ZDE Podcast 174: Deep Dive Handel und die autogerechte Stadt
Im Autoland Deutschland sind die Themen Verkehrswende und autofreie Innenstadt sehr emotional besetzt, gerade, wenn sie die Innenstadt betrifft. In dieser Folge machen Heike und Frank Deep Dive in das Thema. Dabei holen sie die Wissenschaft ins Boot, um den Blick auf die Faktenlage zu fokussieren.
Disclaimer
Grundsätzlich muss man bei diesem Thema unbedingt zwischen dem urbanen und dem ländlichen Raum unterscheiden. Die besagte Studie wurde in Berlin durchgeführt und zeigt natürlich das Bild einer Großstadt. Im ländlichen Raum kommt man leider unter den derzeitigen Bedingungen nicht ohne Auto aus, was natürlich einen Einfluss u.a. auf die Parplatzsituation in den Mittelzentren hat.
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Frank Rehme: Zukunft des Einkaufens. Endlich wieder eine neue Folge und ich sitze heute wieder zum Szene Talk hier zusammen mit unserer lieben Heike Scholz. Hallo Heike, grüß dich.
Heike Scholz: Moin Frank.
Frank Rehme: Moin ist gut, genau, ihr Norddeutschen wieder. Ich habe mein Moin leider schon lange durch. Heike, heute haben wir ein cooles Thema, womit steigen wir ein?
Heike Scholz: Wir werden ganz einfach mal gucken, ein heißes Thema, zumindest ein Thema, das immer zu ganz viel Emotionen in den Diskussionen führt, ist nämlich: Die autofreie Innenstadt. Das werden wir uns heute mal angucken.
Frank Rehme: Ja, die es entweder zu erreichen oder unbedingt zu verhindern gilt. Und wir haben uns erlaubt, mal direkt zu Anfang, ein kleines Rollenspiel zu machen. Ich liebe Rollenspiele und wir fangen einfach mal an. Jeder von uns nimmt eine bestimmte Rolle ein, des Befürworters oder des Verhinderers und deshalb übergebe ich direkt jetzt die Rolle an dich, nämlich das…
Heike Scholz: …pro Auto in der Innenstadt. Warum wir auf keinen Fall zulassen dürfen, dass die Autos die Innenstädte verlassen bzw. nicht mehr erreichen dürfen? Es ist ganz klar, jetzt nach Corona, jetzt haben wir Inflation. Wir haben eine Krise nach der anderen, der Einzelhandel ist tatsächlich in den Einkaufsstraßen, in den Innenstädten, also Innenstadt auch immer verstanden, auch als Kiez und als Nebenlagen und auch als Kleinstadt, also auch das meine ich dann immer mit Innenstadt. Und nach diesen ganzen Krisen, jetzt ist die Kaufzurückhaltung noch da bei den Konsumenten, kann der Einzelhandel einfach nicht auf die Umsätze verzichten, die dann letztendlich wegfallen würden, wenn die Menschen wirklich mit dem Auto nicht mehr in die Stadt kommen können. Und Alternativen sind in vielen Fällen halt zumindest unbequem, wenn sie denn überhaupt vorhanden sind, häufig sind sie gar nicht da. Und das würde dann einfach letztendlich dazu führen, wenn es unbequem ist, in die Innenstadt zu kommen und man mit seinem Auto eben nicht mehr bis in die Nähe des Geschäfts zumindest kommt, bis ins nächstgelegene Parkhaus, dass diese Umsätze dann verloren gehen. Und das wäre natürlich ein absoluter Bärendienst, den man den Innenstädten und den Einzelhändlern und auch den Gastronomen dort erweisen könnte. Dann ist es natürlich auch eine Sache, es ist auch sozial ungerecht, wenn man jetzt also über irgendwelche Mautsysteme nachdenkt, Innenstädte eben mautpflichtig zu machen, dann können nachher wirklich nur noch die Reichen in die Innenstadt. Und das wäre natürlich sozial ungerecht. Und auch etwas ungerecht ist es ja auch, wenn man sich überlegt, dass gerade die Einkommensschwächeren häufig darauf angewiesen sind, mit ihrem Auto zum Arbeitsplatz zu kommen und man ihnen das dann weg nimmt, dann sind sie im Grunde auf dem besten Wege auch ihre Arbeitsplätze zu verlieren. Also auch in diesem Falle völlig sozial ungerecht. Und wenn wir jetzt Autos in den Innenstädten verbieten, wieder ein Verbot, das ist einfach, das verträgt sich einfach schlicht nicht mit unserer freiheitlichen und liberalen Gesellschaftsordnung, dass jetzt schon wieder Verbote verhängt werden, weil wir wollen eben auch mit den Autos dort hinfahren. Es ist ein Ausdruck unserer Lebensweise. Und last but not least können dann natürlich auch am Ende Handwerker und der Lieferverkehr letztendlich auch die Innenstädte nicht mehr vernünftig anfahren, wenn es dort Durchfahrts- oder Einfahrtsverbote gibt und auch Menschen, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen angewiesen sind darauf, mit einem motorisierten Fahrzeug unterwegs zu sein. Auch die würden dann letzten Endes abgeschnitten werden, von der Möglichkeit in der Innenstadt einzukaufen. Also es gibt tatsächlich gewichtige Gründe, die dagegen sprechen, das Auto aus der Innenstadt zu verdrängen. Es kann dann eigentlich nur Verlierer geben.
