Headless Commerce: ‚Kopflos‘ auf allen Marktplätzen verkaufen
Der E-Commerce wächst und wächst. Laut dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e.V. (behv) wird der Onlinehandel 2019 die 70-Milliarden-Euro-Schwelle überschreiten. Dabei entfallen rund 50 Prozent auf Marktplätze. Klare Gewinner des Onlinehandels sind also Amazon, ebay und Co. Also warum bieten so viele stationäre Händler ihre Produkte nicht auch auf den beliebten Marktplätzen an? Vielen ist es zu kompliziert. Headless Commerce soll dieses Problem beheben.
Stationäre Händler verlieren im Ladengeschäft, aber auch in den eigenen Onlineshops: Während 2017 noch 18,9 Prozent der Deutschen in einem Onlineshop des stationären Handels eingekauft haben, waren es 2019 nur noch 13,1 Prozent. Das betrifft vor allem Händler aus Kleinstädten mit bis zu 50.000 Einwohnern. Die steigende Komplexität, will man auf mehreren Plattformen präsent sein, schreckt viele stationäre Händler vor dem nächsten Schritt.
Marktplätze bieten leichten Einstieg in den digitalen Commerce
Viele Händler scheuen schlicht den Aufwand, den ein Online-Verkauf mit sich bringt und sind daher nicht bereit, ihre Produkte über Marktplätze und Onlineshops zu verkaufen. Das Ergebnis: Wichtige Geschäftsfelder liegen brach.
Dabei bieten Marktplätze generell einen leichten Einstieg in den E- und M-Commerce, denn die Strukturen sind vorhanden und die Kunden sind bereits dort. Das gilt sowohl für das Web als auch die Apps, über die viele Konsumenten gerne einkaufen.
So gehören in Deutschland die großen Player Amazon und ebay fest zu den beliebtesten Shopping-Apps, speziell im Modebereich tummelt sich zum Beispiel Zalando als Marktplatz in den Top 10 in Deutschland.
In Anbetracht der Bedeutung von Marktplätzen ist es für viele Unternehmen daher unerlässlich, mit ihrem Sortiment oder einem Teil davon dort vertreten zu sein. Dennoch muss vor allem die technische Infrastruktur im digitalen Commerce gut durchdacht sein. Denn auch Händler, die bereits auf Marktplätzen aktiv sind, lassen erhebliche Potenziale liegen oder schaden gar ihrer Reputation, wenn Prozesse nicht optimal ablaufen.
Komplexität der technischen Architektur von Omnichannel
Zwar ist es vergleichsweise leicht und schnell möglich, Produkte auf Marktplätzen zu listen und darüber zu verkaufen. Händler sollten aber keinesfalls die organisatorischen und strukturellen Herausforderungen unterschätzen, die mit zusätzlichen Vertriebskanälen einhergehen. Denn: Die heute noch größtenteils gängige IT-Architektur von Shopsystemen stammt noch aus Zeiten, in denen Multi- und Omnichannel kaum Thema waren und ist in der Regel nicht auf hochautomatisierten E-Commerce ausgelegt.
Hinzu kommt, dass jeder Marktplatz jeweils mit unterschiedlichen Systemen und Datenformaten arbeitet und dadurch unterschiedliche Anforderungen an die Integration stellt. Zudem gibt es händlerspezifische Drittsysteme wie das ERP, Warenwirtschaft, Buchhaltung und Payment-Systeme, die angebunden werden müssen.
Händler, die in das Marktplatzgeschäft eintreten, kombinieren diese vielen Systeme oft durch aufwändige Eigenentwicklungen und über zahlreiche Schnittstellen, was die gesamte Systemlandschaft noch komplexer und fehleranfälliger macht.
Zudem sind solche Entwicklungen zeitaufwändig und oft nicht updatefähig — eine erhebliche Schwäche im schnelllebigen und sich stets weiterentwickelnden E-Commerce. Die Schere zwischen den eigenen Möglichkeiten und den Anforderungen des Marktes klafft weiter auseinander.
Damit E-Commerce funktioniert, müssen also zahlreiche Rädchen in der technischen und organisatorischen Infrastruktur aufeinander abgestimmt werden:
- Viele verschiedene Partner, zum Beispiel Streckenlieferanten, Versanddienstleister und Payment Service Provider, müssen gesteuert werden. Hierbei ist eine hohe Schnittstellenkompetenz gefragt (API, CSV, EDI, XML).
- Produkte werden auf mehreren Verkaufskanälen angeboten, darunter Shopsysteme, Apps, Marktplätze und Social Media. Jeder Kanal hat eigene Anforderungen an Integration, Aufbereitung der Produktstammdaten, Retourenmanagement, Payment etc.
- Unterschiedliche Bestandssysteme wie ERP, Finanzbuchhaltung, PIM, Logistik und CRM, die nicht auf E-Commerce-Prozesse ausgelegt sind, müssen integriert beziehungsweise mit Daten versorgt werden.
- Lagerbestände müssen auf sämtlichen Verkaufskanälen aktuell gehalten werden, um Überverkäufe zu vermeiden.
