Retail-As-A-Service: Chance für stationäre Händler
Stationäre Händler sehen an vielen Stellen ihre Geschäftsmodelle schwinden. Das Käuferverhalten ändert und verlagert sich bei vielen Kategorien immer mehr ins Netz. Auf der anderen Seite stehen Online-Händler*innen, die zunehmend auch in der Fläche sichtbar werden. Allerdings „können“ die Online-Pure-Player stationären Handel oftmals nicht. Eine Chance für den etablierten, stationären Handel, seine Expertise anzubieten. Doch das Geschäft mit Retail-As-A-Service machen wieder einmal Start-ups.
Das Shopify* des Handels
Schon 2015 startete b8ta mit seinem Retail-As-A-Service (RAAS) Modell mit einem Store in Palo Alto. In nur zwei Jahren eröffnete das Start-up neun Flagship-Stores und 70 Shop-In-Shops in den USA. Bei b8ta können überwiegend technische Produkte ausprobiert werden. Zu jedem Produkt gibt es Screens, „Bricks“ genannt, die inhaltlich von den Herstellern bespielt werden können. Das Such- und Nutzungsverhalten der Kunden an den Bricks wird getrackt und die Auswertung den Herstellern zur Verfügung gestellt. Das Personal von b8ta vor Ort erklärt, berät und sorgt für Sauberkeit und Ordnung im Laden. Ihre Aufgabe besteht allein darin, den Kunden ein tolles Einkaufserlebnis zu verschaffen.
Gekauft wird natürlich in den b8ta-Läden auch, allerdings online und die Ware wird möglichst noch am gleichen Tag nach Hause geliefert. Damit sind die b8ta-Stores mit Umsätzen verbunden, erfüllen aber noch eine weitere Funktion. Hersteller haben hier ein kostengünstiges „Labor“ für neue Produkte und können durch das Kundenverhalten Rückschlüsse für ihre Produktentwicklung erhalten.
Hersteller zahlen bei b8ta einen festen monatlichen Beitrag, dessen Höhe sich nach der benötigten Quadratmeterzahl und der Lage richtet. Hierin enthalten sind Checkout, Inventar, Point of Sale, Bestandsmanagement, Personaleinsatzplanung und mehr. „For most brands we’re working with, the costs are quite reasonable,” wie Vibhu Norby, CEO von b8ta gegenüber Techcrunch ausführt. “I’ll say that it’s at least 50 percent cheaper than doing it yourself.”
Built-By-B8ta: Flagship-Store as a Service
Im Dezember 2017 realisierte b8ta einen Store mit und für Netgear, einem Hersteller von Routern, Modems und Gateways. Dieses „Built-By-B8ta“ genannte Konzept ist ein Flagship-Store für nur eine Marke. Ebenso für eine monatliche Flat-Fee und innerhalb von drei Monaten eröffnet. Auch hier bietet b8ta alles aus einer Hand. Die Marke kann sich voll und ganz auf das Brandbuilding und neue Produkte konzentrieren, den Verkauf übernimmt b8ta.
Mitte 2018 stieg Macy’s bei b8ta mit einer Minderheitsbeteiligung ein. Auch die Großen sehen in diesen Konzepten offensichtlich eine Zukunft.
Die von uns allen sehr geschätzte Brandeins hat ausführlich über b8ta berichtet.
Update März 2022: b8ta ist in den USA ein Opfer der sich nach der Pandemie nicht erholenden Besucherzahlen und hat die US-amerikanischen Aktivitäten eingestellt. Es konnte auch nach der Schließung der Hälfte der Geschäfte keine Einigung mit den Vermietern erzielt werden. B8ta bleibt in Japan und den Vereinigten Arabischen Emiraten mit eigenständigen Gesellschaften aktiv.