Frank Rehme: Ja und über Verlierer, gut, dass du das Stichwort bringst, ich nehme jetzt mal die andere Position ein. Verlierer gibt es in jedem Jahr ohne Ende, denn wenn ich mir das Ganze so anschaue, haben wir 2022 2,4 Millionen Verkehrsunfälle in Deutschland gehabt. 2,4 Millionen, von denen sicherlich auch ein großer Anteil in den Innenstädten war. Und man sieht daran, dass Schäden entstehen durch Verkehrsunfälle. Im besten Falle reine Blechschäden, Sachschäden, aber sehr häufig auch Personenschäden. Und insofern muss man auch davon ausgehen, dass das Thema Verkehr, Autoverkehr in den Innenstädten auch immer ein Risiko für die Gesundheit von Menschen ist. Nicht nur dass sie Unfälle machen, sondern sie stinken auch und sind laut, machen, Krankheiten erzeugen die durch die Abgase, durch die Geräusche. Ja vor allen Dingen aber ganz wichtig, sie nehmen dadurch, dass wir die autogerechte Stadt hat, nehmen die Platz weg, um daraus eine menschengerechte Stadt zu machen. Wenn wir uns anschauen, wie viel Platz Straßen wegnehmen, wenn wir uns mal überlegen, es gibt keine Spezies in der Natur, die für die Mobilität, für die Mobilität ihrer Spezies so viel Risiko auf sich nimmt, dann muss man natürlich auch sagen: Sind wir da noch auf dem richtigen Weg unterwegs? Also Lebensaufenthaltsqualität ist in so einer Stadt, in der viel Autoverkehr ist, einfach nicht mehr zu haben. Und da können wir mal die Hörerinnen und Hörer fragen, ob sie gerne an einer hochbelebten Einfahrtsstraße, gerne zur Straßenseite hin, ihr Schlafzimmer hätten? Dann sagt jeder natürlich: Nein! Aber da leben viele Menschen mit. Dann natürlich brauchen diese Autos Platz, wenn sie nicht gebraucht werden und ich sage mal 90 Prozent ihrer Zeit, in der Autos im Besitz von Menschen sind, werden die nicht benutzt, die stehen dann irgendwo rum und nehmen dann auch Platz weg. Mittlerweile ist ja in vielen Städten infrage gestellt, dass so der Anspruch auf öffentlichen Raum, nur weil man ein Auto besitzt, ja auch nicht mehr kostenfrei ist. Viele holen sich jetzt Anwohner-Parkausweise, die ja ich sage mal, die bei uns in Düsseldorf teilweise mit 600 Euro pro Jahr dann gehandelt werden. Also man sieht öffentlicher Raum ist nicht mehr kostenlos für Autos zur Verfügung. Dann dein Argument, was du gesagt hast hier, dass die Leute ja nicht mehr einkaufen kommen in den Städten. Es stimmt auch nicht, da sind mittlerweile viele Studien gemacht worden, dass Autofahrende nur einen vergleichsweise geringen Anteil am Handelsumsatz haben und natürlich sind es eher die Anwohnerinnen und Anwohner, die mit ihrem Umsatz für die Umsätze im Handel sorgen. Stichwort diese 15-Minuten-Stadt. Ja und dann natürlich immer dieses große Argument: Deutschland ist ein Autoland und die Arbeitsplätze sterben alle weg. Ich glaube, wenn wir mit dem Auto nicht in die Innenstadt fahren können, werden nicht Arbeitsplätze in der Autoindustrie verschwinden. Ja, so viel mal zu den Argumenten, die es auf beiden Seiten gibt, Heike.
