8 KI-haltige Anwendungen im Handelsalltag
Wenn man etwas aus den letzten 2 Jahren mitnehmen kann, dann sind es die großen Sprünge, die der Handel zum Thema Digitalisierung gemacht hat. Mehr oder weniger gezwungenermaßen mussten sich nun auch kleine Händler*innen mit dieser noch größtenteils unbekannten Welt auseinandersetzen. Doch aufgrund dieser Notlage konnte nun endlich das letzte kleine Zahnrad in Bewegung gesetzt werden, um den gesamten Mechanismus rund um das Thema KI-haltige Technologie wieder in Schwung zu bringen. Und nur, um die Entwicklung der letzten Jahre mal in Relation zu setzen: der letzte große technische Sprung der Menschheitsgeschichte, der mit dem Jetzigen gleichzusetzen ist, fand zur Zeit der Industrialisierung statt.
KI-haltige Technologien sind schon lange unter uns
Was lange als Nischen-Lösung für große Handelsunternehmen galt, kann nun mit wachsender Digitalisierung der kleinen Einzelhändler*innen den Weg zur Standardanwendung antreten. Doch ähnlich wie bei der Digitalisierung scheuen sich die Menschen noch vor dieser komplizierten, schwer zu verstehenden Anwendung, die eventuell irgendwann ein Eigenleben entwickelt und die gesamte Menschheit auslöschen wird! Das ist natürlich alles Science-Fiction, denn die KI-haltigen Technologien, von denen wir sprechen, sind schon viele Jahre im Umlauf und haben sich bis heute so weiterentwickelt, dass sie bereits eine Anwendung im Handelsalltag finden.
Doch wie genau sehen solche KI-Anwendungen im Handel eigentlich aus? Wo werden sie bereits angewendet und wie werden sie uns zukünftig noch von Nutzen sein? Hier ein kleiner Überblick der Top 8 Used-Cases von KI-haltiger Technologie im Handel:
1. Ladengeschäfte ohne Kassierer
Als Vorreiter dieser KI-Anwendung gilt definitiv die „Amazon Go and Just Walk Out“ Shopping-Technologie deren Funktionalität 2016 erst einmal nur unter Amazon Personal getestet und später 2018 für den öffentlichen Raum zugänglich gemacht wurde. Die KI-haltige Technologie erfasst die Produkte, die aus dem Regal genommen bzw. wieder zurückgestellt werden. Wenn man das Ladengeschäft mit Produkten verlässt, wird über den Account der Amazon Go App das Geld abgebucht. Hinter dieser Technologie verbergen sich eine Vielzahl von KI-Anwendungen wie z.B. Computer Vision, Deep Learning Algorithmen und Sensor Fusion. Es ist also nicht eine einzige Anwendung, sondern ein Zusammenspiel mehrerer KI-haltiger Erfassungsprogramme, die miteinander kommunizieren und über Kameras das Geschehen beobachten. Auch in Deutschland hat am 23.02.2021 so ein Flagship-Store seine Ladentüren geöffnet. Mit dem Kooperationsprojekt der Deutschen Bahn und Edeka Südwest wurde ein Mini-Supermarkt am Bahnhof Renningen (Kreis Böblingen) eröffnet, der ohne Personal und mit vorerst 300 Produkten funktioniert. Über eine mechanische Anlage werden die Bestellungen entgegengenommen und von Robotik-Techniken zusammengestellt. Bezahlt wird über die App oder am Automaten.
2. Chatbots als Service-Assistent
Eine bereits gut etablierte KI-haltige Technologie sind Chatbots, die ein verbessertes Erlebnis im Kundenservice bieten. Sie beantworten nicht nur Kundenfragen, sondern unterstützen bei Suchanfragen, informieren über ein neues Sortiment und stellen ähnliche Produkte vor. Wurde beispielsweise ein schwarzer Pullover bestellt, kann ein Chatbot die passende Hose oder Accessoires dazu vorschlagen. Bereits 80% der großen Marken weltweit nutzen Chatbots, darunter auch Tommy Hilfiger oder Burberry, dessen Chatbots den Kund*innen helfen, durch die Kollektionen zu navigieren. In Deutschland benutzt bereits jedes vierte Unternehmen (27 Prozent) diese KI-haltige Technologie.
