Corona als kritischer Wendepunkt für die Nachhaltigkeit
Wir befinden uns in einer seltsamen Zeit. Menschen betrachten einander und die Gesellschaft anders. Wir tragen Masken, schauen herunter und distanzieren uns von Freunden und sogar von der Familie. Viele Familien verlieren ihre Basis. Eltern werden zu Lehrern. Firmen, vor allem kleine Unternehmen, haben zu kämpfen.
Um Einschränkungen zu umgehen, haben die Verbraucher digitale und berührungsarme Lösungen, wie Videokonferenzen und Lebensmittel-Abholungen am Straßenrand angenommen. Der Online-Einkauf hat deutlich zugenommen, hauptsächlich in den Bereichen Lebensmittel, Fitness und Entertainment, wie eine McKinsey & Company Umfrage zeigt. Und die Prognosen sprechen von weiteren Anstiegen.
Die Covid-19-Pandemie stellt für uns alle große Herausforderungen dar, inklusive wie und wo wir konsumieren. Was wird dies für unsere Zukunft bedeuten?
Die Bekleidungsindustrie und Corona
Neben der Tourismus- und Gastronomiebranche ist die Bekleidungsindustrie sehr stark von der Krise getroffen worden, darunter auch mit dem weitreichenden Verlust von Arbeitsplätzen in einer Branche, die Millionen von Menschen weltweit eine Existenzgrundlage bietet.
Hiervon sind viele Mitarbeiter in den großen Modeketten, wie H&M und ZARA, betroffen und die Unternehmen werden große wirtschaftliche Verluste erwarten müssen.
Jedoch beeinflusst die Covid-19-Krise nicht nur die Modeketten, sondern hat das Potenzial zu einer humanitären Krise in Bangladesch und anderen von der Bekleidungsindustrie abhängigen Ländern zu führen, berichtet ELLE. Ohne die Nachfrage der großen Modeketten verlieren die Mitarbeiter der Fabriken nicht nur ihre Arbeit, sondern sind dadurch in ihrer Existenz bedroht.
Eine Umfrage des Zentrums für globale Arbeitnehmerrechte unter 319 Besitzern von Bekleidungsfabriken in Bangladesch ergab, dass mindestens 1,2 Millionen Arbeitnehmer bereits von den Auftragsstornierungen betroffen waren. Bei Zulieferern, die plötzlich und ohne Entschädigung Einkäuferverträge verloren, gaben 72,4% an, dass sie nicht in der Lage waren, ihren Arbeitnehmern ein Grundeinkommen zu zahlen, wenn sie sie freistellen mussten. Mehr als 80% gaben an, dass sie keine Abfindung zahlen konnten, wenn Auftragsstornierungen zu Entlassungen führten.
Aber warum gibt es überhaupt solche Abhängigkeiten, und Lieferketten mit negativen sozial und ökologischen Folgen?
Globalisierung hat eine unglaublich verbundene Welt ermöglicht. Konsumenten haben durch eine größere Mobilität von Gütern und Personen die Möglichkeit, vergünstigt ein umfangreiches Warenangebot einzukaufen. Dennoch verschärft sich der Wettbewerb, durch die Vielzahl der globalen Player, auf den niedrigsten Preis und so wird zunehmend die Produktion in Billiglohnländer verlagert. Es liegt auf der Hand, dass die Schwachen nur wenig Aufstiegschancen haben, während die Starken immer stärker werden. Der hohe Grad der Spezialisierung der verschiedenen Produktionsschritte bedeutet, dass viele Textilprodukte nicht mehr an einem Ort angebaut, bearbeitet und genäht werden, was außer den sozialen Auswirkungen auch noch Nachteile für die Umwelt hat. Siehe als Beispiel: Die Reise eines T-Shirts.
„Faire“ Produktion
Eine der vielen Debatten, inwieweit sich die Wirtschaft von der Corona-Pandemie erholen wird und dabei verändern muss, ist die Rolle der Nachhaltigkeit. Faires Gehalt, gesunde Arbeitsbedingungen und eine Achtsamkeit gegenüber den potentiellen Umweltrisiken zu gewinnen, sollten der Standard sein.
Vor dieser Krise gab es eine allmähliche Verschiebung hin zu einer Präferenz für Waren, die als nachhaltig bezeichnet wurden. Bekleidungsunternehmen, wie zum Beispiel „Two Thirds“, haben ihre Produktion und Lieferketten schon viel nachhaltiger gestaltet. Über ein Vorbestellungssystem können sie abschätzen, wie viele Teile sie von einem Produkt verkaufen werden: Sie produzieren also die Menge, die sie verkaufen.
