützen. Also solche Beispiele sind damit gemeint und die kommen immer mehr in die Breite, um tatsächlich nicht nur zu schauen: Wie können wir minimal Schaden anrichten, sondern wie können wir tatsächlich auch helfen, dass sich der Planet an der einen oder anderen Stelle auch erholen kann oder wieder aufbauen kann?
Marilyn Repp: Ja, das klingt alles total clever, aber ich habe so das Gefühl, wir sind noch total am Anfang von all dem. Also ich meine, der Handel ist ja jetzt nun mal das Ende der Wertschöpfungskette. Ich glaube, die meisten Leute, die jetzt hier zuhören, stellen sich die Frage: Ja aber wo fangen wir denn jetzt an? Und was würdest du sagen, woher kommen denn die Impulse für diese Schritte in dieses neue Wirtschaften? Kommen die ja aus der Wirtschaft von den Unternehmen oder eher von der Kundschaft, die das nachfragt? Oder vielleicht dann doch eher von der regulativen Seite? Also ich glaube, wir bewegen uns alle, ja, aber ich habe das Gefühl, es geht schon sehr langsam. Also wie bekommen wir denn jetzt Tempo rein?
Theresa Schleicher: Also tatsächlich ist es auch eine Frage, die mir in den ganzen Gesprächen, die ich im letzten Jahr führen durfte und dadurch, dass ich ja auch mit vielen Händlern eng arbeite, auch in diesen Gesprächen, kam das sehr, sehr häufig der Fall. Also der Handel ist für mich nicht unbedingt hinten in der Kette, weil für mich ist der Handel tatsächlich der Gatekeeper zwischen: Was passiert in der Gesellschaft und was passiert beim Kunden und was wird gekauft und was wird gewollt, hinzu: Was biete ich eigentlich auf dem Markt an? Also welche Vielfalt, welche Produkte? Wie treibe ich letztendlich Konsum und was stelle ich auch als das Neue, als das Innovative dar? Also da gibt es schon, auch vor allem am Anfang der Kette und das fängt ja damit an mit: Wie agieren wir Menschen? Schon auch eine gewisse Verantwortung von Händler und Händlerinnen, die aber tatsächlich immer mehr wahrgenommen wird und das finde ich sehr, sehr schön. Das heißt, an sich sind wir in einem Gesamtsystem, also egal, ob wir jetzt über die Politik sprechen, über Forschende sprechen, über Händler, Händlerinnen sprechen, über Kunden, über Hersteller sprechen, alle sind in dem System, wie wir es halt über die letzten Jahre und Jahrzehnte gelernt haben und das funktioniert auf klassischen Erfolgsprinzipien, heißt letztendlich: Wachstum im Sinne von Expansion, Umsatz, wer ist der Größere? Wer ist der Schnellere? Bei Kunden und Kundinnen, wir haben uns daran gewöhnt, dass wir sehr schnelllebig Trends folgen, dass wir sehr viel konsumieren und dadurch letztendlich 1,3 Milliarden Lebensmittelabfälle und 5 Tonnen weltweit und 5,8 Millionen Tonnen Textilabfälle allein in der EU erzeugen und das ist eine Zahl, die noch sehr, sehr human bemessen ist. Das heißt, wir sind alle gewohnt, dass wir uns gegenseitig immer nach oben schaukeln und produzieren, produzieren, produzieren und jetzt kommen wir in eine Zeit, in der wir merken: Ah Mist, das greift nicht mehr so richtig. Und zwar jeder Akteur, egal, ob das ein Konsument ist, eine Konsumentin ist, ob das ein Händler, Händlerin ist, ob das die Politik ist, ob das Wissenschaftler sind. Und das ist so ein immenser Umbruch, der halt mal von der Denkweise her getan werden