4 Wege aus dem Rabatt-Trauma: Digitalkonzept (5/5)
Am Ende dieser fünfteiligen Serie möchte ich noch einen essenziellen Punkt thematisieren, die Notwendigkeit eines Digitalkonzepts – dem Fahrplan für den digitalen Verkauf. Um sich hier Inspirationen zu holen, kann es hilfreich sein, einen Blick zum Onlinehandel zu wagen. Im Zuge der digitalen Revolution und der Herausforderung, sich dieser Transformation zu stellen, sahen sich stationäre Händler:innen partiell überfordert und bedienten sich diverser Online-Agenturen. Hauptsache, man war digital vertreten. Manche hatten hier vielleicht nicht die beste Erfahrung gemacht. Der kritische Erfolgsfaktor ist, die richtige Strategie zu wählen und mit dem Offline-Geschäft intelligent zu verknüpfen, um Interessenten auf jedem Kanal abholen zu können.
Online-Heros vs. Offline-Helden
Für Geschäfte im Vollsortiment ist es eine Herausforderung, einen ansprechenden Online-Shop aufzusetzen, insbesondere bei einem Portfolio von mehreren tausenden Artikeln. Wer die Vielzahl seiner Angebote digital abbilden will, merkt schnell, dass hier unterschiedliche Kompetenzen einwirken. Jene, die E-Commerce verstehen, schaffen es, auch digital eine Erlebniswelt zu kreieren. Die Rede ist von Pure-Online-Playern. Man merkt sofort, dass dies Technologieunternehmen sind und sie ihr Handwerk verstehen. Umgekehrt ist für diese Tech-Firmen, der Offline-Handel ein unbekanntes Terrain, weshalb so manche Marken hier nach Partnern im stationären Bereich suchen.
Wie immer gibt es Ausnahmen, aber speziell in der Möbelbranche bekommt man den Eindruck, als würden Unternehmen versuchen, ihren Offline-Betrieb 1:1 in die Online-Welt bringen zu wollen. Es gibt Online-Shops, die überfordern so manchen Nutzenden beim Durchschauen. Man wird überhäuft mit Angeboten und allem, was das Unternehmen so zu bieten hat, analog zur wöchentlichen Werbe-Kultur. Da helfen die Suchfunktionen auch nicht viel. Obendrein sehen viele Webshops optisch auch noch gleich aus. Die Kund:innen sehen eine Vielzahl an Angeboten mit kaum erkennbarer Differenzierung. Was sollte nun der digitale Anspruch sein?
Das User Interface (UI) muss verzaubern
In der Möbelbranche ist „Westwing“ ein anschauliches Beispiel. Westwing schafft es, trotz eines umfangreichen Portfolios, Kund:innen in ihre Welt zu holen und führen eine stimmige Experience-Roadmap. Es ist für mich das Idealbild, wenn es um kundenfreundliche und erlebnisorientierte Anwendungen geht, ein durchdachtes Digitalkonzept eines Online-Profis.
Was macht Westwing so Besonderes?
Sie liefern auf ihren Social Media-Kanälen einzigartige Inspirationen, zu jedem Anlass und passend zur Saison. Die Creatives sind so gestaltet, dass sie ihre Audiences genau targetieren. Kund:innen können auf diversen Kanälen shoppen und ihren Einkauf flexibel weiterführen. Die naturgemäße Vertrauenshürde in die Online-Welt, entkräften sie durch ihre Serviceangebote und ganz aktuell, mit ihrem ersten Store in Deutschland. Ein Einrichtungsservice und Designstudio bietet professionelle Hilfe beim Einrichten, online und offline.
Das Produkt erscheint fast nebensächlich, die zu vermittelnde Stimmung liegt im Vordergrund. Sie schaffen Emotionen, zeigen ihren Kund:innen Traumwelten für ihr Zuhause und ihren Outdoor-Bereich. Sie kreieren Welten durch entsprechende Creatives – es geht um Lösungen und Situationen nach denen man sich sehnt und nicht vorrangig um das Produkt per se.
Workshops, Designservice und eine Community Base sind nur ein paar der Leistungen, die es interessant machen, hier zu shoppen. Westwing sieht sich als kuratiertes Einkaufsmagazin für Home & Living.