Heike Scholz: Ja, sehr schön. Ich muss jetzt für meine eigene Ehrenrettung sagen, dass ich diese Punkte natürlich überhaupt nicht vertrete. Ich bin eigentlich auf der ganzen anderen Seite. Ich bin eigentlich eher für die autofreie Innenstadt, ich persönlich. Aber wir wollten ganz einfach, dass mal so richtig schön gegenüberstellen, wie denn argumentiert wird in diesen Diskussionen, die ja häufig eben auch sehr schnell hitzig und sehr viel mit so ganz, ganz wertvollen Argumenten wie: Wenn ich nicht, ICH nicht mehr mit dem Auto fahren darf in die Innenstadt, dann werde ICH nicht mehr einkaufen gehen im stationären Einzelhand. Also das ist das schönste Argument, das dann am Ende immer noch kommt und du hast es schon angesprochen. Es gibt mittlerweile eine recht gute Studienlage. Man hat sehr viel untersucht und sehr viele Projekte begleitet, wo Teile oder ganze, ganze Areale in Städten tatsächlich autofrei oder verkehrsberuhigt gemacht wurden. Und da hat man sehr gut festgestellt, dass tatsächlich die Umsätze im Einzelhandel, die angeblich von autofahrenden Menschen gemacht werden, von den Einzelhändlerinnen und Einzelhändlern chronisch überschätzt werden. Also es ist tatsächlich eine völlige Fehleinschätzung, abgesehen davon, dass viele Einzelhändlerinnen und Einzelhändler gar nicht wissen, wie die Leute zu ihnen kommen, davon ab, denken sie, dass es die autofahrenden Menschen sind. Und die Studien haben gezeigt, dass die tatsächlich einen vergleichsweise geringeren Umsatz machen, im Vergleich zu den anderen, an Laufkundschaft, an Radfahrern, an Menschen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.
Frank Rehme: Ich habe diese Diskussion, ob autofrei oder nicht autofrei, die habe ich mittlerweile so ein bisschen satt, muss ich auch sagen, weil ich ganz einfach sage: Wir müssen diese Diskussion in eine Richtung führen, die nicht mit Auto oder autofrei zu tun hat, sondern mit menschengerecht. Dann kommt man von ganz alleine auf Mobilitätsszenarien, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen und nicht die kürzeste Verbindung oder effizienteste Verbindung zwischen A und B irgendwo in den Mittelpunkt stellen.
Heike Scholz: Absolut. Und es ist ja auch so, das Auto ist ja gar nicht effizient. Du hast es ja schon gesagt, das Auto steht über 95% des Tages. Ich habe mal da ein paar Zahlen nachgeschlagen, weil es mich selbst interessiert hat, jetzt in der Vorbereitung. Durchschnittlich fahren wir mit unseren Autos 43 Minuten am Tag. Wir machen durchschnittlich 2 Fahrten von ca. 15 Kilometern und nur 1% der Fahrten am Tag sind über 100 Kilometer. Also das ist, wir bewegen die Karren, das sind ja keine Fahrzeuge, sondern Stehzeuge. Und sie stehen in unseren Städten rum, stehen uns im Weg, nehmen uns die Flächen, auf denen wir Menschen sonst schöne Dinge tun könnten, einfach weil sie rumstehen, weil sie dann irgendwann mal 43 Minuten am Tag bewegt werden. Und das führt dazu, dass wir ja im Vergleich zu anderen Verkehrsteilnehmern, Fußgängern, Radfahrern, Rollerfahrern, alle wie sie da sind, einfach eine Flächenungerechtigkeit haben. Weil wir versuchen uns noch mit dem Kinderwagen irgendwo am, auf dem Bürgersteig parkenden, Auto vorbeizuquetschen und halten das für normal. Das müssen wir ändern. Wir haben ja heute den Missstand, dass wir die Autos alle in den Städten haben und dass unser gesamtes Leben sich nach Autos richtet und diesen Missstand aufzubrechen und es besser zu machen, was ja nicht heißt, alle Autos werden verboten um Gottes Willen, aber zu einer effizienteren Nutzung dieser Fahrzeuge zu kommen.
