Hat inhabergeführter Handel eine Zukunft? Auf zum Dialog!
Als Gastautor für Stil und Markt habe ich einen Gastbeitrag zum Thema Handel und Innenstadt (Link) veröffentlicht, in dem ich die neue Rolle der Innenstädte und der dort ansässigen inhabergeführten Händler beschrieben habe. Darauf erhielt ich einen ganz besonderen Kommentar, über den ich hier eine Diskussion entfachen will.
Die inhabergeführten Händler zeigen mir ihr Spannungsfeld
In dem Artikel geht es darum, dass speziell die inhabergeführten Händler und die Innenstadt zukünftig wesentlich mehr Freizeitwert bringen müssen. Darauf hat Martina Vogl aus Konstanz geantwortet vom Café und Kaufhaus „Voglhaus“. Ich habe mich sehr über diesen Beitrag gefreut, denn er bringt eine sehr wichtige Perspektive in die Diskussion. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und zu einer Diskussion aufrufen: Wie seht Ihr die Lage der inhabergeführten Händler? Nutzt das Kommentarfeld, ich freue mich auf weitere Sichtweisen. Hier kommt aber erst einmal der Leserbrief:
„Lieber Herr Rehme,
jetzt juckt es mich doch in den Fingern, ein paar Dinge ins rechte Licht zur rücken, die in Ihrem Beitrag in Stil und Markt 4-5/2019 unerwähnt blieben.
- Wir sind ein ziemlich berühmtes, erfolgreiches, mehrfach ausgezeichnetes (auch „Fachgeschäft des Jahres“ bei Stil und Markt) kleines Unternehmen, das seit 20 Jahren in Konstanz Handel und Gastronomie vereint.
- Wir sind innovativ in jeder Hinsicht, wir sind sozial engagiert, arbeiten nachhaltig, erstellen derzeit eine Gemeinwohlökonomiebilanz, führen seit einiger Zeit den Slogan „Wir retten die Welt mit Genuss“, mit Recht, da unser Speisen- und Getränkeangebot bio, lokal, fair und vegan-vegetarisch ist.
- Wir zahlen vernünftige Löhne – für die Branche gesehen – , arbeiten nur mit örtlichen Handwerksbetrieben, zahlen ordentlich unsere Steuern, beziehen den grünsten Strom, den es in Deutschland gibt.
- Wir setzen dem öden Digitalisierungsmantra gut gelaunte analoge MitarbeiterInnen und gemütliches Ambiente, schöne Dekorationen, leckere Speisen, Kaminfeuer und Kerzen, schöne Musik und Beleuchtung entgegen.
- Sowohl die Voglschar als auch ich bilden uns laufend fort, in eigenen Schulungen und mit externen Fachleuten.
- Unsere Kundenbewertungen sind im Topbereich, wir gelten als authentisch, engagiert.
- Wir verlieren eigentlich nur KundInnen, weil es so voll ist, dass man keinen Platz bekommt…
Ergo: Wir sind das Vorzeige-Unternehmen schlechthin, nachdem Sie händeringend rufen, wir entwickeln uns ständig weiter ohne unsere Werte zu verraten. Als geschäftsführende Inhaberin, Gründerin und Namensgeberin des Unternehmens bin ich stolz darauf, was meine MitarbeiterInnen und ich geschaffen haben und jeden Tag weiter voran treiben. Wir haben alle unser Auskommen und ich bin zufrieden mit meinem Leben, auch wenn ich andernorts weit mehr verdienen könnte als in unserer Branche. Das ist für mich aber auch kein sinnvolles Lebensziel…
Aber: Wir leben seit Jahren von der Hand in den Mund! Wandel und Innovation kosten Geld! Es gelingt uns nicht, vernünftige Rücklagen zu bilden, wie es ein so lange am Markt erfolgreiches Unternehmen tun sollte und wie es gut wäre, um auch bei schwierigen Situationen einen Rückhalt zu haben. Wir fangen die auch bei uns im Einzelhandel sinkenden Umsätze gut durch unsere Gastronomie auf, aber nicht jedes Einzelhandelsgeschäft kann das Modell übernehmen. Auf der anderen Seite steigen sämtliche Kosten und Anforderungen, die von allen Seiten an uns herangetragen werden.
