LChoice: Per App in den Buchladen
Der deutsche Buchhandel ist nun schon länger von Krisen geschüttelt und es trifft hier nicht nur den kleinen Buchladen um die Ecke sondern auch die bekannten Ketten. Bücher sind gerade in Deutschland prädestiniert, online gehandelt zu werden. Feste Bestellnummern, feste Preise, eine übersichtliche Zahl von Formaten, nicht verderblich, langlebig – all dies sind Attribute, die Bücher für den Distanz-/Online-Handel so attraktiv machen.
Es hatte schon gute Gründe, warum Jeff Bezos 1994 mit Büchern einstieg und amazon sich bis heute zum weltgrößten Buchhändler entwickelt hat. Ausgerechnet heute, wo wir im deutschen, stationären Buchhandel mehr Klagen und Jammern als Aufbruchstimmung und Innovationsfreude erleben, tritt nun amazon an und eröffnet in den USA eigene Läden. Wie diese sich entwickeln und was amazon dort alles richtig macht, in einem weiteren Artikel in den kommenden Tagen. Wer dies nicht verpassen möchte, abonniere am besten unseren Newsletter.
Beziehungen zählen
Doch zurück zu den deutschen Buchhändlern. Hier herrscht häufig die Vorstellung, dass die Kompetenz eines Buchhändlers sich darin erschöpft – verkürzt dargestellt – Kunden beraten zu können, ein Sortiment vorzuhalten und nicht vorrätige Bücher zu besorgen. Dies alles an einem überschaubaren Ort, dem Buchladen. Jedoch wird auch die Welt eines Buchhändlers durch die Digitalisierung komplexer, die Konkurrenz härter (siehe oben) und die Kunden anspruchsvoller. Heute heißt es, zu seinen Kunden Beziehungen zu haben und diese über alle „Kanäle“ zu bilden, zu pflegen und auszubauen.
Der Begriff der „Kanäle“ weist dabei eigentlich schon in eine falsche Richtung. Er vermittelt den Eindruck voneinander getrennter Bereiche, die man eben mit unterschiedlichen „Rezepten“ optimal bespielen kann. Interaktionen und Abhängigkeiten werden so allzu schnell verpasst. Da wird im „Kanal Social Media“ schon einmal eine tolle Kampagne durchgeführt, deren Landingpage aber nicht mobil-optimiert ist und das in einer Zeit, in der Facebook überwiegend von mobilen Geräten genutzt wird. Das fehlende Zusammenspiel der „Kanäle“ Mobile und Social Media führt zu einer schlechten Nutzererfahrung.
‚Flüssiges‘ Nutzerverhalten
Die Nutzer wechseln mehrmals am Tag fröhlich zwischen Notebook, Print, TV, Mobile, Telefon und wieder zurück, je nachdem wo und wie sie gerade ihre Wünsche zu befriedigen suchen. Dieses „flüssige Verhalten“ (Liquid Experience) führt dazu, dass an jedem potenziellen Berührungspunkt (Touch Point) des Nutzers mit einem Buch oder dem Buchladen eine Möglichkeit zur einfachen und möglichst intuitiven Interaktion gegeben sein muss. Sonst geht der Nutzer schlicht zur Konkurrenz, die ja bekanntlich nur einen Blick, Klick oder Tab entfernt ist.
Und hier sehen wir, dass dieses vernetzte Handeln heute nicht zu den Kompetenzfeldern vieler Buchhändler gehört und oftmals – neben dem Willen zur Veränderung – auch Ressourcen schlicht fehlen.
Retail Enabler
In diese Lücke springen nun technische Dienstleister, von denen wir einen vorstellen möchten: MChoice ist ein Spin-Off der ERP Beratungsgesellschaft Bartolome-Röder und bietet mit LChoice eine nach eigenen Angaben „Omni-Commerce-Lösung“. Auf LChoice können sich Buchhändler, Verlage, Autoren und Blogger anmelden und erhalten eine „360°-Kauf- bzw. Vertriebslösung“.