- Verschiedene Zahlarten, einschließlich der Verarbeitung von Teilzahlungen und dem automatisierten Prozess von Gutschriften, müssen abgewickelt werden.
- Diverse Versandoptionen müssen berücksichtigt werden, zum Beispiel Versand aus dem Hauptlager, über Streckenlieferanten oder externe Logistiker, Ship from Store oder Click & Collect.
- Verschiedene Retourenoptionen, etwa die Lieferung nach Hause und die Rückgabe in der Filiale, müssen funktionieren.
- Die Beantwortung von Kundenanfragen und das Erstellen von Tickets über alle Vertriebskanäle und Versandlager hinweg muss möglich sein.
Von diesen komplexen Strukturen darf der Kunde nichts mitbekommen. Mehr noch: Er erwartet von einem Shop zum Beispiel eine gute Usability, vollständige Produktinformationen, eine ansprechende Darstellung von Bild- und Textinhalten sowie reibungslose Prozesse nach dem Klick auf „Jetzt bestellen“ oder bei Retouren — ganz egal, über welchen Kanal er bestellt.
In der Realität sieht das leider häufig anders aus: Die Lagerbestände sind auf den einzelnen Marktplätzen nicht aktuell, weshalb es zu Überverkäufen und damit zu verärgerten Kunden kommt.
Oder die Produktinformationen sind unvollständig, was zu mehr Retouren führt. Insgesamt steigt die Gefahr schlechter Produkt- und Händlerbewertungen, die das Unternehmen nur weiter in die Abwärtsspirale ziehen.
Zusätzlich besteht die Gefahr, dass der Betreiber des Marktplatzes Sanktionen verhängt. Bei wiederholt schlechter Performance kann es sogar zur Sperrung des Händleraccounts kommen.
Nicht zu vergessen: Sämtliche Fehlfunktionen und Probleme erfordern die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter. Fatal dabei ist, dass laut der Marktplatzstudie Deutschland der Unternehmensberatung ecom consulting GmbH mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen kein gesondertes Personal für die Betreuung der Marktplätze beschäftigt. Rund 40 Prozent haben auch nicht vor, künftig Personal für diesen Bereich einzustellen.
Umso wichtiger ist es, dass eine integrierte technische Infrastruktur Fehler verhindert und auch den personellen Aufwand reduziert.
Die Lösung: Vereinfachung durch Standardisierung und maximale Automatisierung
Eine Vereinfachung der technischen Infrastruktur und eine Verknüpfung der einzelnen Kanäle ermöglichen innovative E-Commerce-Plattformen, die „headless“ oder „unified“ arbeiten. Das bedeutet, der gesamte E-Commerce wird letztlich über eine Backendplattform von der Bestands-IT getrennt.
Diese Entkopplung vereinfacht die Integration weiterer Kanäle und ihre Skalierung wesentlich und bietet Händlern eine große Flexibilität, denn neue Anforderungen im E-Commerce wirken sich nicht länger auf die Bestandssysteme aus und sind relativ schnell umzusetzen.
Weitere Vorteile: Auf einer Headless-Commerce-Plattform sind sämtliche Prozesse, vom Ordermanagement über die Logistiksteuerung und Payment bis hin zur Kundenverwaltung, sowie alle relevanten Daten zu finden.
Vorteile einer Headless Commerce Lösung im Überblick
- Eine zentrale, flexible Plattform für alle Vertriebskanäle
- Vereinfachtes Omnichannel-Management: zentrale Verwaltung sämtlicher Handels-, Versand-, Lager- und Logistikabläufe
- Aufbrechen von Datensilos: alle Mitarbeiter (E-Commerce-Manager, Support, Finanzen u. a.) nutzen eine Plattform mit homogenisierten Daten und Prozessen
- Kurze Time-to-Market-Zyklen und schnelle Skalierbarkeit
- Ermöglicht Integrationen von Lösungen von Drittanbietern
- Einsparungen durch Verringerung des technischen, organisatorischen und personellen Aufwands
- Verbesserung der Customer Experience über alle Touchpoints
- Zukunftssicherheit, weil sich die Anzahl der Touchpoints in Zukunft eher erhöhen/verändern wird
Erst ein solches Headless Commerce System ermöglicht wahren Omnichannel-Handel, denn sämtliche Prozesse laufen kanalunabhängig und kundenzentriert. Händler können ihre Vertriebskanäle gesamtheitlich betrachten und haben sämtliche Daten und Prozesse im Blick. Und für die Kunden steht am Ende ein einheitliches, reibungsloses Einkaufserlebnis!
Über den Autor: Martin Öztürk ist Diplom-Informatiker und hat zusätzlich ein MBA-Studium absolviert — zwei Schwerpunkte, die seiner Leidenschaft Rechnung tragen, nämlich die technische Welt in Ideen für Geschäftsmodelle zu transferieren. Seit 2014 ist er mit seiner Expertise bei der Roqqio Commerce Cloud GmbH (ehemals eFulfilment Transaction Service GmbH) tätig und berät dort als Sales Consultant Interessenten und Kunden im Bereich Automatisierung von E-Commerce-Backendprozessen und Plattformmanagement.
Bildnachweis: Beitragsbild Stockfoto – Ken Schulze/Shutterstock
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