3. In-Store Assistance und Preisanpassung
Auch die Handelsbranche investiert in Technologien, die Kund*innen beim Einkaufen unterstützt und das Personal entlastet. Eine KI-haltige Technologie, die in den kommenden Jahren besonders viel Aufmerksamkeit bekommen wird, ist die Smart-Shelf Technologie. Hierbei werden Preisschilder mit elektronischen Schildern ausgetauscht, in denen sich Kameras und verschiedene Sensoren befinden. Entleert sich das Regal oder eventuell das gegenüberliegende Regal aufgrund einer hohen Nachfrage, werden automatisch die Preise angeglichen und das Personal über den Leerstand frühzeitig informiert. Eine Echtzeitbestandsführung, die dem Erzfeind des Handels, den leeren Regalen, den Kampf ansagt. Eine nachhaltige Version des Prinzips testet aktuell die Metro mit einem digitalen Zwei-Preis-System in Polen. Hierbei soll der Lebensmittelverschwendung entgegengewirkt werden, indem eine KI-Anwendung bei Produkten mit ablaufenem Verfallsdatum den Preis automatisch günstiger macht. Ob schlussendlich weniger Lebensmittel weggeworfen werden, wird sich mit der Zeit zeigen.
Doch die KI-haltige Smart-Shelf Technologie wird auch mit einem Kund*innenzentrierten Fokus angewandt. Auf die Spitze treibt es Kroger mit der Edge Technologie. Diese kooperiert mit Microsofts KI-Technologie, die mit Hilfe von Gesichtserkennung personalisierte Werbung über die digitalen Anzeigen laufen lassen kann. Dabei erkennt die Technologie Geschlecht und Alter der Kund*innen, die sich dem Regal nähern. Haben diese über die Kroger-App eine Freigabe für personalisierte Shop-Beratung aktiviert, werden ähnliche Produkte vorgeschlagen, die individuell auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind (z.B. glutenfreie Alternativen, geringer Fettgehalt oder zuckerfrei etc.). Ist diese Freigabe nicht erteilt, werden generalisierte Vorschläge basierend auf Geschlecht und Alter abgespielt. Auch wenn digitale Preisschilder bereits zum alten Eisen der Retail-Technologie gehören, bekommen sie in Kombination mit KI-haltigen Technologien, wie Computer-Vision ein trendrelevantes Upgrade, das sie zurück in den Fokus der Handelsbranche bringt.
4. Supply Chain Management und Logistik
Auch im Bereich der Logistik haben KI-basierte Technologien bereits ihren Platz gefunden. Restanten und out-of-stock Szenarien können komplett eliminiert werden. KI-Technologien können mithilfe von Datensammlungen aus der Verkaufs- und Nachfragehistorie und anhand verschiedener Parameter, wie z.B. Standort, Trends, Wetter oder auch Aktionsauswertungen genau berechnen, welche Produktmengen für welchen Zeitraum bestellt werden sollten. Ein Paradebeispiel für eine solche Anwendung ist das Unternehmen Morrisons in England. Mithilfe von Machine Learning Prozessen wurde in der Bedarfsanalyse ein Automatisierungsgrad von über 90% in der Filialdisposition erreicht. Anhand von über 200 Faktoren, die analysiert und verarbeitet wurden, konnte die Warenverfügbarkeit um 30% verbessert werden und ergab eine nahezu autonome Lieferkette.