Von allen Seiten wird den KundInnen eingeredet, dass es ihr gutes Recht sei, das zu tun, was für sie in diesem Moment das Beste und Bequemste ist, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken.
Das beinhaltet so Schnapsideen wie unbegrenzte Öffnungszeiten, Sonntagsverkäufe, kostenloses Leitungswasser, kostenloser Lieferservice, grenzenloses Umtauschen und was da so alles an Internetartigem und sonstigen Bedürfnissen an den stationären Einzelhandel herangetragen wird, der ja möglichst in der Toplage der Fußgängerzone platziert sein soll, damit die Kunden nicht auch noch laufen müssen.
Viele KundInnen wissen zwar, dass die Mehrwertsteuer derzeit 19 Prozent ist, dass das aber bedeutet, dass HändlerInnen und GastronomInnen diese jeden Monat weiterreichen an den Staat, machen sie sich nicht bewusst, wenn sie über Preise insbesondere in der Gastronomie nachdenken.
Viele Gäste wissen zwar, was in der Massentierhaltung passiert, möchten aber trotzdem billiges Fleisch.
Viele KundInnen wissen zwar, dass die Löhne in den Ländern, in denen ihre Kleidung genäht wird, nur ein Bruchteil ihrer eigenen sind, aber kaufen trotzdem Schnäppchen.
Natürlich sind die KundInnen und Gäste überfordert mit dem Anspruch, dass sie alles bedenken sollen, wenn sie konsumieren. (Siehe auch: Kopatz, Ökoroutine). Das fordert nur die Industrie vehement ein, um sich selber aus der Verantwortung zu mogeln. Es wäre in erster Linie Aufgabe der Politik, da klare und nachhaltige Verhältnisse zu schaffen, z.B. mit einem Ladenschlussgesetz, mit dem Verbot von Massentierhaltung, mit einer Regulierung des Lieferservice-Wahnsinns der Internet -Anbieter, etc. etc.
Ich bin optimistisch, dass sich da viel bewegen wird in den nächsten Jahren, da uns der Klimawandel nun auch hierzulande auf den Leib rückt in Form von Hitze, Dürre und Flüchtlingen.
Meine Bitte dabei aber an Sie: Prangern Sie mit recht die wandelresistenten Dinosaurier unter den HändlerInnen an, die gibt es wirklich reichlich, aber waschen Sie dennoch in erster Linie den KundInnen den Kopf und machen Ihnen klar, welche Ansprüche völlig überzogen und welche berechtigt sind. Ich kann die Schaufenster-Klebeaktionen verstehen…..
Vor allem aber, wenden Sie sich mit Ihrer Expertise und der Ihnen zur Verfügung stehenden Zeit an die Politik und die Lobbyisten, damit da die grundlegenden Weichen endlich endlich gestellt werden für eine Welt, in der alle Menschen, nicht nur die deutschen KonsumentInnen, gut leben können.
Wir HändlerInnen und GastronomInnen arbeiten derweil weiter an der Front für die gute Sache ….
Herzliche Grüße vom schönen Bodensee, Martina Vogl
DAS VOGLHAUS CAFÉ UND KAUFHAUS“
Eine Antwort der ZUKUNFT DES EINKAUFENS Co-Founderin Heike Scholz.
