Einkaufsatmosphäre (4/6): Der richtige Ansatz zählt
Heute bieten sich Einzelhändlern vielfältige Möglichkeiten, sich an das veränderte Einkaufsverhalten der Kunden anzupassen. Doch welche Strategien eignen sich für Händler und welche führen zum Erfolg? Wieso gehen Kunden noch in ein stationäres Geschäft, wenn sie inzwischen alles online bestellen können? Was sind aus Kundensicht die Gründe im stationären Handel einzukaufen? Sind es vielleicht digitale Angebote?
Die Stärken des stationären Handels
Erstens, die Beratung in den stationären Geschäften ist personalisierter, professioneller und auf den Kunden zugeschnitten. Zweitens, der Einkauf im Geschäft ist ein Erlebnis, besonders das Erleben der Ware, die Produkte zu sehen, anzufassen, an- und auszuprobieren. Diese den stationären Handel charakterisierenden Eigenschaften kann der Online-Handel heute noch nicht anbieten. Trotzdem muss sich der stationäre Handel weiterentwickeln und im digitalen Zeitalter für die neuen Kundengruppen Neuartiges und Interessantes bieten.
Möglichkeiten zur Digitalisierung sind vielfältig
Lösungen und Technologien gibt es inzwischen viele, sie sind beinahe ebenso zahlreich und vielfältig wie die Händler selbst.
- Für große Filialen wie Supermärkte oder Kaufhäuser ist es wichtig zu wissen, wo genau sich die Kunden wie lange aufhalten, wohin sie gehen und wie ihre Wege aussehen. So kann nicht nur die Ladenplanung optimiert werden, auch Angebote lassen sich besser platzieren.
- Hingegen geht es in Fachgeschäften vor allem um eine gute Beratung. Hier helfen interaktive Bildschirme, intelligente Umkleidekabinen oder mobile Geräte für Verkäufer, um die Beratung zu verbessern, die Abverkäufe und vor allem die Loyalität der Kunden zu steigern.
- Neue Kassensysteme, Augmented oder Virtual Reality-Systeme für interaktive Erlebnisse, Indoor-Navigation sowie viele weitere Technologien und Lösungen runden das Angebot ab.
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Wo soll der stationäre Händler ansetzen?
Mit digitaler Hilfe kann eine ganz neue Form des Einkaufens entstehen. Aber es geht nicht darum, das stationäre Geschäft mit Technik in jeder Ecke vollzustellen. Nein, die Technik ist nur Mittel zum Zweck. Wichtiger ist, dass der stationäre Handel das Kundenerlebnis neu erfindet. Doch ein Kundenerlebnis ist kein Vorgang, es ist die Verführung zum Kauf. In den vergangenen Jahren hat es der stationäre Handel verlernt, den Kunden in Versuchung zu bringen. Er ging davon aus, dass der Kunde früher oder später ins Geschäft kommt.
Hinweise für digitale Angebote
Eine Lösung bieten digitale Handelskonzepte. Vielversprechend sind jene Konzepte, die digitale Angebote nutzen, um die Stärken des stationären Geschäfts zu ergänzen und auf den wichtigsten Vorteil einzahlen, den dieses gegenüber dem Onlinegeschäft hat: Eine qualitativ hochwertige Beratung und damit ein Einkaufserlebnis, das weit über die reine Versorgung hinausgeht.
Shopping versus Buying
Es wird in Zukunft eine klare Unterscheidung zwischen Shopping und Buying geben. Shopping wird zur Freizeitaktivität, eine „immersive experience“ für alle Sinne, die eine emotionale Reaktion auslöst. „Buying“ ist dagegen die tägliche Bedarfsdeckung. Beim Shopping ist die Entscheidung in ein Geschäft zu gehen eine Willensentscheidung und nicht mehr von Bedarf getrieben. Für Händler besteht somit die Herausforderung, aber auch Chance, attraktive Produkt- und Erlebnisangebote zu schaffen.
Communities als Zielgruppen
Dass Menschen das Gemeinschaftserlebnis suchen und für ihr Wohlergehen benötigen, ist nicht neu. Beim Shopping wird das Erlebnis mit Freunden und Familie gesucht. Man geht gemeinsam einkaufen, möchte dabei kommunizieren, sich austauschen und auch gemeinsam Einkaufserlebnisse teilen.
