Retail Innovation Review #1: Mobile Commerce
In dieser Reihe betrachten wir innovative Lösungen aus dem Bereich Handel und Konsumgüterindustrie. Dabei versuchen wir, deren Entwicklung zu beleuchten und folgende Fragen zu beantworten:
- Was waren die Erfolgsfaktoren?
- Was waren Hinderungsgründe?
- Welcher Zeitpunkt ist der Richtige?
- Wie ist der Status heute?
- Was war der Kundennutzen?
Heute starten wir die Serie mit dem Thema:
Mobile Commerce im Handel
In diesen Tagen macht Real wieder Schlagzeilen: Die neue Werbekampagne geht durch den Äther, der hauptsächlich in dem vor 2 Jahren eröffneten Format der Markthalle gedreht wurde. Ein Grund, sich an den 2 8. Mai 2008 zu erinnern, als Real den Future Store in Tönisvorst samt angrenzendem Besucherzentrum eröffnet und damit ein dickes Kapitel Handelsgeschichte geschrieben hat. Ob Multisensorik, Mobile Commerce oder Robotik: Alles das und noch mehr wurde in dem weltweit einzigen Retail-Innovation-Live-Lab getestet. Einen Eindruck vermittelt das Video:
Die Weltpremiere 2008: Mobile Commerce
Mit einem Nokia N82 (das war noch vor der iPhone Ära) konnte man alle Artikel, bevor man sie in den Einkaufswagen legt, scannen. Der Warenkorb wurde auf dem Mobiltelefon gespeichert, man brauchte also an der Kasse nicht wieder alles auspacken. Ein Druck auf den Check-out Button und alles war soweit erledigt. Die Lösung war eigentlich eine Weiterentwicklung des sogn. Mobile Shopping Assistant, einer mobilen Einkaufsunterstützung aus dem ersten Future Store 2003 in Rheinberg. Damals wurde ein Tablet an den Shopping Cart montiert, der die gleiche Aufgabe übernahm.
Was ist aus der Technologie geworden?
2010 wurde die Lösung auf das iPhone übertragen, die Nutzung hielt sich allerdings auch da in Grenzen. Zu dem Zeitpunkt waren rund 40km entfernt in den Niederlanden die ersten Self Scanning Lösungen mit separaten Scannern ebenso im Test. Die Holländer konzentrierten sich dabei nicht auf die Kundenhardware, sondern etablierte eine eigene Scannerhardware. Dabei verfolgt man mehrere Ziele: Neben der höheren Bequemlichkeit für den Kunden (er spart Zeit und Aufwand beim Checkout) hat man eine deutlich verbesserte Transparenz über das Kundenverhalten (Die Geräte sind trackbar und funktionieren nur mit einem Login oder Kundenkarte). Natürlich ist auch die Einsparung des Personals ein wichtiger Faktor: Wer jemals eine Vollkostenrechnung eines Stores gesehen hat weiß, wie wichtig die Optimierung der Kassenprozesse ist.
Nach gut einem Jahrzehnt lohnt es sich, diese Entwicklung einmal genauer anzuschauen: Gegenüber dem Self-Checkout, also dem eigenständigen Scannen durch den Kunden an einer entsprechenden Kasse, hat sich das Self Scannen noch nicht flächendeckend durchgesetzt. In den Märkten, in denen es aber bereits etabliert ist, erfreut es sich wachsender Beliebtheit. Wir haben im letzten Jahr den Stand der Technik in einem Globus getestet und hier darüber berichtet. Das Forschungsinstitut EHI hat in einem Whitepaper zum Self Scanning Nutzerbefragungen in den Läden durchgeführt, in dem die Systeme aktiv sind. Folgende Erkenntnisse stachen dabei heraus:
- Von 246 Befragten kannten 78% die Lösung
- Von 123 Anwendern benutzen es 61% immer, 36% häufig und nur 3% gelegentlich.
- In den Altersklassen 30-39 und 50-59 ist der Nutzungsgrad mit über 50% Häufignutzern auffallend hoch.
Bei vielen steht u.a. der tatsächliche Komfortgewinn im Vordergrund: Zum einen Zeitersparnis, da kein Umpacken an der Kasse mehr notwendig ist, ebenso gibt es keine Warteschlangen und damit eine schnellere Gesamtabwicklung. Aber bei der Generation 50+ ist ein weiterer Vorteil gefragt: Man kann sein eigenes Tempo machen. Für die Technikbegeisterten gibt es noch einen besonderen Anreiz: Der Gamification Faktor und der Spass an neuer Technik.
Datenschutz bleibt relevant
Allerdings gibt es auch Kunden, die von der Entwicklung absolut nicht zu überzeugen sind. Einmal aus der Gewohnheit heraus, die herkömmliche Kasse auch weiterhin benutzen zu können. Wichtig, speziell in Deutschland, ist der sozialpolitische Aspekt. Man hat ein soziales Verantwortungsgefühl mit der Befürchtung vor dem möglichen Wegfall von Arbeitsplätzen durch den Einsatz von Self-Scanning-Systemen. Ebenso ist der Datenschutzwunsch zu beachten: Die Befürchtung, dass während des Einkaufs persönliche Daten gesammelt werden könnten sowie die Registrierungspflicht werfen für viele die Frage nach dem Schutz der eigenen Daten auf.
Zum Durchbruch fehlen aus meiner Sicht aber auch noch Parameter, die bisher zu wenig Beachtung fanden und viel mit dem Thema Mensch an sich zu tun haben:
- Die Akzeptanz beim Kunden, sein Smartphone oder einen Scanner die ganze Zeit im Store gezückt zu halten.
- Die Integration von Cash Payment in den Prozess. Deutsche lieben Bargeld!
- Eine ausreichende Mobilfunk-Verbindung bzw. ein einfach zugreifbares und performantes WiFi Netz.
- Ein darauf abgestimmter Checkout Bereich, der absolut keine Warteschlangen mehr ermöglicht.
- Eine integrierte Loss Prevention Lösung zur Verhinderung von zufällig nicht gescannten und damit unbezahlten Artikeln. Das sogenannte Rescanning kann keine Lösung für den Kunden sein.
Zusammenfassend kann man sehen, dass die Einführung neuer Technologien in Europa unterschiedlich abläuft. Während in Skandinavien und den Niederlanden Neuerungen positiv aufgenommen werden, ist man in Deutschland erst einmal zurückhaltender. Die Menschen sind sehr vorsichtig und suchen den Haken, eine Eigenschaft, die aus dem besonderen Sicherheitsbedürfnis der Deutschen herrührt.
Man muss die Kunden nehmen, die man hat – man bekommt keine anderen. Es bleibt also spannend!
Bilder: Stocksnap.io, gmvteam
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