ZDE Podcast 126: Die Industrie braucht den Handel – Wirklich!
In Folge 126 unseres Retail Innovation Radios geht es heute um das Thema Handel und Industrie. Wenn man über klassische Partnerschaften nachdenkt, auch Ehegemeinschaften, dann hat man immer ganz bestimmte Bilder im Kopf. Bilder die in die Richtung gehen, dass man sagt, man liebt sich, man schaut sich an, man ist im siebten Himmel, weil alles gemeinsam viel schöner ist als alleine. Zugleich denkt man allerdings auch an solche Themen wie Rosenkrieg, Trennung und dass man dem anderen möglichst alles Schlechte wünscht.
Ähnlich ist es auch beim Verhältnis zwischen Industrie und Handel. Wir sehen immer wieder, dass es bestimmte Konflikte gibt. Mal werden Produkte wieder ausgelistet bei dem einen oder anderen Händler, oder manche Händler werden einfach gar nicht beliefert. Sehr stark hat man das gesehen, als die ersten Markenartikler in Richtung Aldi gegangen sind und viel beim Discounter gelistet haben, was dem Vollsortimentler überhaupt nicht gefiel und man dann dementsprechend über Konditionen noch mal nach gefeilscht hat.
Die Haßliebe oder jeder braucht jeden
Was übrigens am Ende eines jeden Jahres immer wieder passiert, dass man sich zusammensetzt und dann in den Jahresgesprächen über diese Konditionen noch einmal drüber schaut. Man sieht, dass man als Handel und Industrie viel gemeinsam erreichen kann, wenn man an einem Strang zieht. Das sieht die ECR Initiative besonders, die von der GS1 sehr stark getrieben wird. ECR steht für Efficient Consumer Response und da werden Initiativen auf die Straße gebracht, wo Handel und Konsumgüterindustrie gemeinsam an einem besseren Kundenverständnis arbeiten. Da ist das Thema dann aus dem Beispiel, wo man zeigt, dass man gemeinsam viel erreichen kann, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht.
Die Fälle, in denen man ausgelistet wird, haben wir ja gerade gehabt, weil man eben nicht nur mit einem ins Bett steigt, sondern auch noch mit jemand anderen, der dann Discounter heißt. Das ist so oft passiert, dass die Industrie dem Handel sogar vorgibt, was er zu verkaufen hat. Das ist sehr stark im Fashionbereich der Fall und da sehen wir, dass bestimmte Kollektionen in der Gänze abgenommen wird oder man wird eben nicht beliefert.
Man sieht also, dass je nachdem, in welchem Bereich des Handels man unterwegs ist, verschiedene Gesetze gelten. Ich habe eine hochinteressante These gehört von Thomas Wetzlar, den hatten wir schon einmal hier im Podcast gehabt, zum Thema Trends im Handel und Thomas Wetzlar hat das ganze Thema mal beleuchtet. Kann eigentlich die Industrie ohne den Handel?
Folge direkt anhören
Die Folge „Die Industrie braucht den Handel – Wirklich!“ zum Nachlesen:
Frank Rehme: Hallo Thomas, ich grüße dich.
Thomas Wetzlar: Hallo Frank, schön dich wiederzusehen.
Frank Rehme: Thomas du hast mich über eine These, die du aufgestellt hast, ziemlich angefixt. Ich habe dann zu dir gesagt, dass du nicht weiter erzählen sollst, weil wir das gerne in einer Podcastfolge aufnehmen können. Diese These ist sicherlich für unsere Hörerinnen und Hörer richtig interessant. Du hast gesagt, dass die Industrie den Handel braucht.
Thomas Wetzlar: Ja, das stimmt. Ich finde diese Aussage auch überhaupt nicht verwegen, denn wenn ich mir so anschaue, wo sich die Konsumgüterindustrie hin bewegt und was da draußen, der so los ist, dann würde ich sagen Kundenzugang ist King und den Kundenzugang weiß der stationäre Einzelhandel eigentlich besser herzustellen als jeder andere.
