5 Fragen an Dr.Matthias Rasztar von der GFK
Name: Dr. Matthias Rasztar
Unternehmen: GfK SE, Nürnberg, größtes deutsche Marktforschungsinstitut, weltweit die Nummer fünf der Branche
Funktion: Global Director Retail Performance
Warum interessieren Sie sich für die Zukunft des Einkaufens?
Ich bin leidenschaftlicher ‚Shopper‘ und habe meine Passion zum Beruf gemacht. Als professioneller Käufer und Marktforscher setze ich mich beruflich wie privat mit Shopper Trends auseinander und schaue mir mit großem Interesse neue wie alte Laden-Konzepte, Formate und Aktionen an. Insbesondere in Metropolen zeigt sich die ‚Zukunft des Einkaufens‘ stets bereits in der Gegenwart, aber auch in ländlichen Lagen findet man oft sehr kreative Laden-Konzepte.
Darüber hinaus beschäftige ich mich seit Jahren mit der Geschichte des Handels. Der Handel der Menschen untereinander ist für mich ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste struktur-, kultur- und sinnstiftende Element unser Gesellschaft – neben der Arbeit und Familie. Solange es Menschen auf dieser Erde gibt, wird es Handel geben bzw. hat der Handel eine Zukunft.
Ist Ihnen die Zukunft des Einkaufens schon begegnet?
Die ‚Zukunft des Einkaufens‘ begegnet mir überall und in den unterschiedlichsten Formaten – da der stationäre Handel schon immer gezwungen war sich hinsichtlich Format, Angebot und Services fortlaufend neu zu erfinden. Die stetige dynamische Weiterentwicklung zeigt sich besonders in Städten wie Hamburg (Mercado), Berlin (Kauf Dich Glücklich, Bikini), London (Carnaby Street) oder New York (5th Avenue). Diese Hochburgen des Einkaufens verändern sich fortlaufend.
Der Wandel im stationären Handel ist allgegenwärtig und es gelingt immer wieder einzelnen Unternehmen, sich erfolgreich im Markt durchsetzen und Produkt-Interesse zu wecken. Aber es gelingt nicht allen – der Wettbewerb ist extrem hart und schläft niemals. Der Handel ist – und damit auch die Zukunft des Einkaufens – an Menschen und deren gesellschaftliche, natürliche, technische und auch ökonomische Ressourcen geknüpft und damit Teil einer seit 4.000 Jahren voranschreitenden Evolution des Handels.
Während ich diese Zeilen schreibe, schaue ich auf die Grundmauern einer Hafenstadt auf Kreta, die bereits 2.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung Handel mit anderen griechischen Mittelmeerinseln betrieben hat. Dieses einstmals wichtige Handelszentrum wurde von anderen Zentren abgelöst, wofür es viele Gründe und Ursachen geben mag. Wichtig ist hier folgende Gewissheit: Es gab den Handel schon immer und es wird ihn immer geben – so lange es Menschen gibt.
Wer sich tiefergehende Einblicke verschaffen möchte, sollte sich die Philosophie des Geldes von Georg Simmel oder ‚Das Mittelmeer: Eine Biographie.“, David Abulafia zur Hand nehmen.
Welche Entwicklung wird die Zukunft des Einkaufens maßgeblich beeinflussen?
Drei Entwicklungen werden nachhaltigen Einfluss auslösen:
1. Digitalisierung des Handels – Das digitale Warenhaus ist erfunden und hat nationale Grenzen überschritten. In diesem Warenhaus können theoretisch die Produkte aller Länder ihren Platz und damit einen weltweiten Absatzmarkt finden. Ich würde an dieser Stelle von einer ‚Demokratisierung des Anbietermarktes‘ sprechen, die das (digitale) Warenhaus für alle Warenproduzenten öffnet.
Auf der Nachfrageseite kommt es zu einer zunehmenden Angleichung von Erwartungshaltungen und Bedürfnissen (Stichworte: 7/24, global logistics, tax free etc.), aber auch zu steigender Markttransparenz bzw. Informiertheit der Käufer.
Trotz all dieser Entwicklungen obliegt die finale Kaufentscheidung dem Käufer. Und das ist gut so. Bedeutet diese Entwicklung das Ende des stationären Handels? Nein – eindeutig nein! Der stationäre Handel wird lernen, sich diese Entwicklungen nutzbar zu machen. Dadurch werden neue Chancen entstehen, insbesondere dort, wo Emotionen, Werte und Normen, Regionalität etc. über den Einkaufsprozess bestimmen.
2. Mit der Digitalisierung des Handels und damit verbundenen logistischen Möglichkeiten wird es zu einer zunehmenden Trennung von Routine- und Nicht-Routinekäufen kommen. Routinekäufe sind all diejenigen Käufe, deren Abwicklung weitestgehend automatisiert – d.h. so zeit- und kosteneffizient wie möglich getätigt werden kann. Ich denke an die jährlichen Strom-, Wasser- oder Gasrechnungen, die einmal im Jahr ihren Weg in den Briefkasten finden. Von einem Einkaufserlebnis der besonderen Art würde hier niemand mehr sprechen wollen.