LChoice versteht sich hierbei selbst als „Retail Enabler“, d.h. den verschiedenen Anbietern wird die Plattform zur Verfügung gestellt, die Akquisition von Endkunden sei aber nach eigenen Angaben dabei nicht die primäre Aufgabe von LChoice.
Buchhändler erhalten das Toolset, QR-Codes und elektronische Kauflinks zu erzeugen und in Offline- und Online-Anwendungen wie Büchern, Printanzeigen, Prospekten, Homepages, Newsletter, Social Media etc. einzusetzen. Den Nutzern stehen mobile Applikationen (Android, iOS) zur Verfügung, mit denen sie die Codes scannen oder über die Links direkt zum Buchkauf gelangen.
Update 09-2018: Beide Apps sind aus den App Stores verschwunden. Das Konzept scheint aufgegeben worden zu sein.
Hier wählen sie einen lokalen Händler aus, bestimmen ob sie das Buch selbst im Laden abholen wollen oder es zugeschickt haben möchten und bezahlen. In den Apps ist natürlich auch eine Suche vorhanden, so dass direkt in den Apps nach Autoren oder Titeln gestöbert werden kann.
Händler zahlen an LChoice für diesen Service eine Umsatzprovision von drei Prozent. Wenn sie nichts verkaufen, zahlen sie auch nichts. Benachrichtigungen über neue Aufträge erfolgen per Mail oder direkt in der Warenwirtschaft. Aufträge können angenommen oder auch abgelehnt und auch gleich beim Grossisten (Umbreit, KNV, Libri) bestellt werden.
Verlage müssen für die Erstellung der Codes zahlen und ebenfalls drei Prozent Provision auf den Umsatz, die aber verrechnet werden. Ab Mitte 2016 kommt dann noch eine Anmeldegebühr von 150 Euro hinzu.
Für Nutzer, Autoren und Blogger ist das Generieren von Kauflinks kostenfrei, im Grunde kann das jeder auf der Webseite machen, um aber den Leistungsumfang von LChoice nutzen zu können, also Bücher verkaufen zu können, ist natürlich eine Registrierung notwendig.
Zurzeit ist in LChoice der Bestand des VLB und von Umbreit hinterlegt, so dass aktuell 450.000 Titel hierüber verkauft werden können. In einer der nächsten Ausbaustufen sollen auch internationale Titel und eBooks hinzu kommen.
400 Händler in Deutschland und Österreich nutzen derzeit LChoice. Autoren sind es nach Angaben von LChoice eine Handvoll und zehn Blogger konnten gewonnen werden.
Beide Apps zusammen konnten noch nicht mehr als 10.000 Downloads generieren. MChoice möchte die Plattform LChoice auch für andere Produkte weiterentwickeln.
Wie finden wir das?
PRO: LChoice ist eine schnelle und für den Handel einfache Methode, die eigenen Werbemittel mit QR Codes oder Kauflinks anzureichern. Wer keinen eigenen Webshop hat, kann so versuchen, die Kunden für den Kauf wieder zum eigenen Point-of-Sale (POS) zu leiten. Gelingt dies, bietet sich in dem Moment, wo der Kunden in den Laden kommt, die Gelegenheit für weitere Verkäufe, Cross Selling und vor allem Beziehungspflege. Da Provisionen nur bei Erfolg anfallen, ist die Lösung auch günstig.
LChoice ist eine mobile-only Lösung, d.h. sie findet genau dort statt, wo die Menschen mit der Werbung in Kontakt kommen, da LChoice auf dem Smartphone installiert ist. Damit trägt sie dem Trend der immer intensiveren mobilen Nutzung Rechnung. Die Kauflinks sind für Händler oder Verlage natürlich auf statischen Webseiten nutzbar. Werden sie dort geklickt, kann der Kunde auch an seinem PC bestellen.
Hat man es geschafft, dass die eigenen Kunden die App installiert haben und sie nutzen, hat man ein kostengünstiges und modernes Kundenbindungsinstrument.
CONTRA: QR Codes in Werbemitteln kann jeder realisieren, zumal die Codes an verschiedenen Orten im Web kostenfrei generiert werden können. Wer einen eigenen Shop hat, sollte es besser selbst machen.