Frank Rehme: Da sind allerdings gerade auch die Konsumgüterindustrie sehr stark in der Richtung unterwegs, dass die sagen, wir besorgen uns jetzt eigene Kundenzugänge. Du siehst auch, dass immer mehr Marken Shops online auf einmal auftauchen, bis hin zu bestimmten Flagship Stores, die manchmal unter einem anderen Siegel unterwegs sind. Das zeigt eigentlich, dass gerade der getrennte Weg ausgezeichnet wird.
Thomas Wetzlar: Das ist natürlich richtig. Ich glaube, dass ganz klar ist, dass die Industrie gelernt hat, sich eigene Kundenzugänge zu errichten und auch eigene Wege zu identifizieren, wie man mit dem Kunden kommunizieren kann. In letzter Konsequenz findet jedoch noch ganz, ganz vieles davon vor allen Dingen online statt. Wir sind uns wahrscheinlich alle einig, dass die Industrie das mittlerweile sehr, gut hinbekommt. Sie tummelt sich auch mittlerweile mannigfaltig auf den Online Marktplätzen und tritt da auch in Konkurrenz zu den Händlern, die dann auch versuchen, dort ihre eigenen Sortimente entsprechend anzubieten. Wenn ich mir das stationäre Geschehen anschaue, dann ist dieses Thema Flagship Store und Mono Brand Store ja doch mit sehr hohen Risiken verbunden. Ich denke, dass ein Industriehersteller, oder ein Markenhersteller, der sagt Ich möchte gerne, das Direktvertriebsgeschäft stärken, vielleicht clevere Wege finden kann und auch sinnvollere Wege finden kann, als jetzt eigene Retail Stützpunkte zu eröffnen. Und dass er Wege mit dem stationären Handel, der das ja nun über einen langen Zeitraum hinweg auch an anderen Standorten erprobt und und etabliert hat, findet, um so neue Kooperationsformen zu bilden.
Frank Rehme: Wenn ich mir die Meldungen der letzen 2-3 Wochen im Food Bereich angucke, dann schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen. Ich glaube, dass es so eine große Eiszeit zwischen der Industrie und dem Handel schon lange nicht mehr gegeben hat. Man liest, dass Pepsi Co ausgelistet werden und die Händler mittlerweile europaweit Kooperationen eingehen, um auch mal eine Macht gegenüber den multinationalen Industriekonzern entgegenzustellen. Da ist gerade richtig viel los.
Thomas Wetzlar: Ja, das stimmt. Wobei sich mein Fokus natürlich stärker auf den Bereich Lifestyle Produkte, Consumer Goods, Schuhe, Bekleidung richtet. Da bin ich eigentlich zu Hause. Im LEH haben wir weiterhin den Umstand, dass der stationäre Einzelhandel der unangefochtene Herrscher über den Kundenzugang ist und der im Zweifel auch in der Lage ist und das auch macht, zu diktieren, wo die Reise hingeht. Wenn wir jetzt mal aus dem Bereich Lebensmittel rausgehen und uns anschauen was im Bereich Konsumgüter bei Bekleidung und Schuhen passiert, hat sich das Kräfteverhältnis ganz schön verschoben. Da ist der stationäre Einzelhandel heute nicht mehr in der Position, in der er eigentlich diktiert, wo es langgeht. Das war ganz lange so und das Selbstverständnis vieler Händler ist immer noch das Alte, aber realistisch gesehen hat die Industrie sich hier ganz gewaltig emanzipiert.
Frank Rehme: Auch wenn wir uns auf den Non Food Bereich konzentrieren, sehe ich ähnliche Entwicklungen, alleine schon wie die Industrie vorschreibt, was die Händler einzukaufen haben. Ich kenne viele Händler, die sagen, dass sie dieses oder jenes Produkt gerne gelistet haben möchten, welches sie gerne verkaufen würden, aber dann kriegen sie ganz knallhart vorgeschrieben, welche Artikel sie überhaupt kaufen dürfen und welche sie mit kaufen müssen, die sie eigentlich überhaupt nicht brauchen. Das ist schon fast eine kleine Diktatur.