Übertragen auf Consumer Goods, Consumer Electronics oder Fashion Lifestyle ist anzunehmen, dass Konsumenten einen steigenden Anteil an Routine-Einkäufen online abwickeln werden. Vielleicht in einer Art und Weise, wie Strom oder Wasser bezogen werden. Diese Einkäufe werden über Anbieter abgewickelt, die Waren zu einem fairen Preis, logistisch zeitgerecht und frei von Beanstandungen anliefern bzw. über Pick-up Konzepte (z.B. das Drive-In Konzept in Frankreich) zur Verfügung stellen können.
Bedeutet diese Entwicklung das Ende des stationären Handels? Nein – eindeutig nein! Es ist erstens anzunehmen, dass die bekannten stationären Händler auch weiterhin die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs übernehmen und zweitens, natürlich auch hier wiederum neue Konzepte entstehen (siehe Punkt 3).
3. Routinekäufe werden von Unternehmen übernommen oder durchgeführt, die Experten in der Nahversorgung von Haushalten sind. Insbesondere Frischware muss preiseffizient, zeitnah und ohne Beanstandungen ausgeliefert bzw. vorgehalten werden. Nicht-Routinekäufe werden sicher auch weiterhin vermehrt durch kreative Laden-Konzepte bedient, ich denke da insbesondere an handwerklich gefertigte Frischwaren, reichhaltige Spezialsortimente, Design, Fashion Lifestyle usw.
Ich sehe viele Chancen und Möglichkeiten für den stationären Handel – insbesondere im Bereich der Lebensmittel (Wochenmärkte und Market Halls), Gastronomie, Mode- und Design etc. oder in Handelsbereichen mit hoher Beratungsleistung. In jedem Fall werden die technischen und logistischen Möglichkeiten dazu führen, dass Routineeinkäufe mehr und mehr digital abgewickelt werden und die nicht digital durchgeführten Einkäufe hedonistischer sein werden als in der Vergangenheit.
Welcher aktuelle Trend ist die „Sau, die durchs Dorf getrieben“ wird?
Ich sehe hier nicht die eine ‚Sau‘, sondern eher viele kleine Ferkel. Cross oder Omni – Channel wird zunehmend stark strapaziert, ebenso wie die Begrifflichkeiten ‚Erlebniswelten‘ oder ‚Servicekultur‘. Muss wirklich jeder stationäre Händler alle Vertriebsformate bedienen? Nein, aber wenn es sinnvoll ist, könnte oder sollte er dieses tun!
Universale Elemente des Handels waren schon immer Preis, Warenverfügbarkeit, Warenpräsentation, Verpackung, Logistik und Verkaufs- / Retouren-Abwicklung. Hat sich hier wirklich so viel verändert? Es mag sein, dass der Shopper von heute angesichts digitaler Vielfalt mehr Wahlmöglichkeiten gegenübersteht – mehr einkaufen wird er deswegen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht.
Darüber hinaus hat sich der Käufer längst entschieden – mehr und mehr Routinekäufe werden online abgewickelt. Der autonome Käufer hat die Wahl und trifft seine Kaufentscheidung im oben angeführten Spannungsfeld der universalen Elemente des Handels.
Für mich ist daher das digitale Warenhaus nichts anderes als eine sehr starke Ausdrucksform der Käufer nach professioneller Abwicklung von Kauftransaktionen (Preis, Markttransparenz, Zeitnahe Lieferung etc.). Es ist aber auch die konsequente Weiterentwicklung des Versandhandels, der im 19ten Jahrhundert über den gedruckten Versandkatalog seinen Siegeszug antrat.
Der stationäre Handel wird sich wie in den Jahren zuvor weiterentwickeln, anpassen und seinen Platz im Markt finden. Erfolgreiche Konzepte des stationären Handels sehe ich dort, wo Produktqualität, handwerkliche Fertigung, Manufakturarbeit, Regionalität oder Nachhaltigkeit in den Vordergrund gestellt werden.
Mit wem würden Sie gerne einmal über die Zukunft des Einkaufens diskutieren?
Mit Jeff Bezos, aber das würden wohl viele gerne wollen. Warum? Das globale Warenhaus ist für mich persönlich ein spannender Bereich, der mit dem Versandhandel in Europa seinen Anfang fand und nun erstmals in einem raumumfassenden Marktplatz seine Fortführung findet. Lokale Anbieter und stationäre Händler können schon jetzt ihre Waren aufschalten und dadurch ihren Absatzmarkt skalieren. Der Aufwand ist gering, der Nutzen groß.
Gelingt es hier zudem noch die ökologischen Aspekte des Versandhandels nachhaltig zu lösen, bietet es Personen, die vorher keinen Marktzugang hatten oder nur einen beispielsweise lokalen Markt bedienten, unendliche Möglichkeiten. Das ist sehr spannend!
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