Mit dem Geschenkgutschein gegen die Internetriesen
Ein Erfahrungsbericht aus der deutschen Provinz
Wer hätte es gedacht? Seit Jahren versuchen die stationären Händler der Konkurrenz aus dem Internet Paroli zu bieten. Man investiert in eigene Web-Shops, versucht den Geist der persönlichen Beratung im Store und im Netz gleichermaßen gut abzubilden und baut ganze Online-Cities; alles um den Click lokal zu halten und die örtliche Kaufkraft daran zu hindern, in die große weite Internet Welt abzuwandern. Und der Erfolg all dieser der Bemühungen? Im besten Fall überschaubar.
Nun kommt das kleine gallische Dorf, genauer gesagt eine Stadt an der Grenze zu Frankreich, die zeigt wie es gehen kann. Wie David eine Chance gegen Goliath hat.
In Kehl haben sich die Einzelhändler zusammengeschlossen und das CityForumKehl gegründet. Die Grundidee ist eine Werbegemeinschaft wie viele andere auch. Das Besondere am CityForumKehl ist – wie immer – was man daraus macht.
Statt sich auf Mitgliedsbeiträge zu beschränken, die für Anzeigen, Innenstadt-Events und Weihnachtsbeleuchtung ausgegeben werden, beschlossen die Händler einen gemeinsamen Geschenkgutschein für alle Mitglieder einzuführen.
Die Genialität der Kehler lag dabei wiederum nicht in der Tatsache des Geschenkgutscheins an sich. Kaum ein Händler verzichtet heute auf dieses Instrument, mit dem die Verlegenheit etwas zu Geburtstagen, Hochzeiten und Weihnachten beisteuern zu müssen gelöst wird.
Statt alles von Wenig, bekommt jeder seinen Anteil von Viel
Die Brillanz, aber auch die Größe lag darin, dass die im CityForumKehl zusammengeschlossenen Händler nicht auf ihren eigenen, schon vorhandenen Geschenkgutscheinen bestanden und Alternativen blockierten, sondern bereit waren ihre Einzelinteressen zurückzustellen. Und das hat funktioniert. Statt alles von Wenig, bekommt jetzt jeder einen Anteil von Viel.
Die lokalen Geschenkgutscheine
Die Menschen, die einen Geschenkgutschein wollen, müssen sich nicht mehr entscheiden, ob sie eher in die Bijouterie, in den Baumarkt oder das Sportgeschäft gehen, um den richtigen Interessenbereich für den Beschenkten zu finden. Sie kaufen einfach einen CityForumKehl-Gutschein und sind fertig.
65 Partner sind derzeit im CityForumKehl zusammengeschlossen. Die Zahl der aktiven Gutscheinpartner hat sich seit dem Startschuss vor gut zwei Jahren, nahezu verdoppelt.
Woran das liegt? Alle profitieren. Insbesondere auch solche, die selbst nie auf die Idee gekommen wären, einen Geschenkgutschein als Instrument einzusetzen. Würde irgendjemand zu seinem Tierarzt gehen und fragen, ob er auch Gutscheine hat? In Kehl hatte er auch keine, aber jetzt kann man dort seine Geschenke auch für die Behandlung von Waldi, Fiffi und Minka einsetzen.
Mit einem Anteil von einem halben Prozent, an allen eingelösten Gutscheinen liegt die Tierarztpraxis natürlich deutlich hinter den Lebensmittlern (12%) und dem Elektroplatzhirsch (10%). Aber der ist in dem Fall „nicht blöd“, sondern ein lokales Unternehmen.
Nicht nur der Handel profitiert
Im Vergleich mit den Modegeschäften, die zwischen 1% und 2,5% Anteil liegen und einem Schuhgeschäft, das ungefähr 4% der Gutscheine für sich vereinnahmt, liegt unser Tierarzt aber gar nicht schlecht. Immerhin vor den Reisebüros und etwa gleichauf mit dem Musik- und dem Fahrradgeschäft.
Interessanter Weise bleiben 1,2% der Gutscheine im Zigarrengeschäft, etwa gleichviel wie bei der „Spezialitäten-Metzgerei“. Die Parfümerie bekommt etwa 2,5% der Gutscheine ab. Das ist in etwa das Doppelte vom Anteil der Juweliere.
Knapp die Hälfte der Händler teilen sich 60% Gutscheine und mit dieser Verteilung sind alle zufrieden. Auch hierfür gibt es einen Grund. Es gibt keine Anfangsinvestition und keine Standby-Kosten, die weh tun, wenn „nichts“ passiert.