Schwesterherzen bietet „Mein KLEIDERZIMMER“
„Hättet ihr gerne einen Laden voller Kleider für euch und eure Freundinnen ganz alleine? Wir machen’s möglich!“ Also individuelle Modeberatung und Zeit mit den Freundinnen beim Einkaufen verbringen. Damit werben die drei Schwestern Gaby, Sonja und Linda für ihr Einkaufserlebnis in ihrem Store, das die Kundinnen erwarten können. „Mein KLEIDERZIMMER“ nennt sich dieses Geschäft.
Das stationäre Geschäft bietet zwei Varianten zum Einkaufen:
- Ein separater Raum im Geschäft, ein Kleiderzimmer, das von den Kunden im Voraus über das Internet gebucht werden kann. Es bietet ein ganz persönliches Einkaufserlebnis: Ein privater Umkleidebereich mit jeder Menge Kabinen, Spiegeln, Sitzmöglichkeiten, Sekt, Snacks und Häppchen. Mit fahrbaren Kleiderständern dürfen sich die Gäste im ganzen Laden ihre Lieblingsteile aussuchen. Zurück im Kleiderzimmer wird alles Ausgesuchte in Ruhe anprobiert. Und die individuelle und persönliche Modeberatung ist natürlich immer eingeschlossen.
- Das Kleiderzimmer im kompletten Laden kann nach den offiziellen Öffnungszeiten reserviert werden. Der gesamte Store wird anschließend zu einem privaten Kleiderzimmer umgebaut und für das einzigartige Einkaufserlebnis angeboten. Natürlich mit Sekt, Snacks und Häppchen, das macht das Einkaufen einzigartig.
Über Mein KLEIDERZIMMER haben wir auch in einem anderen Beitrag „Schwesterherzen zeigt, wie man Stärken des Handels in einem Servicepaket vereint„.
Bei Mein KLEIDERZIMMER wird das Shopping als Einkaufserlebnis in der Gemeinschaft mit Freunden und Freundinnen zusammen mit individueller Beratung eindrucksvoll umgesetzt. Hinzu kommt, dass die Menschen sich Zeit nehmen, beim Einkaufen kommunizieren und Essen und Trinken. Einkaufen wird zum sozialen Erlebnis. Mein KLEIDERZIMMER zeigt auch, wie das Geschäft zum Point of Experience wird, auch ohne viel Digitalisierung: Das einzige digitale Angebot ist der Webauftritt von Mein KLEIDERZIMMER, auf der die Kunden das Kleiderzimmer und die Pakete buchen.
Das Geschäft als Point of Experience
Kunden kaufen keine Produkte mehr, sondern in letzter Konsequenz „Experiences“, so auch bei Mein KLEIDERZIMMER. Wenn die Menschen in einem Geschäft zusammenkommen, geht es um das Erlebnis an sich. Für die Händler bedeutet das, ein überzeugendes Marken-, Produkt- und Service-Erlebnis zu schaffen und ihre Erfolgsparameter grundsätzlich zu überdenken.
Nahtlos integrierte Technologie
Ein erfolgreiches stationäres Geschäft setzt in Zukunft auf diskrete und unaufdringliche Technologie, die im Hintergrund das In-Store-Erlebnis aufwertet. Technologien sind mittlerweile so weit entwickelt und allgegenwärtig, dass sie sich nicht mehr von anderen Lebensaspekten abheben. Shytech bezeichnet diese digitale Lifestyle-Kultur, die den Fokus auf intuitive Interaktionsflächen, Benutzeroberflächen, die sich in ihre Umgebung einfügen und auf die Lösung konkreter Use-Cases legt. Dementsprechend wird eine nahtlos in die Infrastruktur integrierte Technologie der Kernaspekt des physischen Handels der Zukunft.
Showrooming statt Produktverfügbarkeit
Nicht alle Produkte werden im stationären Retail noch erhältlich und mitnehmbar sein. Dank sich stetig verbessernder Liefer-Services, die Verbrauchsgüter mittlerweile völlig selbständig nachbestellen, sind die Zeiten endgültig vorbei, in denen Bedarf besteht, Produkte des täglichen Lebens in einem physischen Laden zu kaufen. Als Konsequenz daraus verändert sich die Motivation für die Kunden grundlegend, einen physischen Store zu besuchen. Entsprechend müssen sich nun auch die Händler neu orientieren und den Fokus auf spezialisierte, originelle Ware verlagern. Um diese Transition erfolgreich zu meistern, müssen Markenunternehmen nicht nur ihr In-Store-Angebot überdenken, sondern auch dessen Präsentation und Merchandising.