Thomas Wetzlar: Ja, das habe ich auch erlebt. Ich habe, wie ich beim letzten Mal erzählte, auch lange Zeit an dieser Schnittstelle zwischen Industrie und Handel gearbeitet, also insbesondere auf Industrieseite und hat natürlich viele dieser Entwicklungen auch aus näherer Distanz verfolgen dürfen oder verfolgen können. Ich glaube, dass der Handel das heute nur noch begrenzt mitmachen kann, weil er einfach im Bereich Bekleidung Schuhe so dramatisch unter Druck steht, dass er, obwohl er vielleicht in der Position wäre, sich von der Industrie schon noch gängeln lassen zu müssen, einfach aus seiner Zwangslage heraus, sich immer stärker auf das konzentrieren muss, was er für Bestseller Potential tauglich hält. Das ist, glaube ich, ein Teil des Problems, dass er durch diese starke Optimierung, die er da über Jahre hinweg betrieben hat, auch jetzt, insbesondere in der Vorcoronazeit, weil das kein Thema ist, das jetzt erst mit Corona aufgetreten ist, dass er dadurch eigentlich seine eigene Relevanz immer weiter zurückgefahren und immer weiter beschädigt hat, weil er Endverbraucher gelernt hat, stationär kriege ich eigentlich nur noch so die Basic Produkte, die no brainer Produkte. So wirklich inspirieren will man mich da nicht mehr, da will man eigentlich nur meinen Bedarf in irgendeiner Form irgendwie adressieren und mir die dunkelblaue Jacke oder die Blue Jeans verkaufen, aber das, was mich eigentlich anspricht, was ich vielleicht auf Social Media entdecke, was ich in Zeitschriften entdecke, das finde ich da vor Ort nicht mehr. Da muss man natürlich, wenn man jetzt zurückgeht, auch verstehen woran das eigentlich liegt, was das für ein Hintergrund hat und wie der Händler dazu gekommen ist, sich auf diese Standardprodukte, die NUS gestützten Produkte immer stärker zu konzentrieren. Das ist maßgeblich darin begründet, dass er früher in den Städten der Herrscher über den Kundenzugang war und das, was es bei ihm gab, hat der Kunde an Modewelt erleben können und dass er seit Mitte der Nullerjahre, seit 2005 ca. und die Jahre danach den Wettbewerbs Kanal Online auf einmal vorfindet, in dem der Kunde 24 / 7 eigentlich alles vorfinden kann. Der Kunde, der einmal verstanden hat, dass er online immer alles, zu jeder Zeit und im Zweifel noch zum besten Preis findet, irgendwann nicht mehr kommt, um sich nur Bestseller und Standardartikel zeigen zu lassen. Da haben Industrie und Handel sich vielleicht ein Stück weit auch voneinander entfernt, sich ein bisschen von einander entfremdet, weil die Interessenlage vielleicht nicht mehr ganz deckungsgleich ist.
Frank Rehme: Wenn wir allerdings jetzt mal unsere Bemühungen betrachten, die wir hier auf Zukunft des Einkaufens auch immer wieder haben, zum Thema Vitalisierung von Innenstädten, dann ist es natürlich genau das, was du gerade gesagt hast, dass du nur noch Standardprodukte irgendwo in den Innenstädten findest. Das ist dann Gift für die Frequenz in seiner Innenstadt und natürlich auch für die Aufenthaltsdauer. Eigentlich muss der Handel wie auch die Industrie besonders daran interessiert sein, dass da möglichst abwechslungsreiches Themenfeld unterwegs ist, oder?