Frank Rehme: Du hast gerade etwas gesagt, was ich hochinteressant finde, mit dem Kinderwagen und dem Gehweg. Wir finden das normal. Ich sage dir jetzt auch mal so Beispiele, wo ich auch gedacht habe: Was wir mittlerweile alles normal finden. Nummer 1: Ich stehe an der Ampel. Vor mir ein großer Bus oder Lkw, weiss ich jetzt nicht mehr, hinten ein Schild dran: Achte auf den toten Winkel, den ich habe. Das heißt, du, also da wird jetzt auf einmal eine Pflicht zum Überleben an den Gefährder übergeben, weil das Auto so schlecht einsehbar ist vom Fahrer aus, dass er alle anderen warnt: Hör mal, Achtung, ich bin eine Gefahr, komme mir bloß nicht zu nahe! Und da habe ich gedacht: Das ist doch total bescheuert, dass wir so etwas zulassen. Nummer 2 ist: Wir sind ja hier auf einem Hof mit unserem Büro, in einem Hinterhofgebäude, und wir haben einen sehr großen Hof, was vorne durch ein Tor geschlossen werden kann. Und in dem Vorderhaus wohnen Kinder und die Eltern rennen ständig den Kindern hinterher, wenn das Tor offen ist, um aufzupassen, dass sie ja nicht aus dem Tor rauslaufen, weil da die Straße ist. Und wir halten das für vollkommen normal, dass wir auf die Kinder aufpassen und denen hinterherlaufen: Achtung, nicht auf die Straße, da ist die Gefahr. Anstatt zu sagen: Pass mal auf, der Raum ist hier für die Menschen da und die sollten auf keinen Fall gefährdet werden. Aber wir nehmen das als vollkommen normal an, so mit unseren Kindern umzugehen. Das ist total bescheuert. Mittlerweile machen wir das Tor vorne schon zu. Aber das heißt ja, dass wir, wenn wir die sichere Spielumgebung unserer Kinder sicherstellen müssen, müssen wir die einsperren, um die von der Gefahr der Straße wegzuhalten. Also so sieht man mal, wie bekloppt unsere Denke schon mittlerweile ist und was wir als vollkommen normal angehen. Aber wo kommt denn diese ganze Geschichte her? Ich habe da auch mal recherchiert, Heike. Und zwar habe ich die Charta von Athen entdeckt. Die Charta von Athen wurde auf einem Kongress, dem Internationalen Kongress für Neues Bauen, 1933, also exakt von 90 Jahren, wurde die in Athen verabschiedet und da geht es um die funktionale Stadt. Und dort hatten Stadtplaner und Architekten über die Aufgabe der modernen Siedlungsentwicklung diskutiert. Da waren auch so Highlights bei wie Le Corbusier, den kennen wir alle von den berühmten Liegen, die so teuer in den Möbelhäusern gehandelt werden. Aber da geht es unter anderem um dieses Riesenthema auch, was dabei rausgekommen ist, der autogerechten Stadt. Weil da fing so ganz, ganz langsam die Motorisierung an zu der Zeit. Und eine autogerechte Stadt, so ist das da definiert, ist eine an den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs orientierte Stadt. Das heißt, Individualverkehr, also es wird das Individuum mit seinen Verkehrsbedürfnissen über das Gemeinwohl gestellt. Und das ist natürlich etwas, wo man darüber nachdenken muss: Mensch, was haben wir denn damals eigentlich für Ideen gehabt zu einer Zeit, 1933 muss man ja sagen, als wahrscheinlich auf der Cornelius-Strasse hier in Düsseldorf pro Stunde 4 Autos herfuhren? Weil es nämlich keine Autos gab. Aber man hat damals schon gesagt: Können wir uns gut vorstellen, dass da ein paar mehr werden und wir machen das Ganze jetzt autogerecht. Dass das auf einmal so viele werden und man muss sich ja Gedanken darüber machen: Wieviel Autos haben wir denn? Und ich habe vor kurzem eine Exkursion nach Wien gemacht, wir mit der IHK und wir hatten dort auch Termine mit dem Stadtplaner von Wien-Wien. Man erinnert sich: Wien ist die Stadt mit der höchsten Lebensqualität der Welt. Und ich war da auch viel mit Elektro-Scootern unterwegs, um die Stadt zu erkunden, riesenbreite Fahrradwege, aber auch sehr viel Autoverkehr. Und als wir den Stadtplaner da gesprochen haben, hat der gesagt, dass auf 1000 Einwohner in Wien grade mal 270 Autos kommen. Wo ich erst gedacht habe: Das sind aber trotzdem noch viele. Aber dann habe ich mal gefragt hier, weil wir hatten da auch die Wirtschaftsdelegation von Düsseldorf dabei: Wie viel haben wir denn in Düsseldorf? 560.