Showrooming bei Bonobos
Immer mehr digitale Marken investieren in jüngster Zeit in den stationären Handel und eröffnen stationäre Geschäfte. In den Reigen derer reiht sich neben Bonprix (Fashion Connect – Bonprix Future Store in Hamburg) auch der Online-Herrenausstatter Bonobos. Dort werden die stationären Geschäfte «Guideshops» genannt. Ähnliches probiert auch der deutsche Versender Outfittery mit temporär geöffneten «Styling Lounges», etwa an Flughäfen.
Im stationären Handel führt mittlerweile kein Händler mehr in seinem Sortiment alle Produkt in jeder Ausführung. Bonobos setzt in seinen Guideshops daher auf Showrooming. Die Geschäfte führen das komplette Sortiment auf relativ kleinem Raum. Im Lager des Geschäftes ist zwar jeder Artikel des Sortiments, aber immer nur ein Stück von jeder Konfektionsgröße.
Der Kunde kann sich im Laden beraten lassen, jedes Kleidungsstück anprobieren, nur nicht mit nach Hause nehmen. Nach Abschluss des Kaufs, gibt der Verkäufer eine Bestellung im Bestellsystem von Bonobos auf und die Ware wird per Post an die Wunschadresse geliefert. Kunden können auf Verdacht vorbeischauen oder vorab mit einem der Styleberater einen Termin vereinbaren. Auch die Retoure einzelner Produkte ist vor Ort im Laden möglich.
Ein Video zeigt eindrucksvoll die Philosophie des Bonobos «Guideshops».
Das Konzept besitzt Vorteile in der reduzierten Lagerhaltung, geringeren Betriebskosten aufgrund niedrigerer Raummieten und größere Umsatzchancen durch das vollständige Markenangebot. Der Kunde differenziert mittlerweile nicht mehr zwischen den Kanälen, daher macht es für den Bonobos-Kunden keinen Unterschied, ob er online oder offline einkauft – er kann offline seine aus der Onlinewelt empfundenen Erwartungen erfüllen lassen.
Individuelle Beratung und persönliche Erlebnisse
Jeder stationäre Händler, der seine Kunden dazu motivieren will, sich in sein Geschäft zu bewegen, muss nicht nur bezüglich Sortiment und Lieferung mit dem Onlinehandel gleichziehen. Nein, er muss sich überlegen, welchen Mehrwert er dem Kunden überhaupt durch einen Besuch in der stationären Filiale bieten kann, welche einmalige Erfahrung das Ladenlokal attraktiv machen könnte.
Die stationären Händler müssen ihren Kunden individuelle Beratung und persönliche Erlebnisse bieten, idealerweise an einem Ort, der für sie bequem zu erreichen ist. Den stationären Touchpoint mit einem Erlebnis aufladen, das sich in erster Linie positiv auf die Wahrnehmung der Marke auswirkt, ist die große Herausforderung für den stationären Handel.
Quadratmeterproduktivität gehört der Vergangenheit an
Der Erfolg eines stationären Geschäftes bemisst sich nicht mehr am Deckungsbeitrag oder Filialergebnis. Stattdessen muss vielmehr die Rolle in der Customer Journey, die Bedeutung für Branding und Markenloyalität bewertet werden, schlicht der Beitrag zum stationären und Omnichannel-Umsatz. Und dazu gehören dann auch die Beiträge durch Basisdienste wie Click & Collect oder Retourenannahme. Das ist dann eine ganz andere Herausforderung für digitale Angebote.
Weitere Beiträge zur Einkaufsatmosphäre
Zum Thema Einkaufsatmosphäre sind eine Reihe von Artikeln exklusiv für unsere Unterstützer erschienen. Sie erhalten als Unterstützer diese Artikel auch als Whitepaper.
- Einkaufsatmosphäre (1): Ladengestaltung, Produktpräsentation und Menschen
- Einkaufsatmosphäre (2): Vorteile des stationären Handels gezielt ausspielen
- Einkaufsatmosphäre (3): Verbindung von Offline mit Online
- Einkaufsatmosphäre (5): Bezahlen und Check-out
- Einkaufsatmosphäre (6): Das stationäre Geschäft als Erlebnis
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[…] Aktuell verfolgen die Showroom-Strategie vor allem Online-Händler, die stationäre Geschäfte eröffnen. Beispiele sind Herrenmode-Händler wie Bonobos und SUITSUPPLY oder MM.LaFleur für Damenkleidung. In einem früheren Beitrag ist das Showrooming-Konzept bereits detailliert beschrieben: „Einkaufsatmosphäre (4): Der richtige Ansatz zählt„. […]
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