muss, dass alle so ein bisschen warten: Wer ist jetzt derjenige, der hier die Hauptverantwortung übernimmt? Wer ist derjenige, der das Regenschirmchen nimmt und sagt: Komm, wir führen hier mal durch die Stadt. Also das Ding ist, das gibt es halt einfach nicht. Wir alle sind mitten in der Verantwortung. Wir müssen verstehen, wie eigentlich die Erfolgsprinzipien in der Wirtschaft und in dem Konsum der Zukunft sind und was da tatsächlich helfen kann, das ist tatsächlich auch die Politik und das sind bestimmte Regularien, die eingeführt wurden und werden. Was auch alles andere als einfach ist. Ich darf ja im Wirtschaftsministerium teilweise von der Handelsseite mit unterstützen. Es ist manchmal nicht so einfach, die Verbindlichkeit dieser Regularien auch durchzuhalten und durchzusetzen und das hilft aber schon sehr, um eben Geschwindigkeit in den Markt zu bekommen. Woran es hapert und das muss man sehr, sehr kritisch sagen, auch in Richtung Politik ist, dass es so dermaßen bürokratisch immer noch angegangen wird, dass auf Seiten der Händler und Händlerin das Gefühl entsteht, wenn ich eigentlich nachhaltig agieren möchte und es gibt da ganz Viele, die in den letzten Jahren sehr, sehr innovativ geworden sind, auch schon immer waren, aber jetzt eben auf die richtigen Dinge setzen, denen wird es im Moment noch sehr, sehr schwer gemacht, egal, ob wir darüber sprechen, dass sie E-Ladestationen auf dem Parkplatz haben möchten und bis zum halben Jahr warten müssen, bis das in irgendeiner Weise mal funktioniert. Bis hin, wenn wir nur über Net Zero Buildings sprechen, also klimaneutrale Gebäude. Es gibt so so viele Dinge, die einfach extrem schwer sind, nicht nur von der finanziellen Seite, sondern tatsächlich von der bürokratischen Seite, dass ich verstehen kann, dass viele Händler und Händlerinnen sagen: Wofür mache ich das eigentlich genau? Also, da muss schon auch eine extreme intrinsische Motivation da sein, aber vor allem auch im finanzieller Druck da sein. Also: Wenn ich das nicht tue, kaufen zukünftig meine Kunden und Kundinnen das nicht. Und auf dem Weg befinden wir uns. Und so das weitere Glied im System, nämlich die Kunden und Kundinnen, die sind natürlich auch, also wir alle in der Gesellschaft, wir achten schon wesentlich mehr darauf, dass wir nachhaltig konsumieren und dass ist ein Denkverhalten, das speziell in den letzten drei Jahren eine Geschwindigkeit zugenommen hat, also, da sind wir schon sehr, sehr schnell unterwegs. Das Problem ist, dass manche Dinge, wenn wir eine gesamte Veränderung in Gesellschaftsverhalten haben, das von der Denkweise hin zum wirklichen Tunen und Agieren, dass das manchmal dauert.
Marilyn Repp: Ich wollte gerade die Attitude-Behaviour-Gap, nennt man das ja, ansprechen. Gibt’s die noch? Die war ja vor ein paar Jahren ziemlich präsent. Also, das bedeutet, dass die Menschen zwar sagen: Ja, ja, ja, wenn man sie fragt. Ich möchte auf jeden Fall nachhaltiger konsumieren und ich verlange das auch von den Unternehmen, ja, das ist meine Forderung. Aber am Ende des Tages kaufen sie dann doch fast-Fashion, ultra-fast-Fashion, laden sich chinesische Billig-Apps runter, ja, und kaufen, sag ich mal, die Billigprodukte direkt aus China oder kaufen immer mehr Produkte. Ändert sich da schon was?
