Innenstädte: 5 Tipps für den Umgang mit der Krise
Kaum ein Tag vergeht, an dem sterbende Innenstädte nicht beklagt werden. Gerade die erneute Pleite von Galeria Karstadt Kaufhof hat die Diskussionen über die zukünftige Ausgestaltung von Innenstädten wieder entfacht. Wir sehen zurzeit die Veränderungen wie in einem Zeitraffer. Die Menschen in den Innenstädten, Händler*innen, Gastronomen, City-Manager*innen, Wirtschaftsförderung etc., schwanken zwischen Resignation, Verzweiflung, Aktionismus und guten Ideen. Die Suche nach schnellen und möglichst einfachen Lösungen läuft auf vollen Touren. Doch kann es solch eine Hilfe in der derzeitigen Situation überhaupt geben?
In vielen Diskussionsrunden rund um das Thema der zukünftigen Strukturen und Aufgaben von Innenstädten und der Rolle des stationären Einzelhandels in ihnen sind mir wiederkehrende Muster aufgefallen. Diese sind in unterschiedlichen Ausprägungen in allen Städten, Kommunen oder Stadtteilen spürbar. Sie bremsen oder verhindern sogar die notwendigen Veränderungen.
Hinzu kommt, dass die akut drängenden Probleme der Unternehmer*innen immer größer werden. Wer um seine Existenz kämpfen muss, braucht nicht noch eine weitere Baustelle. Doch hier geht es um Problemstellungen, die von Krisen zwar beschleunigt, aber nicht hervorgerufen wurden. Sie werden also bleiben, ganz unabhängig von Krisen. Eine solche Zeit mit einem derartigen Veränderungsdruck mag auch Dinge beflügeln. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert!
Meine Tipps für den Umgang mit der Krise:
1. Vom 80er-Jahre-Bild der Innenstadt lösen
Die „gute, alte Zeit“ wird ja nicht nur im Handel gern beschworen. In den Köpfen sind heute noch die Bilder der 80er Jahre verhaftet, als die weitgehend nur aus Geschäften bestehenden Einkaufsstraßen mit Menschen gefüllt waren und es einen Online-Handel nicht gab. Dorthin zurück wünschen sich viele. Das ist ebenso verständlich wie kontraproduktiv.
Denn ein Zurück kann es nicht geben. Diese Zeit wird nicht zurückkommen, selbst wenn wir den Online-Handel reglementieren oder alle Handelsriesen ihre Steuern brav in Deutschland oder der EU zahlen würden. Also raus aus den Köpfen mit diesen Bildern. Das macht Platz für eine zeitgemäße Sicht auf die ehemaligen Shopping-Meilen als neue Orte der Freizeitgestaltung.
Welche Nutzungskonzepte werden wir zukünftig in den Innenstädten sehen, jenseits von Shoppen und Arbeiten? Werden wir auf die Wohnungsnot reagieren und die Menschen wieder in die Innenstädte holen, um dort zu leben? Wollen wir mehr Grün- und Erholungsflächen anbieten? Spielplätze, Kitas, Manufakturen, Wohn- und Lebensprojekte und und und? Wie müssen sich die Städte baulich verändern, damit sie sich im Sommer nicht so aufheizen? Stichwort: Klimakatastrophe. Welche Mobilitätskonzepte benötigen wir, damit die Menschen sich bequem, sicher und klimaneutral in den Städten bewegen können? Werden Klein-, Mittelstädte und sogar Dörfer aufgrund von immer mehr Arbeit im Home Office starken Zuzug erleben und was würde das für ihre Infrastrukturen bedeuten? Verschiedene aktuelle Co-Working-Initiativen zeigen, dass dies nicht nur ein Thema für große Städte ist.
Der Handel wird in den Innenstädten immer eine wichtige Rolle spielen, ebenso wie Gastronomie und Kultur. Wir sollten darüber diskutieren, wie dieser Mix vor Ort und jedes Mal anders ausgestaltet und mit neuen Konzepten ergänzt wird, die neben allen kommerziellen Aspekten auch nicht-kommerzielle berücksichtigen müssen.
2. Eigeninitiative
Ich höre oft von Beteiligten auf Veranstaltungen, dass sich viel Frust angesammelt hat. Verschiedene Aktionen wurden geplant und durchgeführt. Händler*innen, Gastronomen, City-Manager*innen investierten viel Energie und/oder Geld in Projekte, die nicht immer so erfolgreich waren, wie alle es sich gewünscht hatten. Doch oftmals blieb eine detaillierte Analyse der Gründe für das schlechte Ergebnis aus. Im Nachgang wurde oft nicht mehr betrachtet, ob die Idee nicht so gut, die Durchführung suboptimal oder auch schlicht die Erwartungshaltung zu hoch war. Alle sind frustriert und kaum zu weiteren Maßnahmen zu bewegen. Geblieben ist ein „funktioniert nicht, haben wir schon probiert“.
Auf nicht wenigen Veranstaltungen sehe ich Menschen, die im Auditorium leicht zurückgelehnt, mit verschränkten Armen sitzen. Ich muss nicht Psychologie studiert haben, um zu sehen, dass hier der Zugang schwer werden wird. Doch auch, wenn wir alle Verständnis für angestauten Frust oder sogar Wut haben. Es nützt nichts. Verweigerung oder ein „sollen doch die anderen erstmal was machen“ führt unweigerlich zu einer weiteren Verschärfung der Situation für alle. Auch hier heißt es, Vergangenes zurückzulassen und nach vorn zu schauen. Und dies bringt mich zum nächsten Punkt.