Thomas Wetzlar: Ja, das sehe ich auch so. Ich glaube auch, dass die zurückgegangen Frequenzen in den Innenstädten ganz maßgeblich darauf zurückzuführen sind, dass der Kunde sich oftmals einfach nicht mehr inspiriert, oder thematisch vielleicht nicht mehr abgeholt fühlt von den doch stark standardisierten Sortimenten. Der Kunde hat zum anderen auch ganz oft gelernt, dass es sein Produkt nicht mehr gibt, nicht mehr in seiner Größe da ist, oder in dieser Farbe nicht mehr im Lager ist. Ich glaube, dass der Kunde einfach gelernt hat, dass er in der Stadt im stationären Handel eigentlich immer Kompromisse machen muss und das will er nicht. Und dann hat er sich überlegt, der Kompromiss, den er online macht, ist, dass er sein Produkt nicht sofort kriegt, sondern ein, zwei Tage warten muss. Aber ganz offensichtlich, hat der Kunde für sich entschieden, wenn ich mir die Marktentwicklung so anschaue, dass er lieber ein, zwei Tage wartet, als sich regelmäßig ein Nein abzuholen. Das beschädigt natürlich dann das Konzept Innenstadt. Und ich glaube auch, aus meiner Perspektive betrachtet, ist das, was aktuell von der Politik an Aktionismus betrieben wird, in dem zum Teil sogar Kommunen Ladenlokale anmieten und diese dann vergünstigt oder gar kostenfrei irgendwelchen neuen Handelskonzepten zur Verfügung stellen, in der Hoffnung auf diese Art und Weise die Innenstadt wieder beleben zu können, nicht zielführend ist, weil es am Ende an den eigentlichen Interessen des Verbrauchers vorbeigeht und der Sucht, Auswahl und Warenverfügbarkeit. Das erreiche ich beides nicht, wenn ich da ordnungspolitisch irgendwie eingreife und versuche diesen Markt zu manipulieren.
Frank Rehme: Ja, diese Programme, das du gerade erwähnt hast, nennt sich „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“. In dieses ZIUZ Programm ist eine viertel Milliarde Euro rein investiert worden, also für die Städte. Meiner Meinung nach ist das ein Konjunkturprogramm für Vermieter. Die Vermieter müssen zwar auch ein bisschen mit dem Preis runtergehen, aber die kriegen ihre Immobilie dann wenigstens wieder vermietet. Steckt da vielleicht eine irrationale Mussannahme dahinter, bei dem was du gerade gesagt hast? Nämlich, dass die Menschen dann lieber ein, zwei Tage warten und sich die ganzen Sachen online bestellen. Das bedingt ja, dass ich einen Bedarf habe. Bedarfs und Versorgung wird dann sofort online gemacht. Wir sehen auch, dass wir hier in volle Schränke und in volle Regale kaufen. Vieles brauchen wir ja gar nicht mehr. Das muss vom Handel inspiriert werden und das kann der stationäre Handel tausendmal besser als jeder Online-Shop, Wünsche zu wecken und Inspiration dementsprechend mit anzubringen, weil man die Leute multi sensorisch ansprechen kann. Die große Problematik bei Online-Shops ist ja, dass die absolut innovationsfrei sind. Ich stelle diese These einfach mal auf, weil ich das beobachtet habe. Gehe mal auf Google und Google, dann dort mal ein Bild von einem großen Onlineshop von vor 10-15 Jahren. Entweder die mit A oder auch ruhig andere. Du wirst feststellen, dass da fast nichts an Innovationen reingekommen sind, dass immer noch eine Listenaufstellung und Rekombination Ergebnisse angezeigt werden, also der, der das gekauft hat, hat auch das gekauft und das hat mit Inspiration und Wünsche wecken eigentlich sehr wenig zu tun. Das kann der stationäre Handel immer noch am besten. Die meisten Einkäufe, die heute passieren und das merkst du vielleicht auch an deinem eigenen Einkaufsverhalten, sind einfach durch Wünschen und Storytelling geweckt worden. Meiner Meinung nach ist das die Kernaufgabe des stationären Handels der Zukunft und nicht mehr die Versorgung.