Theresa Schleicher: Ja, da ändert sich schon viel, muss man sagen. Also, es wird immer gerne auf SheIn und Co gezeigt, genauso wie man, als Primark hier in den deutschen Markt gekommen ist, darauf gezeigt hat und darüber wird auch heute noch gesprochen, aber jeder Trend erzeugt ja einen Gegentrend. Das heißt, es gibt immer diese Hypes, die, wenn man sich’s dann mal anschaut, ich war jetzt bei SheIn als die ihren Pop-Up-Store hier in Berlin aufgemacht haben. Lustigerweise genau gegenüber vom KDW, das fand ich sehr bezeichnend. Und da sind Menschen drin, die das kaufen, die sich auch anstellen an einer langen Schlange, die tendenziell aber alle 16, 17, 18 sind und die jetzt auch nicht den großen Warenkorb, ist bei den Preisen eh schwierig, erzeugen, sondern halt einfach diesem Trend und diesem Hype folgen. Weil wir einfach eine sehr große Entwicklung auf der anderen Seite haben und das ist eben genau dieser Zug zu nachhaltigen, guten Produkten. Und was im Moment noch das Problem ist, und das zeigen genau solche Spitzen, ist, dass viele Unternehmen und Händlerinnen und Händler das Thema Nachhaltigkeit viel zu ernst nehmen. Und ich glaube, wenn man diesen Satz mal ohne Kontext irgendwann mal nimmt und mich zitiert, dann kriege ich da richtig Ärger, aber was ich damit meine, ist: Natürlich ist Nachhaltigkeit eines der ernsten, ernstesten Themen, aber man darf es nicht ernst nehmen und formulieren. Wenn wir mal immer nur auf das gute Gewissen gehen, wenn wir bei Produkten schauen, dass sie möglichst nachhaltig sind, aber sonst keine Attribute mit hinzunehmen, sei es Zeitgeist, sei es Modernität, sei es Internationalität, auch wenn es vielleicht regional produziert ist, sei es einfach Freude, Spaß, also all diese Themen, die ja nicht abgenommen haben, egal ob wir über Textil sprechen, über tolle Geschmäcker im LEH, über richtig tolle Dekoprodukte im Do-it-yourself-Bereich, das brauchen wir Menschen ja weiterhin, vor allem jetzt noch mehr in Zeiten der Multiplen-Krisen. Und sehr, sehr viele, und das merkt man einfach in der Wirtschaft und im Konsum, versuchen jetzt gerade mal diesen Trend der Nachhaltigkeit zu verdauen und alles richtig zu machen, was keiner kann, denn das nachhaltigste Produkt ist das, was nicht existiert. Das heißt, keiner von uns ist 100 Prozent nachhaltig. Und dadurch werden wir so wahnsinnig rational, vor allem in Deutschland. Und genau deshalb gibt es sehr viele Insolvenzen. Und genau deshalb schaffen es tatsächlich auch diese Unternehmen, die halt sagen: Ey ich will einfach nur etwas sehr, sehr modernes und ein bisschen Spaß und Vielfalt in diese Welt bringen und Leute, ihr könnt es euch auch noch leisten. Dann kommen halt genau diese SheIns und Primarks da rein, die auf sowas setzen und die dann auch einen Raum finden, weil wir noch nicht in den Bereich gekommen sind.
Marilyn Repp: Ja, das ist ja spannend. Also, dass du jetzt dieses Spaß-Thema ansprichst, das ist ja gerade so ein bisschen mein Steckenpferd-Thema. Ich bin ja auch total überzeugt von den ganzen Thema Erlebnishandel und Gamification. Und auch der Frank, mein Kollege, sagt regelmäßig: Die Handelsunternehmen müssen aufhören, ständig ihre Produkte in den Mittelpunkt zu stellen, sondern vielleicht auch mal rechts und links zu gucken. Was könnten denn vielleicht auch zukünftige Geschäftsmodelle sein? Die können ja dann auch irgendwann mal abweichen vom Thema: ich kaufe ein Produkt und verkaufe es wieder. Sondern Services, Events, Gastronomie und so weiter und so fort. Also irgendwie auch mal offen sein für neue Geschäftsmodelle. Und da sind wir gerade auch schon bei meiner nächsten Frage, nämlich: Müssen wir in Zukunft auch weniger verkaufen? Weil das wird, glaube ich, schon sehr schwierig zu vermitteln. Weil wir sind die letzten Jahrzehnte, Jahrhunderte getrimmt: Mehr, mehr, mehr. Müssen wir jetzt weniger in den Kopf bekommen?