Die Nutzungsintensität von QR Codes ist in Deutschland eher gering, erst recht wenn man für das Scannen noch eine gesonderte App installieren muss. Die Erwartungshaltung an eine solche Mechanik sollte also nicht zu hoch sein, auch wenn LChoice nach eigenen Angaben Händler hat, die hierüber bereits zwei Drittel ihres eCommerce-Umsatzes erzielen. Doch ohne absolute Zahlen sind solche Angaben natürlich schwer interpretierbar, weil relativ.
Darüber hinaus erhält der Händler keine Nutzungsstatistiken der QR Codes von LChoice. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass dies zwar technisch ohne Weiteres machbar wäre, aber zurzeit für LChoice nicht relevant sei. Ganz im Gegenteil zum Händler, für den es durchaus interessant sein sollte, welcher Code, in welchem Werbemittel, an welchem Ort, zu welcher Zeit erfolgreicher war als andere.
Für die Nutzung muss der Endkunde die LChoice-App installiert haben. Da MChoice nach eigenen Angaben seine primäre Aufgabe aber nicht darin sieht, hier die Reichweite über die Apps auszubauen, liegt dies wiederum bei den Händlern, Verlagen, Autoren und Bloggern. Händler müssen also am POS intensiv auf die Apps hinweisen, haben aber von hier an keine Kontrolle darüber, ob ihre Kunden dann bei ihnen oder ihrer Konkurrenz, die ja ebenfalls in der App vertreten ist, kaufen.
In einem Werbemittel, wo meist nicht viel Platz ist, muss verständlich erklärt werden, warum die App von LChoice für eine Leseprobe oder den Kauf installiert werden muss und wie die Installation funktioniert (ca. 20% aller Smartphone-Nutzer installieren gar keine Apps). Dann müssen sich die Nutzer am Smartphone anmelden (Mailadresse und Passwort) und dann erst können sie scannen und bestellen. Bei Stammkunden entfällt das Neu-Anmelden natürlich.
Ein weiterer Punkt, der bedacht sein will ist, dass der Händler mit der Nutzung von LChoice keine exklusive Beziehung zu seinen Kunden mehr hat. Er bietet zwar die Möglichkeit, Bücher über die App zu bestellen, aber er selbst hat keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der App, ihre Funkionen und ihre Weiterentwicklung. Er kann – Stand heute – nicht sein eigenes Design nutzen, um seine Marke in den Vordergrund zu stellen. All seine Bemühungen für mehr Downloads der App kommen auch den anderen Händlern zugute. Man selbst profitiert von den Bemühungen der anderen natürlich ebenfalls.
Update: LChoice war so freundlich, uns nach Veröffentlichung unseres Artikels eine weitere Information zur Verfügung zu stellen, daher ergänzen wir dies hier natürlich. „Setzt ein Händler LChoice QR-Codes ein, kann er festlegen, dass genau ein Händler bzw. ein Händler mit seinen Filialen in der Auswahl zu sehen ist. Das Werbematerial des Händlers führt also nur zu ihm zurück.“
Fazit
LChoice ist für diejenigen Buchhändler etwas, die sich wirklich nicht mit den zukünftigen Verkaufswegen und -prozessen beschäftigen wollen oder können. Sie erhalten zu überschaubaren Kosten eine Plug-and-Play-Lösung, die auch von nicht-online-affinen Menschen bedient werden kann, sowohl auf Nutzer- als auch auf Händlerseite. Der Händler kann sich ganz auf seine Produkte und seinen Laden konzentrieren.
Wer aber verstanden hat, dass die Anforderungen an einen Buchladen heute anders und komplexer sind, Stichwort „Erlebnisshopping“, der kann und sollte mit einer solch simplen Lösung nicht zufrieden sein, nimmt sie ihm doch die eigene Kundenbeziehung an einem sehr wichtigen Punkt aus der Hand. Und genau das ist es, wovon der stationäre Buchhandel lebt, von seinen Kunden und seiner persönlichen Beziehung zu ihnen, über alle Touch Points hinweg.
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