Thomas Wetzlar: Ja, das sehe ich auch so. Du hast schon recht und das Thema, dass in volle Schränke verkauft wird, hat uns beim letzten Mal auch schon bewegt. Wenn ich den Bedarf nicht auf emotionaler Ebene wecke, so dass der Kunde sagt, ich möchte es gerne haben, ich brauche es vielleicht gar nicht, aber ich will so gerne, dann wird das bestimmt ganz schwierig. Ausschlaggebend ist, weshalb der Online-Handel auch mit den wie du sagst, veralteten oder vielleicht jetzt nicht mehr als so innovativ wahrgenommenen Methoden immer noch punktet, hängt damit zusammen, dass das Potenzial derer, die ich von einem Online-Kauf überzeugen kann, immer noch immens ist und dass das Wachstumspotenzial, das da noch schlummert, immer noch riesengroß ist. Corona hat sich jetzt wahrscheinlich wie in gigantomanisches Konjunkturprogramm für den Online-Handel erwiesen, gerade durch Lockdown Maßnahmen und jetzt 2g. Man mag sich kaum in die Händler hineinversetzen, was die jetzt auch wieder als Spielball der Politik wieder mitmachen müssen. Das ist wirklich schlimm, gerade in der Weihnachtszeit, die für viele ein ganz wesentlicher Umsatztreiber und Umsatzbringer ist. Da hat der Online-Handel jetzt gerade wie viele finden, einen unfairen Vorteil. Ich glaube allerdings, dass es dabei bleibt, dass Auswahl und Warenverfügbarkeit ein ganz wesentlicher Schlüssel sind, um vom Endverbraucher für relevant erachtet zu werden. Das was der Handel jetzt kann und da bin ich hundertprozentig bei dir, ist meines Erachtens, dass er Wahren zeigen kann, dass er sie inszenieren kann, dass er sie erlebbar machen kann. Du hast das Multi sensorische Ansprache genannt. All das sind Dinge, die ihn fundamentaler Weise vom Online-Handel unterscheiden. Jetzt stellt sich doch meines Erachtens die Frage, wie ich es schaffe diese großen Vorteile des Online Handels, nämlich die große Auswahl und dass alles in jeder Farbe, in jeder Größe, in jeder gewünschten Produktvariante verfügbar ist, das mit einer dezentralen stationären Erklärbarkeit zusammenzubringen. Ich glaube auch, dass wir da einfach einen Schritt weiterdenken und uns von dem Gedanken lösen müssen, dass es entweder online oder stationär verfügbar ist. Vielleicht brauchen wir einen Mittelweg, der eine stationäre Inszenierung zeigt, beispielsweise über Musterteile. Also ich kann eine Jacke in zehn verschiedenen Farben erleben und jede Farbe hängt dort in einer anderen Größe. Wenn ich dann komme und sage, cool, gelb wollte ich immer schon mal haben, dann kann der Verkäufer sagen, Thomas, zieh mal die Grüne an. Die habe ich in deiner Größe da und wenn dir die Grüne passt und dir gefällt, dann kannst du die hier in Gelb in deiner Größe bestellen und bezahlen und kriegst sie nach Hause geschickt. Dann erreiche ich etwas, was den stationären Handel meines Erachtens in fundamentaler Weise von einem Online-Handel unterscheidet, in dem ich als Endverbraucher meine Kaufentscheidung in einem viel höheren Grad vor qualifiziert habe, als wenn das Wohnzimmer meine Ankleide ist. Ich habe dann auch zum Zweiten als Händler dem Endverbraucher noch zusätzliche Services ausgeliefert, wie eine Beratung, das Anprobieren, das Anfassen und das Vergleichen vor Ort. Mit all diesen Dingen kann ein Handel meines Erachtens ganz viele neue Relevanz für sich erschließen und auch den Endverbraucher wieder davon überzeugen, dass es eben doch einen Mehrwert stiftet, zu ihm zu kommen. Heute wird ja oft so argumentiert, dass der Endverbraucher in die Stadt kommen soll, um den stationären Handel zu retten. Das ist so uninspiriert und kein Kunde geht in die Stadt, weil er sagt, er geht da jetzt hin, um den Händler zu retten. Das macht er nicht. Er geht da nur hin, weil er dort etwas findet, was ihn inspiriert. Er findet da was, was er gerne haben möchte. Diese Erwartungshaltung, dass da jetzt einer kommt und mich rettet, weil ich schon immer da war und weil ich auch in Zukunft da sein soll, führt uns glaube ich ins Nirgendwo. Deshalb glaube ich, dass das der Handel und die Industrie dieses Direct to Consumer Geschäft, welches gerade massiv wächst, total nachhaltig gemeinsam betreiben können. Sie können Retourenquoten senken, sie können Kauferlebnisse damit schaffen und ich denke, dass da ein ganz wesentlicher Schlüssel für die Zukunft liegt.
