Deutschland, Land der Dichter oder lieber das Land der Krämerseelen?
Was hat sich eigentlich im Handel in Deutschland in Bezug auf Einkaufspreise, Discount- und Verkaufspreise getan, sind hier immer noch die Krämer am Werk? Ist Dynamic Pricing für den stationären Handel wirklich kein Thema?
Digitalisierung schafft Transparenz
Durch die allseits gegenwärtige Digitalisierung und den damit einhergehenden Möglichkeiten, eine nie dagewesene Transparenz von Ladenverkaufspreisen zu erlangen, wie z.B. durch Vergleichsportale, Digitalisierung der Handzettel und dergleichen, müsste sich doch längst etwas geändert haben in der Handelslandschaft. Gerade aber bei der ultimativen Transparenz der Preise gehen die Rabattschlachten erst so richtig los.
Bei den Machtverhältnissen ist alles beim Alten
Man könnte meinen, die Machtverhältnisse der Händler müssten sich längst in Richtung der Hersteller verschoben haben, indem sie z.B. über den eigenen Onlinekanal verkaufen. Im Lebensmitteleinzelhandel oder bei den Drogerien weit gefehlt: Alles beim Alten.
Lediglich Fashionhersteller wissen sich zu helfen, indem sie eine Filiale nach der anderen eröffnen, und so meinen die Verkaufspreise kontrollieren zu können. Große Handelsunternehmen kooperieren weiterhin in Einkaufskontoren, um bei den Konsumgüterproduzenten bessere Einkaufspreise zu bekommen, oder kündigen gar an, einen Hersteller komplett auszulisten, wie jüngst Edeka bei Nestlé angedroht. Und so setzt das liebe Spiel Preiskampf beim Einkauf an, um dann in Rabattaktionen im Verkauf an die Kunden zu münden.
Ist das wirklich notwendig? Ist der deutsche Kunde nach wie vor ein Schnäppchenjäger?
Ich bin mir nicht sicher, ob eine Differenzierung der Handelsformate lediglich am Preis ausgetragen werden muss. Die Preise im Verkauf zu optimieren, wird immer noch zu zögerlich betrachtet. So verlassen sich Sortimentsverantwortliche auf ihr Bauchgefühl, denn so hat es ja immer gut funktioniert. Warum aber interessieren sich viele Händler dann dafür, was Amazon mit dem dynamischen Pricing macht?
Dynamic Pricing nur Online?
Mit dynamischem Pricing meint man das Ändern der Verkaufspreise innerhalb des Tages. Nun könnte man sagen, ein reiner Onlinehändler hat es da leichter, was zum Teil richtig ist. Jedoch, sofern elektronische Preisetiketten auf der Verkaufsfläche eingesetzt werden, ist auch ein stationärer Händler grundsätzlich heute schon in der Lage dazu, die Preise dynamisch zu ändern.
Rechnersimulation ersetzt Bauchgefühl
Professor Hertel, Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und Handelsexperte, der sich seit Jahren mit der Thematik befasst, meint, das neue Softwarelösungen durch die gestiegenen Rechnerleistungen der letzten Jahre so viele Simulationen durchlaufen können, das dies durch kein Bauchgefühl und keine Erfahrung, auch wenn diese noch so fundiert sei, übertroffen werden kann.
Ein Beispiel: Man vergleicht 90 Shampoos mit einem durchschnittlichen Artikelpreis von 4 € und man will ca -+15% Prozent verändern, und nimmt nur Preise die auf 5 oder 9 Cent enden, dann kommen man auf Rechenoperationen mit einer Zahl mit 124 Nullen. Das sind unvorstellbar viel mehr Nullen, als es Atome im Universum gibt.
Es braucht nur den Mut
Der Händler müsste den Mut haben, sich auf eine Berechnung zu verlassen, und dementsprechend zu handeln. Natürlich bestätigt ein Programm durchaus auch Konstellationen, die sich seit Jahren bewährt haben. Interessant wird aber die Variation, und wenn man mit kleinen Veränderungen große Effekte erzielen kann.
Simulation der Preise
Auf meine Frage, wie solch eine Simulation denn gehe, sagt Professor Hertel: „Man nimmt beispielsweise aus einer Warengruppe den sogenannten Eck-Artikel.“ (Der Eck-Artikel ist der günstigste im Sortiment von dem der Verbraucher üblicherweise den Preis kennt, der Händler hat kaum bis keine Spanne mehr auf dem Produkt)
„Identifiziere die Eckartikel einer Warengruppe, identifiziere Artikel mit einer besseren Spanne und besserem Markenimage, welche preislich nicht so weit vom Eckartikel entfernt liegen. Diesen Artikel reduziert man schrittweise marginal im Preis und lässt jeweils eine Simulation laufen. Gleichzeitig erhöht man vielleicht ein paar high-end Markenartikel derselben Warengruppe im Preis und startet die Simulation nochmals. Oder man listet nicht (wie üblicherweise) die Artikel mit den geringsten Umsatz- und Ertragspotenzialen aus, sondern genau die, deren Auslistung den geringsten Kollateralschaden verursachen, sondern die am besten durch das Restsortiment aufgefangen werden kann. Das Ergebnis ist auf jeden Fall besser, als einfach nur wahllos Preise zu senken.“
Leider noch: „So haben wir es doch immer gemacht!“
Machbar wäre sehr vieles, der Handel geht jedoch leider den einfallslosen Weg und unterbietet schlicht die Wettbewerbspreise.
Das soll eine Preisstrategie sein? Im Ergebnis erodieren Markenwerte (Man denke an den ein oder anderen Süsswarenartikel, der es mit Mühe und Not geschafft hat, wieder in den Markenhimmel einzusteigen) und der Verbraucher, wie auch die Einkäufer bleiben simple Schnäppchenjäger.
Unsere Gastautorin mit einer Meinung zur Preisfindung:
Vertriebsleiterin Deutschland bei Tyco Retail Solutions
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