Symbiotic Retail erhöht das Kundenerlebnis
Heute ist es essenziell seinen Kund:innen viele Interaktionskanäle anzubieten, aber erfolgreicher sind Händler:innen, wenn diese Kanäle vernetzt funktionieren und mit Bedacht gewählt sind. Nicht jeder Social Media Trend ist automatisch eine Garantie für gute Conversions. Der beste Weg dafür ist ein gut überlegtes Omni-Channel-Konzept.
Mittlerweile hat sich daraus auch ein Buzzword kreiert – symbiotic retailing. Unabhängig davon, welcher Kanal im Moment von Kund:innen bevorzugt wird – Geschäft, Online-Shop, Social Media, App – die User-Experience muss logisch fortgesetzt werden können und sich ergänzen. Das ist der Kundenanspruch von heute.
Ich verwende diesen Begriff auch an dieser Stelle, weil diese Artikelserie, als ein „Symbiotic-Retail-Konzept“ verstanden werden kann. Die vier genannten Strategiepunkte (siehe unten) ergänzen sich jeweils und helfen damit wesentlich zu einer Neupositionierung. Gut kuratiert, hilft es dem Einzelhandel, die Frequenz zu steigern und schafft bei Interessenten Mehrwert.
Gamification für mehr Spaß und Conversions
Ein weiteres digitales Marketing-Instrument findet mit Gamification immer mehr Bedeutung im Handel. Im Dschungel der unzähligen Apps und Kundenbindungsinstrumenten, gilt es, sich entsprechend zu differenzieren, um seine Kundschaft damit noch ansprechen zu können. Doch mit der Zunahme an Apps steigt bei Kund:innen auch das Desinteresse an der Anwendung, langweiliger, rein funktionaler Informations-Tools.
Das haben manche Händler:innen erkannt und setzen auf Gamification. Nachdem das Smartphone zu unserem ständigen Begleiter wurde und Mobile Commerce sich in unserer Gesellschaft etabliert hat, liegt es auch nahe, sich Anwendungen zu überlegen, die unterhaltsam sind und Spaß bereiten, um Daten zu generieren. Und es gibt wenig Aktivitäten, die bei Jung und Alt gleichermaßen begeistern, also warum dies nicht für sich nutzen?
Doch Spiel ist nicht gleich Spiel, hier gibt es verschiedene Methoden, um neue Kund:innen sprichwörtlich „spielerisch“ zu gewinnen und bestehende zu aktivieren. Bevor ich nun auf ein Best Practice eingehe, sei an dieser Stelle noch kurz erwähnt, dass wir zu Digital Signage und Gamification, bereits einige Beiträge auf unserer Plattform bereitgestellt haben. Es gibt zu Gamification einige erfolgreiche Beispiele im Handel, aber eine besonders innovative Methodik, die erst kürzlich gelauncht wurde, möchte ich hier illustrieren.
Die Buchhandlung Hugendubel – mit über 90 Filialen und 500 Shop-in-Shops, eines der größten inhabergeführten Buchhandelsunternehmen in Deutschland – begeistert seine Kund:innen mit einer AR Gaming App und verwandelt dabei seine Geschäfte in Agentenzentralen. „Weltensammler“ ist die erste Augmented Reality App im deutschen Buchhandel.
Buchhandlungen sind magische Orte – hier erwachen die Bücher nachts zum Leben, aber nicht jede Figur oder jeder Gegenstand aus den Geschichten kehrt nachts auch in seine Bücherwelt zurück. Die Weltensammler Agenten müssen zahlreiche Missionen erfüllen, um die versteckten und verlorenen Dinge und Personen wieder zurück in die Bücher zu bringen und die Geschichten wieder erlebbar zu machen.
Das Spiel führt durch fünf Portale, die das Tor zu fünf Welten öffnen, in denen die Nutzenden ihre Mission als Weltensammler erfüllen müssen. Das Abenteuer kann in jeder Hugendubel-Buchhandlung gespielt werden – somit setzt die Buchhandlung ihre Idee von 2020 um ein neues Level weiter fort. Quelle: Hugendubel.de/presse
Die beste Währung heißt Kundendaten
Genau deshalb sollte man auf E-Mail-Marketing nicht verzichten und dieses gut organisieren. Es sei hier im Strategieteil Digitalkonzept erwähnt, weil das Potenzial oftmals unterschätzt wird.
