Differenzierung im Modeeinzelhandel: Studie zeigt, wie es geht
Nach der Pandemie hat sich die Online-Nachfrage im Modemarkt stabilisiert, gleichzeitig sind Verbraucher*innen preissensibler und anspruchsvoller geworden. Zusätzlich sind neue Fast-Fashion-Player wie Shein und Temu in den Markt eingestiegen. Die neue Studie „Standing out in the Sea of Sameness“ von Google und Kantar, für die über 250 Brands und Fashion-Retailer in neun EMEA-Märkten analysiert und allein in Deutschland mehr als 1.000 Konsument*innen befragt wurden, versucht Antworten darauf zu geben, wie die Differenzierung im Modeeinzelhandel gelingen kann.
Die zentrale Aussage der Studie: Differenzierung ist für Händler zu einem entscheidenden Faktor geworden, um sich von ihren Wettbewerbern abzuheben und langfristiges Wachstum zu sichern.
Das Problem: Viele Verbraucher*innen fühlen sich von der Masse an Modehändlern überfordert.
Obwohl deutsche Fashion-Shopper durchschnittlich 25 Händler kennen, kaufen sie nur bei etwa sieben regelmäßig ein. Handelsunternehmen müssen daher ein klares Profil entwickeln, um sich von der Konkurrenz abzuheben.
„Händler müssen ihre eigenen Stärken und die Bedürfnisse ihrer Kund*innen kennen, um erfolgreich zu sein. Bedeutet konkret: Händler müssen eine klare Differenzierungsstrategie entwickeln, um im wettbewerbsintensiven Online-Modehandel zu bestehen“, sagt Claudia Denzel, Direktorin Retail bei Google Deutschland.
Differenzierung wird mit Loyalität belohnt
Ein klares Alleinstellungsmerkmal steigert nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die Loyalität und das Vertrauen der Kund*innen. Differenzierte Händler können sogar höhere Preise durchsetzen und so ihre Margen verbessern.
„Im internationalen Vergleich fällt es deutschen Modehändlern schwerer, ihren USP zu kommunizieren. Hier zeigt die Differenzierungs-Studie eindeutig Handlungsbedarf auf, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Wichtig ist auch zu betonen, dass differenzierte Händler bessere Chancen haben, langfristig zu wachsen“, sagt Gabriele Herrmann-Scharnberg, Direktorin bei Kantar.
Sechs Faktoren der Differenzierung für Fashion-Händler
Die Studie identifiziert sechs Kernfaktoren, auch als strategische Felder zu verstehen, die Modehändlern helfen können, sich zu differenzieren:
- Chic: Trendsetter sein, exklusive Kollektionen anbieten und das Sortiment regelmäßig aktualisieren.
- Unique: Personalisierte Einkaufserlebnisse und individuelle Empfehlungen bieten.
- Community: Kund*inneninteraktion und -austausch fördern, indem bspw. auf Influencer-Partnerschaften und Peer-to-Peer-Empfehlungen gesetzt wird.
- Responsible: Transparent über faire Arbeitsbedingungen und nachhaltige Produktionsmethoden kommunizieren.
- Techy: Technologische Innovation, die das Einkaufserlebnis bereichern und die Interaktion mit Produkten verbessern – u. a. durch Apps, AR-Anwendungen oder smarte Suchfunktionen.
- Fulfillment: Zuverlässige und flexible Bestellabwicklung sowie Lieferung gewährleisten inkl. verschiedene Auswahlmöglichkeiten in Bezug auf Qualität, Größen und Preise anzubieten.
Chic ist der relevanteste Faktor im deutschen Modemarkt
In Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene, zeigt sich, dass insbesondere der Faktor „Chic“, also Trends, Sortimentswechsel oder spezielle Kollektionen eine differenzierte Wahrnehmung treibt. Neben „Chic“ sind die wichtigsten Faktoren zur Differenzierung im Modeeinzelhandel „Unique“ und „Responsible“, gefolgt von „Community“, „Techy“ und „Fulfillment“. Dies bedeutet für den Modehandel: „Chic“ ist zentral, aber um sich erfolgreich gegen den Wettbewerb absetzen zu können, sollten Modehändler auch andere Faktoren und Themen in Erwägung ziehen. Dabei sind sie nicht gefordert, sich in jedem der Faktoren zu differenzieren.
Im Vergleich zu anderen europäischen Märkten sind „Chic“ und „Community“ in Deutschland weniger wichtig, während „Unique“, „Responsible“ und „Techy“ in Deutschland stärker im Vordergrund stehen.