Theresa Schleicher: Wir müssen einfach ein wenig mehr Fokus entwickeln an vielen Stellen. Also es gibt Gründe, weshalb das nächste Zeitalter und so beschreibe ich das auch in der Evolution, dass das nächste Zeitalter „Ökonomie der Reife“ heißt. Also wir haben viel ausprobiert, viel getestet. Es waren auch genug Ressourcen da. Es sind teilweise auch noch genug Ressourcen da. Wir müssen das nicht schwärzer machen, als es ist. Im Moment sind noch genug da, aber es wird weniger und wir müssen dementsprechend uns mehr fokussieren. Und deshalb kommen wir in die Ökonomie der Reife, in dem wir genau überlegen: Was macht eigentlich Sinn für uns als Unternehmen, für den Planeten und für unsere Kunden und Kundinnen? Und da kann es auch manchmal ganz heilsam sein zu hören, dass vielleicht die Lösungen schon im Unternehmen da sind, sie nur unter einem Wust an anderen Themen untergehen. Und das sind dann so die klassischen Vertreter der Mitte, jetzt auch im Textilhandel, die über die letzten Jahre sehr straucheln mussten und teilweise jetzt ja auch aufgeben mussten. Wenn man versucht, jedem Trend zu folgen, das aber alles nur halbherzig macht und sich nicht auf bestimmte Dinge fokussiert und die anderen Dinge vielleicht auch abschneidet, dann geht man irgendwann in der Masse unter. Und ja, es wird in Zukunft weniger konsumiert und gekauft. Also wenn man den Kundinnen folgt, ich habe Anfang des Jahres eine Erhebung gemacht mit 2.000 Kundinnen in Deutschland und in Österreich, hab sie mal ein wenig in die Zukunftsentwicklungen geführt und sie dann wirklich frei gefragt: Was ist das? Und da war alles mit dabei, mit Konsum von nachhaltigen Produkten, Bioprodukten, alles Mögliche. Was ist das, was sie als das Zukunftsfähigste für den Handel empfinden? Und die erste Antwort war: Weniger. Weniger Flächen, weniger Händler, weniger Produkte.
Marilyn Repp: Ja, interessant.
Theresa Schleicher: Das ist schon, ja, das ist super interessant und auch nicht verwunderlich, wenn wir mal darüber nachdenken, weil wir einfach extrem viele Abfälle haben, also die Zahlen habe ich ja gerade schon genannt. Und weil wir einfach in einem Regal nicht unbedingt die sechste Kirschmarmelade mit Schokoladenstreusel von unterschiedlichen Herstellenden brauchen, wenn wir merken: Es wird einfach knapp mit den Ressourcen. Und daher ist Fokus, um zu schauen, wenn ich als Händler und Händlerin in Zukunft erfolgreich sein möchte, worauf konzentriere ich mich? Und zwar auch so, dass ich meine Margen weiterhin, also, dass die Wertschöpfung stimmt, weil nicht immer vorn heraus der Umsatz des Einzige was zählt, sondern auch, wie viel Gewinn kann ich aus den Sachen machen, um eben auch ein gesundes Unternehmen zu haben und was reicht auch? Also, warum muss man denn immer noch mehr wachsen? Sondern was reicht auch wirklich? Diese Fragen kommen auf und da ist eine Lösung zu sagen: Ich konzentriere mich auf gute, langlebige Produkte, die ich zu einem fairen Preis anbiete. Ich schau aber auch, was weitere Geschäftsmodelle sein können, die aber nicht nur zum Spaß da sind, um Menschen in den Laden zu bringen, sondern die tatsächlich auch eine gewisse Wertschöpfung und einen Gewinn haben können. Da sind wir bei Services wie Subscription Models, Repair Modelle neudenken. Also, das kommt alles, aber mit einem wesentlich wirtschaftlicheren Fokus auf den Themen.