Frank Rehme: Das sehe ich genauso. Vor allem führt das zu ganz anderen schlechten Renditen, weil ich nicht alle Größen in allen Farben da haben muss, sondern ich bin praktisch erst mal nur eine Art Showroom und dahinter habe ich das größte Regal der Welt, nämlich das Internet und das dementsprechend auch davon die Lieferanten gefüttert werden. An einer anderen Ecke sind aber gerade wieder andere Entwicklungen zu sehen. Denn wenn wir uns Zalando angucken, Zalando Connect, die praktisch ganz klar auf eine Art und Weise ihre Kapitalbildung ziemlich weit nach unten gepackt haben und die kompletten Bestände, die man normalerweise vorhalten muss, jetzt auf einmal an die Händler outgesourct haben. Das ist eine sehr clevere Herangehensweise. Du hast das ganze Thema der Retourquoten vom Hals, du hast die Kapitalbildung vom Hals, aber hast trotzdem ein riesiges Angebot. Insofern ist das eine Geschichte, die genau in der Richtung abläuft, in der praktisch der Handel derjenige ist, der auf einmal dann dafür einspringt.
Thomas Wetzlar: Das ist das Marktplatzgeschäft. Im Prinzip sagt Zalando, ich bin jetzt Marktplatz. Das heißt mein eigentliches Asset, was mich als Zalando eigentlich so wertvoll macht, ist mein Kundenzugang, den ich mir aufgebaut habe und den mache ich jetzt zu Geld, indem ich anderen die Möglichkeit gebe, etwas an meine Kunden zu verkaufen und mir dafür eine Provision zu geben, wenn sie dann erfolgreich sind. Das ist für Zalando natürlich super, dass sich da so viele Händler auch angebunden haben, ihre dezentral verfügbaren Sortimente jetzt bei ihm zu listen und genau das tun, was du gerade gesagt hast, nämlich sie in die Lage zu versetzen ohne eigenes Working Capital, trotzdem das ganze Zeugs anzubieten. Am Ende wurde das Risiko, was sie mit diesen enormen Retourenquoten, die Zalando ja ganz maßgeblich mit produziert hat, mit seinem Schrei vor Glück oder schick’s zurück und die Renditefresser outgesourct. Da muss man sagen, dass das ein Husarenstück ist und das schon extrem clever gewesen war. Ich glaube, der Handel steht mit dem Rücken zur Wand, weil er den Online-Handel total verschlafen hat. Viele große Filialisten, die die Power gehabt hätten, selbst ein großer Online-Händler zu werden, haben ja im Prinzip Zalando groß werden lassen. 2008 – 2009 als Zalando sich gerade aufbaute, musste man sich schon die Frage stellen, warum die das einfach unwidersprochen zulassen und dem gar nichts entgegen setzten. Das hat man ja einfach kommen lassen. Bis vor wenigen Jahren hat man noch Händler gesprochen, die sagten, dass das doch gar nicht funktioniert und der wieder verschwinden wird, das ist überhaupt nicht nachhaltig, was Zalando macht. Da sieht man, wie oberflächlich die Auseinandersetzung am Ende war. Was er jetzt macht ist natürlich total clever, aber als Händler da mitzumachen, halte ich für hochgradig gefährlich. Denn ich säge ja munter am eigenen Ast. Wenn ich jetzt meinem Paderborner Endverbraucher beibringe, dass er bei Zalando bestellen kann und der Händler sich dann auf sein Fahrrad setzt und ihm das Ding nachher auch noch zu Hause ausliefert, dann habe ich mir als Händler, glaube ich, endgültig die Daseinsberechtigung entzogen. Aber das ist vielleicht auch nur meine Meinung.