Gebühren entstehen für Händler, die Gutscheine annehmen, erst, wenn der Gutschein schon gearbeitet hat; wenn aus 20 € Gutscheinwert ein Umsatz von 100 € geworden ist; wenn die wertigere Version eines Gerätes verkauft wurde oder wenn die Schuhe schon bei Saisonbeginn zum Startpreis über den Tresen gehen – statt erst im Herbst mit 30% Rabatt.
Die Flexibilität ist wichtig
Die Grundlage, die dieses leichtfüßige Kostenmodell ermöglicht, ist eine technische Plattform (isi:Cado), die Gutscheine einfach macht. Einfach heißt zunächst einmal: die Gutscheine sind aus Papier und somit beliebig gestaltbar. Rot, gelb, blau, mit frei wählbarem Motiv; als Karte, als Flyer, oder als Aufkleber für Weinflaschen, Blumentöpfe oder – warum auch nicht – auf Dachziegel.
Damit verlassen die Gutscheine, die in Kehl unter dem Brand-Namen „Kehler Gutschein“ vertrieben werden, auch die ausgetretenen und langweiligen Pfade des Scheckkartenformats.
Die gestalterische Freiheit geht einher mit der Befreiung von der Pflicht zum Aufstellen von Kartenleseterminals und mit der Befreiung von den dazugehörigen Monatsgebühren, die anfallen, egal ob an dem Terminal 1 € oder 100 € mittels Gutschein eingelöst wurden. Die Kehler – egal ob Händler, Lokal oder Tierarzt – benötigen für die Entwertung der Gutscheine nur eine Smartphone-App. Diese laden sie aus dem Internet, melden sich mit ihrem Account an, scannen den auf den Gutscheinen aufgedruckten Code und haben damit den Gutschein geprüft, entwertet und ihrem Verrechnungskonto gutgeschrieben.
Die Gutscheine beginnen ihren Lebenszyklus auf dem Backend über eine Webplattform, zu der nur die Ausgabestellen Zugang haben. Sie werden gedruckt und an den Käufer ausgehändigt. Wahlweise bekommt man sie auch per Mail, als PDF.
Der Gutscheinwert ist beliebig und wird im Moment des Kaufs festgelegt. Die Tante kann ihrem Neffen 10 € schenken oder der Verein seinem Mitglied Maier 55 € zu seinem Fünfundfünfzigsten. 60 € oder 90 € gehen als glatte Beträge ebenso, wie die 44 € , die ortsansässige Firmen als steuerfreien Sachbezug gemäß § 8 Abs. 2 Satz 11 des EStG an ihren Mitarbeiter ausgeschütten können.
Kaufkraft, die in der Stadt bleibt
Die Kehler haben sich auf monatliche Auszahlung der Guthaben geeinigt. Das Clearing ist vollautomatisch und erzeugt keinen nennenswerten Verwaltungsaufwand – ein weiterer Faktor, der die Kosten gering und die Einstiegsschwelle niedrig hält.
Gutscheine, die einfach und flexibel zu erstellen sind, mit schlanker Technik funktionieren und Kosten nur dann erzeugen, wenn sie gefühlt auch berechtigt sind; aus Material, das viel Raum für Gestaltung und Kreativität lässt. Ist das der Zaubertrick? Sagen wir es so: Es sind die Faktoren, ohne die der Trick nicht funktioniert. Das Erfolgsgeheimnis ist die Idee, die dahinter steht: Die Abbildung der Amazon-Einkaufsvielfalt auf lokaler Ebene.
„Jeder Gutschein der nicht bei Amazon, sondern in Kehl gekauft und eingelöst wird, bringt dem jeweiligen Geschäft etwa das Fünffache seines Wertes als Umsatz“, so Axel Steffen, zweiter Vorsitzender des CityForumKehl. „Und jeder Gutschein bringt Menschen in die Stadt und induziert so noch weitere Umsätze.“
Sieht man Amazon als Burg, käme der Versuch, sie im Online-Geschäft zu schlagen, einem Frontalangriff gegen die Burgmauer gleich. Dabei haben sich schon viele blutige Nasen geholt. „Was wir tun“, so Steffen „ist einen Teil des Baches, der die Burg mit Wasser versorgt, zu uns umzuleiten, bevor er die Burg erreicht“.
Auf den ersten Blick mag Amazon nur den Nennwert des Gutscheins als Umsatzeinbuße haben. Nimmt man aber direkte und indirekte Wirkung zusammen, werden aus den 20 €, die nicht bei Amazon landen, 100 € – 150 € Kaufkraft, die in Kehl bleiben. Geschenkgutscheine als Mittel gegen Amazon – wer hätte das gedacht.
Unser Gastautor Ulrich Kipper
ist Geschäftsführer der it-werke Technology GmbH. Der Schwerpunkt der Firma ist die Entwicklung von Konzepten und Software für Marketing und Business Enhancement.
Bildquellen: gratisography.com, 123RF
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