Marilyn Repp: Ja, wie würdest du denn das ganze Thema Technologie und Digitalisierung hier einordnen? Das ist ja unser Thema hier im Podcast. Das kann doch wirklich hier auch den Weg in die Zukunft weisen und ja, die Dinge effizienter machen.
Theresa Schleicher: Definitiv. Also, das ist ja auch etwas, speziell wenn wir über künstliche Intelligenz sprechen, ist es was, was in dem letzten Jahr auch natürlich oder eineinhalb Jahren auch natürlich durch Chat GPT sehr präsent wurde, sowohl gesellschaftlich wie auf der wirtschaftlichen Seite, aber auch da sind letztendlich die Parameter Fokus und Wirtschaftlichkeit und Effekt. Und es gibt wirklich extrem gute Hebel im Bereich der Technologie. Also, wenn wir in die analytische künstliche Intelligenz schauen, da durfte ich mit tollen Forschenden im letzten Jahr zusammenarbeiten, die sich speziell mit Green AI und Green IT auseinandergesetzt haben. Also, wie können wir künstliche Intelligenz zum einen energieeffizienter und nachhaltiger gestalten? Und wie kann künstliche Intelligenz auch genutzt werden, um letztendlich die Ziele, also die SDGs, zu erfüllen für unsere Welt? Und was eben toll ist an Technologie ist, dass Technologie mehr und mehr zwingt, offener zu sein. Also, wenn wir Technologie offen gestalten, sei es allein jetzt bei einer Blockchain, eine offene Blockchain gestalten oder auch künstliche Intelligenz demokratisieren, sodass eigentlich alle Handelsakteure immer wieder Dinge weiterentwickeln können, aber nicht von vorne hinein selbst alles entwickeln, dann sind wir Erstens wesentlich klimaneutrale oder energieeffizienter und zum Zweiten können wir gemeinsam viel, viel mehr erreichen. Und dann gelingt es uns auch mit Technologien wie künstliche Intelligenz und auch mit Blockchain, beispielsweise im Zero Waste Bereich, also in der Vermeidung von Abfällen, eine wesentlich größere Quote zu schaffen, als wir es heute haben. Wir haben in manchen Handelsbranchen, wenn man sich das Thema Recycling anschaut, teilweise nur ein bis neun Prozent an Dingen, die wirklich recycelbar sind oder recycelt wurden oder wieder in den Kreislauf zurückgeführt wurden. Und wenn wir Technologien offen gestalte, mit vielen Wirtschaftsakteuren und mit Technologieexperten nutzen, dann schaffen wir es teilweise, laut Aussagen auch von wirklich tollen Forschenden und auch vom WWF und Greenpeace, schaffen wir es teilweise, Zero Waste Ansätze zu entwickeln, die bis zu 80-90 Prozent wirklich der Abfälle vermeiden und wieder in den Kreislauf zurückführen. Und das sind so die Themen, an denen einfach stark gearbeitet werden muss. Da merkt man schon, das ist nicht einer, der das dann machen kann. Also, die Rewe hat vor kurzem, das haben Sie auch in der Pressemitteilung schon geschrieben, sind eben an Forschungsprojekten dran, die speziell auch das Thema offene Blockchain stärker voranbringen. Das finde ich wirklich klasse. Also, ich habe mich mit den Akteuren unteralten, da ist wirklich Substanz auch dahinter. Solche Ansätze braucht es in Zukunft halt auch immer mehr.