Frank Rehme: Und man sieht auch Formate, die wir von der Zukunft des Einkaufens mit begleitet haben, dass wirklich große Händler dann im Curated Shopping gefangen sind und das Ganze nach zwei Monaten schon wieder eingestellt haben, mit der Begründung, dass es nicht erfolgreich gewesen ist. Da schlacker ich mit den Ohren, wie wenig experimentierfreudig man da ist, den Kunden an die Hand zu nehmen und die Wünsche zu wecken, über die wir da gerade gesprochen haben.
Thomas Wetzlar: Aber es geht natürlich auch mit Risiken einher. Wenn ich als Händler sage, dass ich hier jetzt völlig neue Erlebniswelten schaffe und das ganze Zeugs, was ich zeige, erst mal vorher auf eigenes Risiko einkaufen muss, um nach 2 – 3 Monaten festzustellen, dass mein Kunde das gar nicht annimmt, dann habe ich ja die Ware trotzdem gekauft und habe die ja trotzdem da stehen. Das schafft natürlich dann durchaus Probleme, wenn ich so was auf Dauer mache, dann kann ich unter Umständen den Geschäftserfolg, den ich da vielleicht mal hatte, auch nicht mehr wiederbeleben. Ich glaube, dass der Händler eigentlich das machen muss was ein Zalando macht und was ein Amazon macht. Denn ich glaube, es ist grundsätzlich nie falsch, von Akteuren zu lernen, die ultra erfolgreich sind. Wenn ich mir jetzt anschaue, dass ein Zalando es geschafft hat, Marktplatz zu werden und eben nicht nur Marktplatz ist, indem man die großen Brands direkt einbindet und denen das Direktvertriebsgeschäft ermöglicht, sondern indem er auch den Händler vor Ort einbindet, dann frage ich mich doch, warum der Händler nicht sagt, anstatt hier auf dem Marktplatz von jemand anderen unterwegs zu sein und jemand anderen dafür zu bezahlen, dass er an seinen Kunden etwas verkaufen darf, es doch vielleicht viel cooler wäre, wenn jemand mich dafür bezahlen würde, an meinen Kunden zu verkaufen. Also ich glaube, dass der stationäre Händler einen viel größeren Mehrwert liefert und auch viel unverzichtbarer in dieser ganzen Marken- und Erlebniswelt ist, wenn er vor Ort das zu Geld macht, was ihn wirklich auszeichnet und nicht zum 800sten Online-Händler wird.
Frank Rehme: Absolut! Meine Erfahrung und mein Tipp, den ich den Händlern immer gebe, ist nicht irgendwer in einem Meer von ganz vielen zu sein, sondern sein eigenes Profil wirklich herauszustellen. Ich habe viele Händler begleitet, die mittlerweile sehr erfolgreich mit einem rein stationären Geschäft sind, weil sie verstanden haben, wie man genau das, was ich gerade gesagt habe, das Storytelling Menschen anzusprechen, Menschen an sich zu binden und wirklich eine Community für sich aufzubauen, dass diese erfolgreich geworden sind und auf einmal in ganz andere Probleme reinrutschen. Die haben das Problem, ihr Wachstum nicht gemanagt zu kriegen, weil sie nicht die richtigen Leute finden. Denn dafür braucht es wieder spezielle Leute, die mit Menschen umgehen können und auch Lust haben, Kunden zu für solche Dinge zu begeistern.
