Trendwatch #4: Retail Revolution
Zukunft des Einkaufens stellt in dieser Reihe regelmäßig Trends vor, analysiert diese und beleuchtet die Relevanz für verschiedene Branchen. Heute im Focus:
Retail Revolution aus Branchensicht
Kein Trend passt besser zu unserem Portal als Retail Revolution, es ist also für mich eine informelle Pflicht, diesen Trend vorrangig zu betrachten. Dazu stellen wir uns aber erst mal eine wichtige Frage, die mit dem Blick in die Vergangenheit zu tun hat: Woher kommt eigentlich der allseits bekannte Spruch “Handel ist Wandel“? In den meisten Fällen haben derartige Branchenweisheiten irgendwo einen wahren Ursprung. Vereinfacht könnte man daraus schließen, dass Veränderung eine grundsätzliche Begleiterscheinung des Handels schlechthin ist. Schaut man so in die Vergangenheit, mag der Eindruck durchaus gerechtfertigt sein: Das Verschwinden der Tante Emma Läden, das Aufkommen der Supermärkte und die Entstehung der Malls auf der grünen Wiese haben für viele Veränderungen gesorgt. Also kann man sich die Frage stellen, ob der Trend der Retail Revolution nicht zur klassischen Entwicklung des Handels gehört und damit kein ausgewiesener Trend an sich ist.
„Retail Revolution“ ist nicht „Handel ist Wandel“
Doch, es ist ein Trend, dessen Ursache gegenüber bisherigen Veränderungen vollkommen anders ist: Waren die Entwicklungen bisher immer dem Zeitgeist und vor allem der Effizienzsteigerung geschuldet, geht es heute um eine andere Ursache: Das Selbstverständnis der gesamten Branche muss sich neu definieren! Die Aufgaben verändern sich gerade radikal, das gilt für den stationären Handel ebenso wie den Onlinehandel.
Was ist passiert? Seit Jahren ist zu beobachten, dass sich zwischen Verbraucher und Handel immer neue Wettbewerber schieben: Die AGFA’s! Diese vier Buchstaben stehen für Apple, Google, Facebook, Amazon, alles Unternehmen, die sich mit viel Mehrwert und Datenpower rund um die Shopper Journey positionieren. Damit besetzen sie einen äußerst wichtigen Bereich: Den Aufmerksamkeits-Radarschirm der Menschen. Will man zukünftig den Shopper erreichen, kommt man nicht mehr an die AGFA´s vorbei.
Neue Währung im Handel
Damit Verbunden ist die Erkenntnis, dass zukünftig nicht die klassischen Kennzahlen wie Umsatz, Marge und Gewinn im Vordergrund stehen, sondern sich eine neue KPI nach vorn gemogelt hat: Aufmerksamkeit! Die Auswirkungen sind schon heute deutlich zu erkennen: Whatsapp kostet 19Mrd. US$ und die Google Mutter Alphabet stößt Apple vom Thron des teuersten Unternehmens. Beides sind Firmen, die nicht über eine große Infrastruktur, Jahrhunderte alte Marken oder physische Produkte verfügen, sondern sich eines ganz besonders gut angeeignet haben: Kundenzugänge und damit die Aufmerksamkeit von Menschen! Zugleich generieren Sie Unmengen von Daten, die bekanntlich das Öl der Zukunft sind. Als Goodie binden sie die Menschen durch einfache, aber nützliche Mehrwertangebote. Ein anderes Beispiel ist die aktuelle Fernsehwerbung des Discounters Aldi. Vor Jahren noch undenkbar, jetzt Standard im Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen. Formate, die bisher überhaupt nicht in Erscheinung getreten sind müssen mit viel Aufwand in den Radarschirm des Kunden eindringen.
Neue Aufgabe im Handel
Zugleich entwickelt sich aktuell eine Verschiebung der Erwartungshaltung, welche die Menschen an den Handel haben: Er ist nicht mehr länger das Lagerhaus der Republik, in dem man sich bei Bedarf bedient, sondern vielmehr eine weitere Art der Freizeitgestaltung. Man braucht außer rund 300 Ankerprodukten eigentlich nichts zum Leben, die 15. Hose oder das 30. T-Shirt sind nicht wirklich notwendig. Daher investieren viele Menschen lieber ihr Geld in Erlebnisse wie Reisen, Funsport oder Erholung statt in Güter. Natürlich wird trotzdem konsumiert, in Zukunft aber immer mehr in einem Ambiente, das Erlebnis und Konsum kombiniert. Das zeigt eindrucksvoll die Studie “Vitale Innenstädte“ des Instituts für Handelsforschung in Köln. Menschen kommen wegen Freizeitwerten wie Erlebnis und Inspiration in den Handel, finden diese Elemente aber immer nur vereinzelt oder gar nicht.