Ein genauerer Blick auf die abgefragten Händler in Deutschland zeigt, dass der Großteil (41 Prozent) eine Differenzierung im Bereich „Chic“ hat, die wenigsten im Bereich „Unique“. Bedeutet: Auch wenn „Chic“ der wichtigste Faktor ist, muss man sich als Händler gegen mehr Konkurrenz mit einer eigenen Positionierung durchsetzen.
Auffällig ist, dass „Fulfillment“ den zweitstärksten Faktor darstellt. Sprich, die untersuchten Händler in Deutschland werden häufig mit Werten wie Produktverfügbarkeit und exzellente Lieferung identifiziert, obwohl dieser „Fulfillment“-Faktor im Hinblick auf die Differenzierung eher unwichtig ist – er wird als „Must-Have“ unter Verbraucher*innen gesehen, treibt aber nicht die Differenzierung. (vgl. nächste Grafik)
Schaut man sich die einzelnen Händlergruppen genauer an, zeigt sich, dass DTC-Marken (Direct-to-Consumer) in Deutschland stärker auf „Chic“ setzen, während Multi-Category-Händler sich durch „Techy“ und „Fulfillment“ auszeichnen.
„Techy“ ist auch bei Multi-Brand-Händlern stärker ausgeprägt. „Unique“ und „Community“ weisen insgesamt geringere Differenzierungsprofile auf. Die Händler, die sich hier am meisten hervorheben, sind DTC-Marken.
„Unsere Studie zeigt, dass Direct-to-Consumer-Geschäftsmodelle im Modemarkt eine stärkere Differenzierung gegenüber anderen Geschäftsmodellen erreichen – konkret sind es 40 Prozent gegenüber 14 Prozent bei Multi-Brand-Händlern. Gerade diese Multi-Brand- und Multi-Category-Händler sollten es als Ansporn sehen, ihre Markenidentität zu stärken und gezielter zu kommunizieren. Händler müssen lernen, wie Marken zu denken“, sagt Claudia Denzel.
Tipps für den Erfolg
Die Studie gibt drei Empfehlungen, die Fashion-Retailer berücksichtigen sollten, um ein langfristiges Wachstum zu sichern.
- Nische finden: Der deutsche Modehandel ist wenig differenziert. Händler sollten sich auf ihre Stärken konzentrieren und ihre Mitbewerber kennen. Nicht jeder Händler kann und muss in allen Differenzierungsfaktoren glänzen.
- Stärken kommunizieren: Selbst erfolgreiche Händler werden oft nicht als einzigartig wahrgenommen. Daher sollten sie betonen, was sie besonders macht.
- Kund*innen in den Fokus rücken: Händler sollten die Style-Trends ihrer Zielgruppe kennen, ein Community-Gefühl schaffen und das Einkaufserlebnis personalisieren.
Was ich denke
So plausibel und einfach es klingt, sich vom Wettbewerb abzuheben, so komplex und aufwendig wird es in der Praxis. Doch es führt kein Weg daran vorbei, wenn man sich in einem kompetitiven Umfeld behaupten will. Und das gilt nicht nur für den Modeeinzelhandel. Alle Handelsunternehmen, die nicht über ein exklusives Sortiment verfügen, stehen vor der Herausforderung, einzigartig, sichtbar und als wertebasierte, verantwortungsvolle und damit vertrauenswürdige Marke wahrgenommen zu werden.
Viele Handelsunternehmen, mit denen ich spreche, wissen darum und arbeiten daran, den gestiegenen Erwartungen der Konsument*innen gerecht zu werden. Ist es leicht? Nein. Geht es schnell? Nein. Kann das die Marketingabteilung allein leisten? Nein. Es ist ein anderes Mindset, sich als Begleiter*in oder Freund*in der eigenen Kund*innen zu begreifen und emotionale Bindungen zu ihnen einzugehen. Dies kann nur gelingen, wenn das ganze Unternehmen „auf diese Art tickt“. Wenn das nicht gelingt, wird die fehlende Authentizität sichtbar, Glaubwürdigkeit und Vertrauen gehen verloren.
Doch es kann gelingen und führt zu einer noch engeren Kundenbindung und zu einer Differenzierung vom Wettbewerb, einer Einzigartigkeit, die für das Überleben in umkämpften Märkten elementar ist. In diesem Sinne: Keine Angst vor großen Aufgaben!
Die Studie (EN) kann hier kostenfrei und ohne Registrierung heruntergeladen werden.
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