Thomas Wetzlar: Ich glaube, das, was heute zählt, ist die Frage, wo etwas gekauft wird und nicht wer etwas verkauft. Ich meine Amazon ist das total egal, ob ein Kunde ein Produkt von ihm selbst kauft, oder ob er es von einem Marktplatzteilnehmer kauft, der dafür an Amazon eine Provision bezahlt. Amazon sagt sich, dass das alles keine Rolle spielt, denn worauf es ankommt ist, dass der Endverbraucher weiß, dass das Produkt, welches er gesucht und gekauft hat, bei Amazon gefunden wurde. Das ist die eigentliche Währung, um die es geht und der ganze Rest, der hinten dran hängt, ist dann alles im Prinzip Masse, die man optimieren kann. Diese Erkenntnis, dass es nicht darauf ankommt, wer der rechtliche Verkäufer ist, sondern wo der Kunde einkaufen geht, weil er dort findet, was er sucht, ist die Währung der Zukunft. Als stationärer Händler dann zu sagen ich werde jetzt Online-Händler und verkaufe jetzt meine Produkte über den Amazon Marketplace oder über Zalando Connected Retail oder ähnliches, ist meines Erachtens ein Armutszeugnis. Wenn man all das, was einen stationären Händler auszeichnet, die Produkte zu inszenieren, zu beraten, die Geschichte zu erzählen, diese ganzen nachgelagerten Dienstleistungen zu erbringen, auszieht und an der Garderobe der Marktplätze abgibt und sich dann im Prinzip nur noch mit seinem Produkt und seinem Preis in einen anonymen Wettstreit mit anderen entkleideten Händlern begibt, dann darf ich mich auch nicht wundern, dass der Endverbraucher irgendwann sagt, dass er das nicht mehr braucht. Im Zweifel fragt sich dann der Hersteller, warum er an Händler XY seine Ware verkauft, wenn der mit dieser Ware nachher auf seinen Direktvertriebskanälen und auf den Marktplätzen mit der Ware auch noch gegen ihn antritt. Das macht der Hersteller im Zweifel auch allein, dann kann er sich nämlich diese Marge auch noch selber einverleiben. Ich denke, dass der stationäre Händler Marktplatz werden muss. Das ist nur ein weiter Weg, denn technologisch ist das gar nicht so kompliziert. Es gibt Dienstleistungen auf dem Markt, die man sich da entsprechend einkaufen kann, egal ob für große, für kleine, oder mittlere. Dort ist schon ganz schön viel Bewegung drin, allerdings ist es ja eine Mindsetfrage. Viele Händler tun sich heute noch damit schwer, für sich einen Platz in dieser neuen Welt zu finden. So ein Amazon, Zalando und Co haben sich gefragt, wo deren Rolle in fünf oder zehn Jahren ist. Obwohl deren Geschäftsmodell gerade erst im Aufwind war, haben die schon angefangen, sich neu zu erfinden und obwohl das Online-Shopping gerade erst so richtig losging, wurden die schon Marktplätze, ohne dass irgendwer gesagt hätte, ihr seid aber schon ein bisschen überholt, ihr müsst euch mal neu erfinden. Das haben die von ganz alleine gemacht, weil die verstanden haben, dass du immer vorne der erste sein musst und immer vorweg gehen musst. Wenn es heißt, sich selbst neu zu erfinden, dann macht er das halt. Diese Fähigkeit fehlt dem stationären Handel oftmals, weil er eben über Jahrzehnte, über Jahrhunderte würde ich fast sagen, so unfassbar gut und leicht Geld verdient hat. Ich hoffe, dass jetzt eine Generation von Händlern unterwegs ist, die die Signale aus dem Markt aufnimmt und sagt, dass sie sich jetzt auch neu erfinden.
Frank Rehme: Thomas, das ist ein gutes Schlusswort in diese Richtung. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass man heute mehr bringen muss und nicht nur ein paar Produkte hinstellen und hoffen, dass die wer kaufen wird. Das funktioniert nicht mehr. Der alte Satz „Darf es etwas mehr sein?“, den man immer an der Gemüsetheke gehört hat, gilt jetzt für den Handel selber. Insofern vielen Dank für das Gespräch und bis demnächst!
Thomas Wetzlar: Frank, ich danke dir ebenfalls und wir müssen uns merken; Handel ist Wandel. Ich glaube, da
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