Beitragsbild von: Das Voglhaus
Ich habe für meinen Laden den Weg gefunden, der Kundschaft interne Vorgänge transparent zu machen. Ich habe z.B. auf meinem Blog in einem Artikel erklärt, was es für mich bedeutet, etwas zu bestellen, warum das manchmal dauert, dass ich nichts zurückschicken kann usf. Dass meine Kund_innen dadurch umdenken, habe ich direkt in den Gesprächen im Laden gemerkt. Im Podcast, den ich mit meiner Kollegin aus einem anderen Geschäft aus meiner Stadt mache, sprechen wir auch über die Vorgänge hinter der Ladentheke, um die Kunschaft zu sensibilisieren.
So wird dann z.B. klar, wieso wir bei 200 BH-Größen nicht in jeder Größe 50 Teile Auswahl haben können – gebundenes Kapital.
Ich finde es wichtig, sich klar zu machen, dass die Kund_innen nicht so handeln, weil sie dumm sind, sondern weil sie es sich oft nicht vorstellen können.
Einkaufs- und Produktionsbedingungen und Arbeitsalltag im Handel sind für sie abstrakt, am konkreten Beispiel in einem Laden, die sie kennen, wird das viel klarer. Das fängt mit so einfachen Beispielen an wie „Wieviel Gewinn bleibt uns von 100€ Umsatz? schätzt mal!“ Solche kleinen Umfragen lassen die Leute mitdenken und das Ergebnis war natürlich überraschend. Das hilft mehr, als das Kleingedruckte auf dem Bon. Alle wissen, dass wir 19% USt zahlen, aber niemand hat vor Augen hat, was das für die Händler_innen bedeutet.
Ich hab die Erfahrung gemacht, dass sich diese Transparenz nur positiv auf das Verhalten meiner Kund_innen ausgewirkt hat. Ich muss seltener hören, wie teuer denn etwas ist, oder dass ich mit 150€ Umsatz „jetzt ja ganz schön verdient habe“.
Danke für diesen Artikel!
Ich stimme der Kollegin in Konstanz in allen Punkten zu und das ist traurig. Allerdings finde ich es als Konsequenz auch nicht sinnvoll der Kund*in den schwarzen Peter zuzuschieben, sondern stimme wie meine Kollegin Anne-Luise Lübbe für Transparenz und Aufklärung. Es braucht eher ein Sich-Verbünden mit der Kund*in für eine lebenswerte Stadt. Wenn einer den schwarzen Peter verdient, dann ist es die Politik, die es nicht schafft die regionale Wirtschaft zu stärken und zu schützen und die globalen Player in die Verantwortung zu nehmen. Ein Beispiel: neue Gesetze wie z.B. die Datenschutzverordnung treffen alle gleichermaßen, aber die Belastung für uns „Einzelkämpferinnen“ ist ungleich höher.
Guten Tag, der Leserbrief von Frau Vogl beschreibt sehr gut auch unsere Situation. Wir führen ein Juweliergeschäft in zweiter Generation. Meine Schwiegereltern hatten einen überschaubaren, treuen Kundenkreis, den sie mit viel persönlichem Einsatz und emphatischer Ansprache an sich gebunden haben. Trotz der ‚neuen Zeiten‘, viel Digitalisierung, gestiegener Ansprüche der Kunden und Wettbewerbsdruck aus dem Internet gelingt es uns weiterhin, neue Kunden zu gewinnen und zu halten. Unsere Analyse entspricht der von Frau Vogl: ausgebildetes Personal, Konzentration auf Kundenzufriedenheit, nicht Umsatz und persönliche Ansprache jeden einzelnen Kunden. Gastronomie haben wir nicht, einen Kamin aber schon. ;-) Ware von bekannten Marken gibt es überall. Wir arbeiten viel mit Partnern, mit denen wir unser Angebot stark individualisieren können. Was wir im Fenster zeigen, ist nur 30-40% Prozent, von dem was wir ‚können‘. Reparaturen für Uhren und Schmuck decken zusätzlich einen Bedarf an Service ab, der immer schwieriger zu finden ist. Dennoch wissen wir nicht, ob wir guten Gewissens eines unserer Kinder in unser Geschäft zur Übernahme locken sollen. Das Umfeld der Stadt, die eine hohe Aufenthaltsqualität bieten sollte, ist trotz unserer Mitarbeit im Citymarketing nicht gut zu beeinflussen. Dienstleister, wie Frisör, Nagelstudio und Handyläden füllen frei werdende Ladengeschäfte. Handel verarmt in seiner Vielfalt und verschwindet. Der Spagat zwischen guter Erreichbarkeit und wenig Beeinträchtigung durch Verkehr ist schwer zu schaffen und wird auch nicht konsequent gedacht. Den Forderungen von Frau Vogl im letzten Teil ihres Briefes stimme ich voll zu. Meines Erachtens ist die Politik oft Spielball der Lobbyisten und ich kann wenig gute Sachentscheidung gemessen an den eigentlich formulierten Zielen erkennen. Auf lokaler Ebene genauso wenig wie auf globaler Ebene.