Heike Scholz: Der Bundesschnitt liegt bei 580 auf 1000 Einwohner.
Frank Rehme: Ja, so und da müssen wir immer überlegen, warum kommt Wien eigentlich mit weniger als der Hälfte aus? Und das hat damit zu tun, dass die natürlich eine super individuelle, sorry, ÖPNV den ÖPNV gut aufgestellt haben und eine Infrastruktur an Fahrradwegen auf die Beine gestellt haben, die ja, ich sag mal, Fahrradfahren total gefahrlos macht eigentlich und auch auf den Fahrradfahrrad zentriert ist. Und ich habe den gefragt dann auch, ich sag: Mensch, wie kam es denn eigentlich, dass ihr jetzt auf einmal so viel Platz hattet für diese breiten, superbreiten Fahrradwege? Also die sind drei Mal so breit wie die, die wir hier aus Deutschland so kennen. Und dann hat er gesagt: Ganz einfach, wir haben die Parkplätze der Autos weggenommen. Das ist natürlich eine Diskussion, die möchtest du hier in Deutschland nicht unbedingt führen. Und vor drei Wochen war ich dann nochmal in Kopenhagen. Da wird ja auch viel darüber berichtet, was Kopenhagen so macht. Und da war ich auch mit einem Elektro-Scooter unterwegs und hab praktisch die gleichen Fahrradwege benutzt, Fahrradautobahn, Fahrradbrücken über die Hafengebiete dort und so, also das ist ein unfassbares Erlebnis. Kann ich echt nur empfehlen, sich so was mal angucken und wir kriegen es in Deutschland irgendwie nicht gewuppt.
Heike Scholz: Naja, das ist, ich glaube, dass es einfach etwas ist, was wir aber tatsächlich diskutieren müssen. Wenn wir, also weil es geht ja auch, auch wenn wir jetzt sehr viel gegen die Autos gerade geredet haben, es geht ja nicht darum, alle Autos zu verbieten und dass kein Handwerker mehr in die Innenstadt kann, um seinen Job dort zu machen. Das ist ja gar nicht der Punkt. Es geht um, wie du schon gesagt hast, intelligente Mobilitätskonzepte mit Car-Sharing. Dann stehen auch gar nicht mehr so viele Autos rum, weil die sind ständig in Betrieb, weil man sie sich ruft, wenn man sie braucht und dann gibt man sie wieder ab und jemand anders kann sie benutzen. Das ist, das ist ökologisch sinnvoller, das ist vom Platz her besser, weil wir gar nicht mehr so viel Parkplätze brauchen und dann könnten wir mit diesen Flächen ja etwas anderes machen und diese Flächen auch anderen Verkehrsteilnehmern oder dem Einzelhandel oder der Gastronomie, einfach anders nutzen. Und das bringt mich nämlich wieder dazu, dass, es gibt eine sehr gute Studienlage mittlerweile, ich hatte das schon erwähnt. Und ich möchte einfach mal so ein paar Beispiele, sagen wir um auch wieder auf die Einzelhandelsumsätze zurückzukommen, die ja eben gerade nicht zurückgehen, wenn die Verkehrsberuhigung kommt oder tatsächlich die autofreie Innenstadt. Es ist zum Beispiel, in New York hat man geschützte Radwege gemacht, hat Bäume gepflanzt und danach haben die Einzelhändler 12,5 Prozent mehr Umsatz gemacht, weil die Straßen ruhiger waren. In Madrid hat man die Gran Vía umgebaut, 6,2 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr. Eine Mittelstadt, Pontevedra in Spanien, 80.000 Einwohner ungefähr, etwas drüber, haben ihre Innenstadt extrem Auto reduziert gemacht und haben 7,5 Prozent mehr Umsatz und 17 Prozent weniger Ladenschließungen. Also auch die Händler bleiben, weniger Insolvenzen bzw. Schließungen, ob das jetzt Insolvenz ist, das weiß ich nicht. Und ob das jetzt Portland, Seattle, Memphis, Wien, hattest du schon erwähnt, es gibt so viele Beispiele, wo man wirklich sagen kann: Ungefähr plus 4 