Kunden werden heute überwiegend online gewonnen. Gutes E-Mail Marketing kann dabei helfen, Kundenbeziehungen aufzubauen, mit ihnen zu interagieren und langfristig zu pflegen, um daraus zahlende Stammkunden zu generieren.
E-Mail-Marketing ist eine der effektivsten Strategien aus dem digitalen Marketing, die das Senden von E-Mails an potenzielle sowie bestehende Kund:innen ermöglicht. Diese Methode bietet mehrere Verwendungsmöglichkeiten, beispielsweise um die Konversionsrate anzuheben, Produkte zu vermarkten oder einfach nur um Interesse und Bindung zum Unternehmen oder zur Marke zu erzeugen. Gerade in Verbindung mit ihrem Geschäft eine gute Variante um im persönlichen Gespräch mit ihren Kund:innen in Kontakt zu bleiben. Ein kurzes Beispiel soll dies besser veranschaulichen:
Stellen sie sich vor, sie betreiben ein Elektrofachgeschäft, ein Kunde oder Kundin kommt zu ihnen in den Laden und erkundigt sich für eine sehr bekannte Universalküchenmaschine. Sie beraten kompetent und ausführlich, doch die Kundschaft will trotzdem noch nicht kaufen und meint es sich zu überlegen. Schade, aber sie könnten nun einen Vorschlag unterbreiten. Indem sie anbieten, ihrer Kundschaft noch ein Rezeptheft nachzuschicken. Tolle Gerichte, die mit diesem Gerät zubereitet werden können, inkludiert mit einem Kochvideo. Im Gegenzug erhalten sie die E-Mail-Adresse und noch bevor die Kundin/der Kunde zu Hause angekommen ist und nach Vergleichen sucht, haben sie bereits eine E-Mail mit diesem Rezeptheft zugesandt (E-Mail-Marketing-Automatisierung). Obendrein bedanken sie sich für den Besuch und schicken noch einen Gutschein zur Bestellung mit. Was denken sie, wo wird diese Kundin oder Kunde bestellen? Relevanz und Mehrwert gilt hier als Rezept und ihr Vorteil im persönlichen Kundengespräch ist der Vertrauensbonus gegenüber Onlinern.
Die Click-Through-Rate (CTR) von E-Mails kann bis zu 100-mal höher sein als die CTR auf Twitter oder Facebook, was zeigt, dass sie Menschen, so sehr diese die sozialen Netzwerke lieben, nirgendwo besser auf sich aufmerksam machen können, als in ihrem eigenen Posteingang.
Ein stringentes Digitalkonzept, um einer dynamischen Customer Journey gerecht zu werden, ist ein Muss. Es gäbe im digitalen Marketing-Instrumentarium noch vieles mehr, doch die genannten Beispiele sollen aufzeigen, wie wichtig ein ausgewähltes digitales Konzept im Dschungel der Möglichkeiten ist.
Abschließend zu dieser Serie darf ich noch Folgendes mitgeben:
Die Großfläche sollte reflektieren, in welchem Segment sie sich heute positionieren will und auch kann, um darin zum Competence-Center zu werden. Ihre Flächen müssen interaktive Begegnungszonen sein und dürfen nicht zu musealen Schauflächen mutieren.
Wenn die Stadt oder der Ort wenig frequentiert ist, dann ist wohl der Standort falsch gewählt, andernfalls muss man überlegen, wie man das Leben und Treiben der Stadt in sein Haus bringen kann. Je besser und genauer sie die Interessen ihrer Kundschaft kennen und im Haus abbilden können, desto eher werden Kund:innen ihrem Angebot folgen. Dazu ist allerdings eines wichtig: eine ganz klare Positionierung und damit Differenzierung. Denn die Interessen aller werden wohl nicht an einem Ort konzentriert abzubilden sein. Es gilt, die Symbiose aus Technologie und kreierten Raumerlebnis im Kontext der Kundeninteressen zu erfassen.
In diesem Sinne, alles Gute für ein erfolgreiches Finale 2022 und einen ebenso erfolgreichen Start für 2023.
4 Säulen für modernes Retailing – FPPD
Über den Autor: Sascha Matus ist Inhaber der Agentur pro5-marketing, Spezialisten und Visionäre, wenn es um neue Formate im Einzelhandel geht.
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