Beides, also Aufmerksamkeit, Freizeitwert und Inspiration gelten gleichermaßen für den stationären Handel und dem eCommerce. Damit ist die Retail Revolution deutlich anders einzustufen als alle bisherigen Veränderungen, denn sie zeichnet etwas ganz besonderes aus: Sie ist getrieben vom Menschen und seinen veränderten Verhalten auf Grund von Werteverschiebungen und Digitalisierung, und das ist absolut neu.
Was bedeutet der Retail Revolution Trend aber generell für die jeweiligen Branchen?
Branchenview 1: Handel:
Natürlich ist hier der größte Einfluss zu verzeichnen: Produkte werden nicht in Massen präsentiert, sondern inspirierend Inszeniert. Man zeigt nicht nur, was man im Sortiment hat, sondern was der Kunde davon hat. Man sagt nicht mehr was man tut, sondern warum man das tut. Man verkauft keine Schuhe, sondern Bestandteile eines speziellen Styles. Dazu braucht man einen komplett anderen Ansatz bei der Personalentwicklung: Händler sein heißt Menschen zu aktivieren und sie nicht zu fragen, ob man ihnen helfen kann. Warenkunde muss zukünftig dem Erlebnisgewinn der Shopper dienen, alles unterstützt durch eine Präsenz im digitalen Kommunikationsraum. CRM bekommt einen völlig neuen Aspekt: Weg vom reinen Datenpool hin zur Gesamtbetrachtung des Shoppers in seinem Lebenskontext. Das alles hat Einfluss auf die gesamte Organisation: Von Einkauf über Standorte/Ladenbau bis zum Merchandizing muss komplett umgedacht werden. Eine spannende Aufgabe auf dem Weg von der Kundenzentrierung zur Menschenzentrierung!
Branchenview 2: Ladenbau
Jetzt kommt das Zeitalter, dass sich viele Ladenbauer gewünscht haben: Kreativität als Schlüssel zum Kunden. Wie viele Konzepte wurden verworfen, weil der Handel die Investitionen gescheut hat. Zukünftig werden genau diese Lösungen zum Überlebensfaktor. Neue Wege der Produktpräsentation in einem digitalen Kontext werden zukünftig vom Kunden erwartet, weil andere Branchen genau diese Erwartungshaltung in ihm konditionieren. Es gilt nicht mehr, viel Ware zu präsentieren, sondern wenige Artikel inspirierend zu inszenieren. Erlebnisraum Retail-Space lautet das Zauberwort, und das besteht aus Interieur, Menschen und digitalen Erlebnisräumen.
Branchenview 3: Freizeitindustrie
Zukünftig werden die Grenzen zwischen Innenstadt, Freizeitpark und Shopping Mall mehr und mehr verschwinden. Es gibt nicht mehr das eine Format allein, sondern Bereiche die Menschen anziehen. Es wird sicherlich nicht das Extrem des “Entertainment-Shopping-Disneyland“ entstehen, aber deutlich mehr, als wir uns heute vorstellen können. Der Handel und auch die Stadtentwickler sind gut beraten, wenn sie sich mit entsprechenden Fachleuten in neuen Konstellationen verbünden. Bereits jetzt gibt es Agenturen, die sich mit genau diesem Themenbereich beschäftigen und extrem viele Erfahrungen aus dem Bau von Freizeitparks in den Bereich Retail und Städte bringen.
Branchenview 4: Logistik
Jetzt – hier – gleich, dieses Mantra beten Zukunftsforscher über das Kaufverhalten von morgen seit Jahren. Zugleich sind große Veränderungen durch das autonome Fahren (Trendview dazu hier) zu erwarten. Ware, egal ob stationär oder online gekauft, wird zukünftig auf anderem Wege den Shopper finden. Auf der anderen Seite wird der Traffic der Sharing Anbieter wie z.B. Uber zunehmen und eine dramatische Veränderung im Logistikbereich mit sich bringen.
Was ist noch zu erwarten?
Im Trendview Spiritual Kitchen (Trendview dazu hier) habe wir bereits beschrieben, wie sich ideologische Einstellungen auf das Konsumverhalten von Lebensmitteln und auf Produktionsprozesse auswirkt. Ein anderer Aspekt bleibt aber bisher vollkommen unberücksichtigt: Menschen profilieren sich mit einer bestimmten Aussage über das, was sie nicht kaufen. In einer Zeit des Überflusses und der allgegenwärtigen Verfügbarkeit geht es nicht mehr darum nachzudenken, was einem fehlt. Vielmehr denken Menschen darüber nach, was sie alles nicht mehr brauchen.
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