Prozent für den Einzelhandel, Gastronomie macht mehr mehr, also bis zu 30 Prozent und Lebensmittelgeschäfte hat in den Innenstädten oder in den Ballungszentren tatsächlich über 50 Prozent mehr. Das ist so ein bisschen aggregiertes Mittel, um daran mal auf die Studien drauf zu gucken. Und selbst hier in Deutschland, also auch in Berlin, die Pop-Up-Fahrradwege am Cottbuser Damm, in Kreuzberg, das sind wirklich Gegenden, wo 93 Prozent der Menschen gar nicht mit dem Auto kommen. Und die Umsatzanteile sind dort ganz anders verteilt, als wir das manchmal denken, wenn wir so aus Handelssicht kommen. Das Fußverkehr sind da 61 Prozent, ÖPNV 17, Fahrrad 14 und nur 7 Prozent der Kunden kommen mit dem Auto. Und das zeigt, wie viele andere Studien auch, dass wir auf Handelsseite immer diese Überschätzung haben, wie viele kommen denn wirklich mit dem Auto. Und das zusammen mit der Studienlage und aus den Projekten, auch in Barcelona, in den Superblocks hat man auch festgestellt, dass die dort ansässigen Gastronom und Einzelhändler mehr gemacht haben an Umsätzen. Und das führt dazu, dass wir immer denken: Wir dürfen das nicht ändern, was wir jetzt haben. Aber ich denke, diese Änderungen werden einen so guten Einfluss auf den Kiez, auf die Innenstadt, auf die Einkaufsstraße haben, dass wir da nicht so viel Angst vor haben sollten und das lieber mutig angehen und es wirklich verändern und menschengerecht machen. Denn ich denke ganz einfach, wenn da kein tosender Verkehr durchdonnert, durch so eine Straße, dann ist auch Flanieren, Shoppen, Aufenthalt, das ist einfach… das hat alles eine andere Qualität und macht einfach grundlegend mehr Spaß.
Frank Rehme: Also viele der Beispiele, Städte, die du gerade genannt hast, habe ich selbst schon bereist. Hier auch New York, hat mich am meisten gewundert, weil die sind wirklich hingegangen, die haben ja dieses Einbahnstraßensystem und haben wirklich ganze Einbahnstraßen, die vierspurig waren, komplett in Fahrradstraßen umgewandelt, da fährt überhaupt kein Auto mehr. Die haben ja auch ein großes Leihrad-Angebot, also es ist wirklich ideal. Aber alle die Städte, die wir jetzt hier genannt haben und in denen ich selbst schon persönlich war, muss ich auch sagen, dort gibt es auch viel Autoverkehr. Also deshalb finde ich so diese Diskussion, autofreie Innenstadt und so, eigentlich schlecht, sondern die menschengerechte Innenstadt. Das ist eigentlich das, was man im Mittelpunkt stellen sollte, habe ich jetzt ja gerade auch schon mal gesagt, denn wir müssen für die Innenstädte neue Besuchsanlässe schaffen. Das ist die Aufgabe, die Städte zukünftig haben. Handel ist zwar laut der Untersuchung von dem IFH Köln vitale Innenstädte immer noch einer der Hauptanlässe für Innenstadtbesuche, aber mit abnehmender Tendenz. Das heißt, wir wissen genau, dass Handel alleine nicht mehr die Hauptaufgabe einer Innenstadt sein wird zukünftig und deshalb muss man schauen, dass man neue Besuchsanlässe schafft und dafür braucht man natürlich Platz. Wenn man zum Beispiel solche Dinge machen will, wie Gastro Meilen, die irgendwo stattfinden, dann dürfen die nicht auf zugeparkten Gehwegen irgendwo stattfinden, sondern da muss man sich irgendetwas einfallen lassen, wenn man in diese Richtung unterwegs ist. Oder Platz schaffen will für mehr Begegnung, man geht ja da immer von der Stadt so als Raum des anlassunabhängigen Begegnen, das ist das, was letztendlich geschaffen werden muss. Dafür braucht man dann