In einem Interview mit Forbes Magazin, befürchtet Francois Suchet, Leiter der Firma „Make Fashion Circular“, dass eine der Hauptbedrohungen für die Nachhaltigkeitsfortschritte darin besteht, dass in Zeiten der Unsicherheit und Ungewissheit der Anstoß dazu kommen kann, auf bewährte (und weniger nachhaltige) Ansätze zurückzugreifen.
Karl-Hendrik Magnus, Senior Partner bei McKinsey and Company in Frankfurt und Leiter der Gruppe Bekleidung, Mode & Luxus, ist jedoch der Ansicht, dass sich langfristig bei dem Konsumverhalten der Verbraucher die Nachhaltigkeit von Gütern durchsetzen wird.
Daten, die McKinsey bei 6000 Verbrauchern in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Spanien erhoben hat, zeigten, dass 16% nun nach der Wiedereröffnung von Geschäften nach Produkten mit nachhaltigen Referenzen suchen würden, 20% beabsichtigen, ihre Gesamtausgaben für den Rest des Jahres zu reduzieren und 45% würden Unternehmen bevorzugen, die statt mit einem günstigen Preis, mit Nachhaltigkeit werben.
Nachhaltigkeit als kritischer Wendepunkt
Corona wird schon als „Critical Juncture“ für die Digitalisierung und Solidarität genannt. Duncan Green, leitender strategischer Berater bei Oxfam und Professor bei der London School of Economics and Political Science, beschreibt „Critical Junctures“, oder „Kritische Wendepunkte“ als die Skandale, Krisen oder Konflikte, die den Status quo und die Machtverhältnisse auf den Kopf stellen und die Tür für bisher undenkbare Reformen öffnen können.
Warum nutzen wir diese surreale Corona-Krise nicht, um Nachhaltigkeit als das Fundament der Wirtschaft zu machen? Dies könnte unglaublich positive Auswirkungen auf gesellschaftlicher und ökologischer Ebene haben.
Wenn es ein Licht am Ende dieses dunklen Tunnels gibt, kann es sein, dass wir gemeinsam als Konsumenten, als Unternehmen, als Regierung, die Möglichkeit haben, das (Mode-)Geschäft neu auszurichten. Wir müssen das Geschäft überdenken und neu aufbauen und nicht versuchen, zum Business-as-usual-Geschäft zurückzukehren.
Eva Kruse, CEO der Global Fashion Agenda, erklärte Forbes, dass Unternehmen in den Aufbau engerer Beziehungen zu ihren Lieferanten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg investieren müssen, um bessere Einblicke und Auswirkungen zu erhalten und (die Lieferkette) agiler und widerstandsfähiger zu machen.
Länder auf der ganzen Welt beginnen, sich wieder zu öffnen und der Konsum der Menschen wird sich wieder freier von Einschränkungen entwickeln. Wird diese Pandemie ein Umdenken schaffen, das Bewusstsein für soziale und ökologische Nachhaltigkeit schärfen, und so den Konsum der Menschen beeinflussen? Oder werden sich Menschen so bald wie möglich wieder in ihren alten Rhythmus des Überkonsums und der Wegwerfgesellschaft stürzen?
Was wird also unser neues „Normal“ nach Corona?
Wir brauchen ein radikales Umdenken, welches von den verfügbaren planetarischen Ressourcen rückwärts arbeitet, um machbare Produktionsmengen zu extrapolieren. Dies würde an die Stelle des derzeitigen falschen Saisonmodells treten, welches zu Überproduktion führt und versucht, die Nachfrage durch ständig neue und unterbewertete Produkte zu steigern. Die Abfallmenge in der Modeindustrie ist undenkbar und unnötig hoch.
Die Macht der Zukunft des Einkaufens liegt in unseren Händen. Der Konsumenten. Der Unternehmen. Der Regierungen.
Unsere Gastautor*innen:
Hanna Ewell arbeitet als Juniorfachkraft bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Bonn. Sie wurde sehr von ihrer Kindheit in Nairobi, Kenia geprägt, und kann auf ein Bachelor in Umweltpolitik in den USA sowie ein Masterstudium in Entwicklungsmanagement bei der London School of Economics zurückblicken.
Fabian Förster ist Marketing Service Manager bei Cheil Germany GmbH. Momentan beschäftigt er sich für die Firma Samsung mit der strategischen Ausrichtung im Einzelhandel und kann auf Erfahrung mit Namenhaften Kunden, wie Nike oder Dyson, in Europa und den USA zurückblicken.
Beitragsbild: Stockfoto – Tero Vesalainen/Shutterstock
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