Leap: Reines Provisionsmodell
Ein weiteres Beispiel für Retail-As-A-Service-Konzepte ist das Start-up Leap aus Chicago. Im Oktober 2018 erhielt Leap ein drei Millionen US-Dollar Invest von Costanoa Ventures und eröffnete in Chicago den ersten Store für den High-End-Sneaker-Hersteller Koio.
Im Gegensatz zu b8ta zahlt die Marke bei Leap keine monatliche Rate, sondern Leap erhält lediglich eine Umsatzprovision, was das Risiko für den Hersteller weiter verringert. Zusätzlich zur Minimierung der Kosten für Marken glaubt Leap, dass seine Kundeninformationen und seine intelligente Logistikplattform dazu beitragen können, die Kundenbindung, das Shopper Engagement und den Markenauftritt zu verbessern. Sollte sich dies als richtig erweisen, können Marken gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem sie die Kosten je Neukunde senken und den Kundenwert steigern.
Im Kern reduziert Leap die physischen Einzelhandelsaktivitäten einer Consumer-Marke auf eine einzige Position in der GuV, so dass sich die Marke auf den Markenaufbau und die Lieferkette konzentrieren kann und nicht auf die Retail-Strategie. Gleichzeitig ist für die Marke eine schnellere Skalierung möglich.
Update März 2022: Leap expandiert auch in Corona-Zeiten. 2021 wurde die Zahl der Stores um 300 Prozent gesteigert. Auch 2022 sollen weitere 250 Läden hinzukommen. Da das Wachstum sich beschleunigt, hat Leap im August 2021 eine 15 Millionen Dollar Finanzierung abgeschlossen.
Fourpost: Kaufhaus-On-Demand
Im November 2018 eröffnete Fourpost seine ersten beiden Stores: In der Mall of America in Minneapolis und in der Edmonton Mall in Alberta, Kanada. Fourpost bietet fertige Einzelhandelsflächen, genannt „Studio Shops“, an. Diese sind in Würfel-, Rechteck- und Dreiecksformaten von 50 bis 100 Quadratmetern erhältlich. In einem Schaufenster können bis zu 30 untergebracht werden, ähnlich wie in einem traditionellen Kaufhaus.
Die Kosten für die kurzfristigen Mietverträge (sechs oder 12 Monate Laufzeit) belaufen sich auf rund 3.000 US-Dollar. Hierin sind Ladeneinrichtungen, Beschilderung, Beleuchtung, WiFi, Point-of-Sale-Hardware, speziell geschultes Personal sowie gemeinsame Einrichtungen wie Veranstaltungsräume, Lagerräume und ein Social Media Manager enthalten.
Zu den ersten Kunden gehören die schwedische Geschenk- und Accessoire-Marke Printworks, das nachhaltige Wasserflaschenunternehmen Lamose und der Hersteller Herren- und Damen-T-Shirts „The Northern Thread“.
Das Konzept von Fourpost erinnert an Promobo, die in den Hackeschen Höfen und im Bikini in Berlin Designern und Manufakturen die Möglichkeit bieten, Verkaufsboxen zu mieten und in diesen ihre Produkte zu präsentieren. Einen Online-Shop gibt es bei Promobo natürlich auch.
Update 26.03.2020: Der Fourpost-Store in der Mall of America wurde geschlossen, das Team von Fourpost widmet sich anderen Aufgaben. Zu den Hintergründen dieser Artikel von Retail Dive.
Pop-Up Store von Brickspaces
Im Vorweihnachtsgeschäft 2018 zeigte Brickspaces im Kö-Bogen in Düsseldorf, wie Retail-As-A-Service auch mit einem Pop-up-Store funktioniert.
Brickspaces gewann im Januar 2020 mit seinem Kölner Store _blaenk den 8. Europäischen Innovationspreis für den Handel.