Marilyn Repp: Ja, also ich kann das bestätigen, da wird sehr viel geforscht und es gibt ja auch immer mehr tolle StartUps, die sich rund um diese Themen sammeln und auch tolle Services und Ideen anbieten oder eben auch, sag ich mal, Hardware, also das Thema Verpackungen, E-Commerce, Versendungen und so weiter, da kommt immer mehr an Ideen auf den Markt, sag ich mal. Ja, hast du vielleicht noch ein tolles Beispiel von einem Handelsunternehmen, die das wirklich schon richtig gut umsetzen? Das ist jetzt unabgesprochen, aber du kennst bestimmt viele. Wer macht es schon gut?
Theresa Schleicher: Ach, ich glaube, dass es sehr, sehr viele gut machen. Ich finde es immer schwierig, da auf eins zu gehen, weil dann ist man sehr schnell bei den klassischen Vorreiten.
Marilyn Repp: Du kannst auch zwei nehmen.
Theresa Schleicher: Sei es Share oder Patagonia, die halt von Anfang an mit einer anderen Denke einfach reingegangen sind. Und die aber trotzdem, also speziell bei Share, finde ich es halt toll, dass da Innovationsgeist, wirtschaftliche Denke, aber natürlich erst mal der, sagen wir mal, der soziale oder der nachhaltige Aspekt vorne steht. Und das finde ich sehr, sehr schön, weil eben auch in den letzten Jahren das Thema Nachhaltigkeit immer sehr anders aufgenommen wurde, auch medial. Also wir hatten früher das Thema Greenwashing eben sehr, sehr stark, sobald Akteure einfach zu laut waren in dem Bereich, also Handelsunternehmen. Und jetzt sind wir in manchen Branchen eher in der Zeit von Green Shaming angelangt, indem man ja nicht zu laut oder ja nicht zu viel oder bei Produkten und Angeboten ja nicht zu attraktiv, begehrlich kommuniziert. Und das ist genau der Fehler, den wir nicht machen dürfen, weil dann kaufen nämlich Kunden und Kundinnen nicht das Produkt, sondern das vermeintlich nicht nachhaltige, was immer noch mit geilen Preisaktionen dahinter propagiert wird und wir müssen ja Lust auf diese Themen machen. Und das macht Share sehr gut, weil sie wirklich ökonomische Nachhaltigkeit als etwas hervorstellen, was in keinster weise schlecht ist. Also wir müssen ja genau für solche Themen eine Begehrlichkeit, wie gesagt, schaffen und Share schafft es sich immer wieder neu zu erfinden. Angefangen von einem sehr begrenzten Produktsortiment hin jetzt in wirklich andere Spaten, egal ob das Dienstleistungen oder das Finanzwesen ist. Also sie wollen ja wirklich viele, viele Branchen mit ihrem Share-Ansatz revolutionieren und haben eben mit dem Lebensmittel oder mit dem Non-Food-Bereich angefangen und denken da aber wesentlich weiter und größer und das hat mich inspiriert, als ich mit einem der Gründer gesprochen habe, fand ich wirklich toll und da können wir uns auch noch darauf freuen, was da in den nächsten Jahren kommt.
Marilyn Repp: Super, das Beispiel gucken wir uns an. Theresa, wir sind jetzt am Ende unseres Podcasts angekommen.
Theresa Schleicher: Oha!
Marilyn Repp: Das ging sehr schnell, ja. Vielen Dank, dass du dabei warst.
Theresa Schleicher: Gerne.
Marilyn Repp: Und vielen Dank für die Einblicke, für die tollen Beispiele. Wir gucken uns jetzt alle deine genannten Beispiele mal an und die Zukunftsstudie kann man sich angucken? Downloaden?
Theresa Schleicher: Die kann man sich kaufen und downloaden, entweder als Print kaufen oder digital kaufen unter, sehr einfach: www.zukunftsstudiehandel.de.
Marilyn Repp: Sehr schön, alles klar, haben wir noch einen kleinen Werbeblock mit drin.
Und an der Stelle vielen herzlichen Dank, dass du dabei warst und alles Gute.
Theresa Schleicher: Danke dir, bis bald.
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