Frau Vogl spricht einen Aspekt an, den ich nochmals hervorheben möchte: Was die Innenstadt so erlebnisreich und wertvoll macht, ist die Vielfalt an Geschäften. Vor allem aber die inhabergeführten Betriebe haben ein existenzielles Problem, welches sich „über Nacht“ beheben ließe. Bisher wird in der Besteuerung bestraft, wer Erfolg hat. „Steuernachzahlung, Anpassung und Vorauszahlung“ – schon ist sie weg, die Liquidität. Rücklagenbildung unmöglich. Man hat sich offenbar an den Umfang der Besteuerung schon so gewöhnt, dass es weder politisch noch journalistisch hinterfragt wird. Ich will mich nicht über Vergleiche mit den Möglichkeiten von globalen Unternehmen auslassen, denn diese haben andere Probleme. Die Aussage muss so trivial wie wahr sein: Mit Steuern kann man die Attraktivität von Standorten steuern – überall. Es muss nur politisch gewollt sein. Wer eine Gewerbefläche im Geiste der lokalen Ortsentwicklung und -erhaltung bespielt, der muss einen erheblichen steuerlichen Wettbewerbsvorteil bekommen. „So wird ein Schuh draus!“
Alles Gute und beste Grüße
Volker Maisel
Immobilien, Kunst- und Denkmalpflege
Steuererleichterungen wären ein Weg. Das ginge dann nur, wenn alle Gewerbetreibenden davon profitieren, z.B. über die Hebesätze. Sonst wäre es ja eine gezielte Subvention einer einzelnen Branche und das sähe ich eher kritisch. Aber Steuersenkungen sind eben nur einer von mehreren alternativen Wegen. So könnte man auch die Immobilienbesitzer dazu bringen, die Mieten zu senken oder sie punktuell aus Steuermitteln absenken, wie es in Paris getan wird. Das würde vielen kleinen Einzelhändlern zumindest für eine gewisse Anpassungszeit erhebliche Spielräume im eigenen Geschäftsmodell geben.
Grundsätzlich sehe ich aber als den ausschlaggebenden Faktor das veränderte Kundenverhalten, das dazu führt, dass sich einige herkömmliche Geschäftsmodelle immer weniger rechnen. Es fehlt eben schlicht die Nachfrage. Inwieweit dort womöglich dauerhaft das Überleben veralteter Geschäftsmodelle auf Kosten der Steuerzahler ermöglicht werden soll, muss diskutiert werden.
Ich denke das Frau Vogl ihren Fokus zu sehr auf die Gastro legt.
Habe weder auf ihrer Website, noch beim durchscrollen des Facebook herausgefunden was es ausser Gastronomie im Voglhaus noch gibt.
Aber Glückwunsch zu einer scheinbar erfolgreichen Erlebnisgastronomie, wahrscheinlich werden sich die umliegenden Geschäfte darüber freuen.