Wer löst es auf, das Curated Shopping Dilemma des stationären Handels?
Curated Shopping ist mit eines der Kernkompetenzen des stationären Handels – Beratung von Mensch zu Mensch ist ein großes Kaufargument. Aber warum wird dieser Service immer mehr im Internet gesucht?
Wir testeten selbst
Ein wesentliches Element, um sich ein objektives Bild von der Welt zu machen, ist das Eintauchen in derselben. Genau das haben wir bereits vor 4 Jahren getan, als Outfittery als Curated Shopping Werbung in unserer Facebook Timeline erschien. Also schnell ein Profil angelegt, ein Tag danach mit der Fashion-Beraterin telefoniert und anschließend mit Spannung auf das erste Paket gewartet. Die Erwartung wurde anfangs erfüllt, wir waren von dem Service begeistert, mittlerweile sind wir aber wieder davon abgerückt: Mit dem Wachstum des Unternehmens verschwand die individuelle Betreuung, der USP war weg, wir haben uns wieder abgemeldet. Aber das ist ein Thema für einen anderen Beitrag.
Aber Moment mal, da war doch etwas? Cutated Shopping heißt doch nichts anderes als dass ein individuelles Angebot durch einen persönlichen Kontakt erstellt wird? Und warum passiert das jetzt im Internet, dem unpersönlichsten aller Verkaufskanäle? Genau das ist doch die Domäne des lokalen Retailers, der Modehäuser, geschultes Personal und durch seine Loyaltykarten auch direkte Kundenkontakte hat.
Wer lässt sich die Butter vom Brot nehmen?
Irgendetwas scheint hier schief zu laufen! Lässt sich der stationäre Handel etwa die Butter vom Brot nehmen, indem er sich bei dem Thema schlafen legt? Genau der Eindruck kann entstehen, wenn man sich folgende Entwicklung einmal ansieht:
Nach dem großen Wachstum von Outfittery und Modomoto (die jetzt zusammengegangen sind) begann endlich der erste tradierte Modehändler, nämlich Peek und Cloppenburg, das Thema anzugehen. Allerdings nicht so, wie erwartet: Statt in den wirklich gut gemachten Stores einen persönlichen Einkaufsberater zur Verfügung zu stellen, begann man als Kopie des Wettbewerbs mit dem eigenen E-Shop Fashion-ID dieses zu realisieren. Im April 2015 ist man gestartet, um allerdings im Januar 2016, also nach weniger als einem Jahr, das Thema wieder einzustellen. Diese kurze Lebenszeit lässt den Eindruck entstehen, dass es sich um eine Managemententscheidung ohne langfristige Perspektive gehandelt hat. Aktuell gibt es eine Anzug-Beratung, die allerdings nicht personalisiert ist.
Kurze Zeit später hat man für wenige Monate ein echtes Curated Shopping in Düsseldorf angeboten, aber auch dieses Format war nach 4 Monaten nicht mehr am Start. Unser Erfahrungsbericht aus der Zeit war sehr positiv, das Konzept hat sehr überzeugt.
Diverse Experten wie z.B. die Outfittery-Gründerin Julia Bösch bezweifeln das fehlende Marktpotenzial eines derartigen Services. Das reale Wachstum und die Investitionsbereitschaft verschiedener Geldgeber in ihr Start up sind nicht das alleinige Indiz. Das Potenzial, die Zielgruppe Männer in einer ganz anderen Art und Weise zu bedienen, ist eine klare Blue Ocean Strategie und damit ein neuer Weg der Marktbearbeitung.
Das Potenzial kann gehoben werden!
Man sieht an diesem Beispiel, dass der klassische Handel mit dem Thema Digitalisierung immer noch seine Probleme hat. Man kann aber diese Schwäche auch in eine Stärke umwandeln, und unter diesem Aspekt ist der Rückzug aus einem Markt, in dem man eh nicht gut aufgestellt ist, vielleicht sogar ein kluger Schachzug! Das gilt allerdings nur, wenn man sich auf seine Stärke besinnt: Das man vor Ort ist! Das wünschen sich viele, denn sonst würde Outfittery nicht einen echten Showroom mit echten Menschen in Berlin eröffnen! Das, was P&C seit dem Jahre 1900 besitzt und in 15 Länder mit 12.000 Mitarbeitern expandiert hat. Aus diesem Präsenzkapital lässt sich sicher eine erstklassige „Onsite Curated Shopping Experience for Men“ gestalten, ein Versuch mit ordentlich Marketing dahinter ist es allemal wert. Nette Mitarbeiter/Innen, die mit Empathie und Sortimentskenntnisse den Kunden Zeit sparen und wesentlich mehr anbieten können als jede Box aus dem Internet.
Es wird Zeit, dass gerade die stationären Fashion Retailer den Trend erkennen und für sich nutzen. Der Kundenwunsch ist da, das beweisen die wachsenden Zahlen der Internetangebote.
Die ureigene Domäne des stationären Handels, im direkten Kontakt Mehrwert für den Kunden zu bringen, war immer eine besondere Stärke. Ist sie verloren gegangen? Ich bin gespannt auf die Kommentare!
Fotoquelle: Fashion ID Stilbox
Hallo Herr Rehme,
Danke für den mal wieder sehr deutlichen Artikel! Ich bin immer wieder erstaunt, wie Sie und Frau Scholz in kurzen Zeilen Themen auf den Punkt bringen.
Ich sehe mit großer Sorge, wie der stationäre Handel das einzige Potenzial das er gegen den vermeintlich übermächtigem Internethandel hat, krampfhaft versucht loszuwerden: in dem er hilflos rumprobiert das zu kopieren, was der ‚Feind‘ vormacht. Dabei geht das, was der (noch treue) stationäre Käufer sucht, verloren: individuelle Beratung und Betreuung. Wann erkennen wir als Gruppe der Einzelhändler, das nicht alle neuen Besen für jeden Bereich gleich gut kehren?
Hallo Frau Zimmermann,
Gott sei Dank gibt es aber auch viele Positiv-Beispiele, über die wir hier auch oft genug berichten. Aber leider werden diese viel zu selten als Vorbild für die eigene Weiterentwicklung genutzt, Schade! Was wir aktuell sehen ist folgendes: Einen großen Unterschied zwischen Händlern, die echtes Unternehmerblut in den Andern haben, den Abwartern und den „sich selbst abgeschriebenen“. Sie wissen wie ich, wer gewinnen wird!
Beste Grüße Frank Rehme