Showfields – Das interessanteste Kaufhaus der Welt
Wir haben ausführlich über Showfields berichtet, das Ende 2018 in Manhattan eröffnet wurde. Die meist jungen Händler mieten sich für eine begrenzte Zeit in das Kaufhaus ein. Die gemietete Fläche wird von Showfields möglichst einladend und interessant gestaltet. Daneben bietet Showfields ein Café, Kunstausstellungen, einen Co-Working-Space für junge Unternehmen und weitere interessante Veranstaltungen unter einem Dach.
Und noch mehr…
Dies sind natürlich nicht alle Anbieter und Projekte, die es rund um Retail-As-A-Service gibt. So eröffnete im Dezember 2021 das Start-up Vaund eine Shop-in-Shop-Fläche beim Stuttgarter Premium-Kaufhaus Breuninger. Bereits im September 2020 zog Vaund bei Engelhorn in Hannover ein, im Mai 2021 folgte dann L&T in Osnabrück.
Im Dezember 2021 eröffnete Anja Urbschat in Düsseldorf den localbook.shop, mit dem sie in ihrer Buchhandlung auch andere Sortimente für andere Händler*innen anbieten will.
Retail-As-A-Service als Chance
Stationären Händler*innen bietet sich mit Retail-As-A-Service eine Möglichkeit, entweder das eigene Geschäftsmodell vollständig zu verändern und sich so dem Wandel anzupassen oder auch, weitere Umsätze zu sichern. Voraussetzung für die hier beschriebenen, bereits weit fortgeschrittenen Modelle ist ein tiefes Verständnis von IT und Prozessen, denn diese Konzepte gehen nur bei höchstmöglicher Effizienz auf. Ohne sich selbst zu digitalisieren geht es also auch hier nicht.
Doch dies sollte auch kleine und mittelständische Händler*innen nicht davon abschrecken, sich Gedanken über neue Geschäftsmodelle zu machen. Dies insbesondere, wenn man heute mit einem austauschbaren Standard-Sortiment unterwegs ist. Dies zwingt geradezu zum Blick über den Tellerrand und das Infragestellen des heutigen Geschäftsmodells.
Der dahinter stehende Gedanke ist, das eigene, praktische Wissen um Handelsprozesse und lokale Gegebenheiten auf andere Art für ein Geschäft zu nutzen, als man es bisher getan hat. Etwas Mut und das Loslassen des bisherigen Geschäfts gehören dann noch dazu, den nächsten Schritt zu gehen. Auf geht’s!
Mit innector habe ich eine Wissens- und Lernplattform für kleine und mittelständische Händler*innen und ihre Mitarbeitenden geschaffen, auf der die vielen verschiedenen Aspekte und Herausforderungen der Digitalisierung im stationären Handel bewältigt werden. Mit der 30-tägigen kostenfreien Testphase können Händler*innen diese umfangreiche Sammlung an Kursen, Artikeln, Arbeitsmaterialien, Best Practices, Studien und hilfreichen Tools unverbindlich testen.
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*Shopify ist eine proprietäre E-Commerce-Software. Mit ihr können kleine und mittelständische Händler selbst Online-Shops erstellen.
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[…] Auch Online-Händler drängen zunehmend in die Fläche und eröffnen eigene Läden, wie z.B. Mister Spex, MyMüsli, Amazon oder auch die zurzeit wiederbelebte Marke Toys R Us in den USA. Einen eigenen Laden zu konzipieren und zu betreiben ist oftmals nicht nur teuer, sondern Online-Marken verfügen meist auch nicht über das spezifische Know-how über den Flächenhandel. In diese Lücke springen schon seit einiger Zeit Anbieter, die genau diesen Marken Flächen, Prozesse und Personal anbieten, um sich offline zu präsentieren. Genannt wird dies „Retail-As-A-Service“ und wir haben schon über verschiedene solcher Konzepte berichtet. […]
[…] andere Retail-as-a-Service-Formate haben wir bereits umfassend in dem Beitrag „Retail-As-A-Service: Chance für stationäre Händler?“ […]
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