3. Alle an einen Tisch
Die jetzt stattfindende Transformation der Innenstädte kann nur für alle Beteiligten gut ausgehen, wenn sich auch alle engagieren. Die Erkenntnis, dass die Rettung nicht durch einen einsamen Heroen auf weißem Ross kommen wird, ist banal. Und dennoch sehe und höre ich oft, dass die Verantwortung anderen zugeschoben wird. Die Lösung der Probleme soll bitte jemand anderes vollbringen, man selbst sei ja mit dem Tagesgeschäft schon ausgelastet genug.
Es ist vollkommen klar, dass ein Engagement für die Neugestaltung des eigenen Umfelds zusätzliche Ressourcen benötigt. Und niemand behauptet, dass es ein Spaziergang wird. Auch wird nicht jede* immer und bei jeder Aktion vollen Einsatz zeigen können. Doch genau hier hilft die Gruppe, die Gemeinschaft, die immer zu mehr imstande ist als einzelne Akteure. Also bringen Sie sich ein, wo Sie möglichst viel zur Zielerreichung beitragen können. Unterstützen Sie, wo es nur geht andere dabei, dass sie ihre Aufgaben möglichst gut wahrnehmen können. Schaffen Sie Mechanismen und auch Verpflichtungen für alle, damit gesteckte Ziele erreicht werden können.
Engagieren Sie sich dafür, dass einerseits die Diskussionen auf breiter Ebene erfolgen, andererseits aber immer zielgerichtet bleiben. Das hört sich nach der Quadratur des Kreises an, ist aber machbar. Natürlich müssen alle Akteure an besagten Tisch: Händler*innen, Gastronomen, Dienstleister*innen, Handwerker*innen, Immobilienbesitzer*innen, Vertreter*innen der Stadt/Kommune und je nach Situation noch weitere. Doch nicht bei jeder Diskussion müssen auch immer alle anwesend sein. Was dazu führt, dass es eine zentrale Steuerung geben muss. Nehmen Sie hier z.B. Ihr City-Management oder jemand anderes aus der lokalen Verwaltung in die Pflicht.
Eine Möglichkeit, sich zu engagieren und vom Input vieler Expert*innen zu profitieren, sind die Stadtretter. Mittlerweile engagieren sich über 1.200 Menschen in dieser Initiative.
4. Zentrale Koordination mit Rückendeckung
Komplexe Veränderungsprozesse müssen gemanagt werden. Die bei der Ideengenerierung und Umsetzung erwünschten Gruppendynamiken müssen kanalisiert und auf die vereinbarten Ziele ausgerichtet werden. Hierfür benötigt jede Stadt eine Projektleitung. Sie koordiniert die handelnden Personen und Maßnahmen, sorgt für die notwendige Kommunikation und fungiert als Ansprechpartner für alle.
Die zweite wichtige Funktion dieser Stelle ist, immer wieder Impulse zu setzen oder von den Beteiligten einzufordern. Sie ist also nicht nur Koordinator, sondern auch Motivator (und manchmal leider auch Blitzableiter).
Es leuchtet ein, dass diese zentrale Funktion nicht neben anderen Aufgaben erledigt werden kann, sondern ein Full-Time-Job ist. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass diese Projektleitung möglichst frei von Partikularinteressen ist, also von allen Akteuren in der Stadt gleichermaßen als Kompetenz und gestalterische Institution anerkannt und unterstützt wird.
5. Fördermittel nutzen
Man muss nicht immer alles allein stemmen. Wie bereits ausgeführt, können Gemeinschaften den Einzelnen stärken. Und so stellen die Steuerzahler als Gemeinschaft einzelnen Gruppen Mittel zur Verfügung, die den Strukturwandel unterstützen sollen. Nutzen Sie diese Hilfe, die in Form von Fördermitteln auf verschiedenen Ebenen angeboten werden. Wirtschaftsförderung und/oder City-Management sind Ihre Ansprechpartner*innen dafür, einen Überblick über die Möglichkeiten zu erhalten.
Der Deutsche Städtetag übt schon länger Druck auf die Politik aus und fordert, dass Bund und Länder einen größeren Anteil der Fördersummen aufbringt. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund verlangt eine deutliche Aufstockung der staatlichen Mittel für die Entwicklung der Innenstädte.
Diese Mittel aus einer „Paketabgabe“ zu beziehen, wie es aus den Reihen der CDU/CSU immer mal wieder gefordert wird, halte ich jedoch für eine ausgemachte Schnapsidee. Dazu vielleicht in einem anderen Artikel mehr, sollte das Thema noch einmal in der Diskussion auftauchen.
Sterbende Innenstädte können verhindert werden
Ich kann mir vorstellen, wie es jetzt in Ihrem Kopf rattert und wie viele Erlebnisse aus der Vergangenheit vor Ihrem inneren Auge gerade vorbeiziehen. Sie überlegen vielleicht, wie die Akteure in Ihrem Umfeld auf diese Vorschläge reagieren würden und wissen schon genau, wer sich engagieren wird und wer nicht. Schnappen Sie sich diejenigen, die mitmachen wollen und bilden Sie die „Allianz der Willigen“. Allen werden Sie es ohnehin nicht recht machen oder alle begeistern können.
Und vielleicht denken Sie, ich wäre naiv, dass ich denke, dass man auf diese Art etwas verändern kann. Ja, vielleicht bin ich naiv. Doch ich bin es gern, wenn ich dadurch ein klein wenig bewegen kann. Und wenn Sie Erfolgsgeschichten aus Ihrer Stadt haben, kommen Sie gern auf mich zu. Das wird ein für alle unsere Lesenden spannender Beitrag werden.
Bei der Zukunftskonferenz in München, „Marktplatz Innenstadt“, habe ich dazu einen einen Impulsvortrag gehalten. Die Aufzeichnung finden Sie hier, mein Vortrag startet bei Minute 7:30.
Beitragsbild: Stockfoto – Kokulina/Shutterstock
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