5. Machine Learning: Produkt Kategorisierung
Für Machine Learning gibt es bereits viele gute Anwendungen, wobei für den Handel besonders die Klassifizierung von Produkt- und Warengruppen von dieser KI-Anwendung profitiert. LovetheSales.com ist ein Onlineshop, der mithilfe von Machine Learning über eine Million Produkte der verschiedensten Verkäufer*innen klassifiziert und für die Kund*innen in Kategorien einsortiert. Außerdem kann die Computer Vision-Anwendung die hochgeladenen Bilder der Produkte erkennen, sie zuordnen und gegebenenfalls einen entsprechenden Preis für Verkäufer*innen vorschlagen.
6. Visual Search
Einen großen Aufschwung im Handel kann man schon heute den visuellen Suchsystemen, auch Visual Search genannt, zusprechen. Die Bildsuche im Internet erreicht einen immer höheren Stellenwert, doch stellt sie immer eine schriftliche Eingabe voraus. Aber nicht immer kennt man die richtigen Begrifflichkeiten um das, was man sieht, zu beschreiben. Ein Beispiel dafür wären Pflanzen im Wald, Möbelteile oder auch die Kleidungsstücke der Lieblingsschauspieler*innen. Nun soll Visual Search für neuen Aufschwung sorgen: Statt einer Texteingabe des Suchbegriffs, werden Fotos selbst hochgeladen. Anhand dieser kann die KI-Anwendung entsprechende Ergebnisse suchen und zusätzliche passende Produkte vorschlagen. OTTO benutzt diese Anwendung bereits seit 2018 über die App alike/Bildersuche für Möbel. Andere Anwendungen wären Google Lens oder Pinterest Lens.
7. Die passende Größe durch KI-haltige Anwendungen
Die Otto Group setzt über den Onlineshop bonprix bereits seit 2019 die Applikation Fit Finder ein. Hierbei werden Kundenbewertungen anderer bonprix Kund*innen und Produktdaten des Herstellers Fit Analytics über eine KI-Anwendung ausgewertet, um entsprechende Empfehlungen an die Kund*innen herauszugeben. Mit dieser KI-Applikation wurde nicht nur die Kund*innenbindung erhöht, sondern auch die Retourenquote verringert da unnötige Bestellungen verschiedener Größen wegfallen.
8. Trenderkennung von Kundenbedürfnissen
Hierbei handelt es sich um eine Verknüpfung externer und interner Datenmodelle. Eine KI-Anwendung wertet hierbei nicht nur interne Unternehmensdaten (Abverkäufe, Daten aus Loyaltyprogrammen etc.), sondern auch die externen Trenddaten aus Suchmaschinen oder Social Media aus, um mithilfe einer ganzheitlich explorative Analyse Trendvorhersagen für den entsprechenden Markt vorzunehmen. So setzt Rossmann bereits seit 2018 auf eine KI-haltige Trendanalyse, um zu entscheiden, mit welchen Produkten sie die Regale bestücken. So wertet die Technologie des Startups Swarm Marketing Research AI Suchanfragen von Google, Amazon und anderer Quellen und prognostiziert das zukünftige Suchvolumen. Für die Trendprognosen der nächsten 18 Monate wird, in Kombination zu dem Suchvolumen, zusätzlich die Suchfrequenzen der vorherigen 5 Jahre verglichen.
Offensichtlich bei den bereits bestehenden KI-Anwendungen ist, dass sie alle nicht für kleine Einzelhändler*innen ausgerichtet sind. Aber durch den Ruck, der die letzten Monate durch die Nation ging wurde ein neuer Impuls angestoßen. Viele haben die Zeit genutzt und ihren Onlineauftritt aufpoliert bzw. erstmalig eingerichtet. Hier entsteht also ein ganz neuer Datenpool. Und somit wurden Grundlagen und ein Markt geschaffen, für den zukünftig KI-Anwendungen angeboten werden können. Die eine oder andere kostengünstige Anwendung steht bereits in den Startlöchern. Und natürlich, werden wir darüber berichten.
Bis dahin können sich Händler*innen beim Mittelstand 4.0 – Kompetenzzentrum Handel darüber informieren, welche Digitalisierungsmaßnahme für ihr Geschäftsmodell sinnvoll ist: HIER
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