dementsprechend Platz. Und das ist das, was man machen muss zugleich, wenn man darüber nachdenkt, wie durch Klimawandel werden Städte ja immer heißer, muss man sagen auch, und dass man durch Grün, was auch mit Versickerungsflächen, dementsprechend zusammenhängt, muss man auch wieder Raum schaffen, um möglichst viel Grün in die Innenstädte mit reinzubringen, um einfach die Innenstädte auch noch klimatisch gut zu halten. Wir hatten hier in den Stadtlaboren eine Stadt mit dabei, die gesagt hat: Unser größtes Problem für die Innenstadt ist der Klimawandel, weil wir liegen hier in einer Zone, wo besonders heiße Luft aus einem nahen Gebirge bei uns einströmt im Sommer. Und das macht in der Innenstadt den Aufenthalt unmöglich, weil das so heiß in der Innenstadt dann ist. Und deshalb müssen wir jetzt hier in der Stadt umdenken und viel, viel mehr Begrünung hinschaffen, um einfach die Abkühlung hinzubekommen. Und dafür braucht man überall Platz. Wir reden hier um Platz für Menschen, der geschaffen werden muss. Und natürlich bleiben die Städte, auch die tollen, die wir gerade alle genannt haben, mit dem Auto erreichbar. Nur nicht primär mit dem Auto, sondern es werden auch Alternativen geschaffen, ob das jetzt ÖPNV ist oder nicht autobezogener Individualverkehr, sprich mit Fahrrädern, Elektromobilen oder was auch immer, dazu muss jetzt letztendlich der Platz geschaffen werden. Und das geht natürlich zulasten derer, die in der Cartha von Athen damals den Vortritt hatten und was sich herausgestellt hat, dass das ja mittlerweile ein Weg ist, den man unbedingt verlassen muss.
Heike Scholz: Ja und das ist, wie gesagt, in diesen Diskussionen und die ganzen Argumente, die immer dafür gebracht werden. Ich habe manchmal so einen kleinen bisschen Ärger, man muss sich ja immer die Frage stellen: Wem nützt das? Also wem nützt es, die Diskussion dahin zu leiten und mit den Argumenten zu spicken, bloß ja weiter mit dem Auto bis in die Innenstadt fahren zu können? Wer hat da was von? Und da habe ich manchmal so, ich weiß noch nicht, ist jetzt keine Verschwörungstheorie, um Himmelswillen, aber es gibt natürlich durchaus virale Interessen auch in Deutschland, das letzten Endes, die der Autoverkehr möglichst nicht eingeschränkt wird und dann natürlich auch nicht in den Innenstädten. Also können wir uns ziemlich sicher sein, wer da so die Protagonisten sind, die da eben dann, in meinen Augen, manchmal aber auch den Einzelhandel mit der Argumentation des ausbleibenden Umsatzes, wenn man etwas autoberuhigt und menschengerechter in den Städten vorgehen würde, dass da der Einzelhandel auch so missbraucht wird für die Argumentation. Der sollte sich da auch nicht vor den Karren spannen lassen. Denn haben wir ja ausreichend dargelegt und wir packen es auch noch mal in die Show Notes diese Studienergebnisse, dass es eben so nicht ist, sondern dass die Umsätze eigentlich steigen und das sollte dazu führen, dass der Einzelhandel sich nicht mehr instrumentalisieren lässt für die Argumentation: Autos müssen unbedingt möglichst bis genau vor das Ladengeschäft fahren können. Das ist tatsächlich so nicht und wenn wir sehen, was passiert, wenn Innenstädte keine Aufenthaltsqualität mehr haben, wenn der Teufelskreis mit den Leerständen erst angefangen hat, wird es alles noch viel schwerer. Und deswegen Appell, also zumindest von mir aus ganzem Herzen an alle Einzelhändlerinnen und Einzelhändler: Engagiert euch dort, wo es darum geht, wie eure Innenstadt, eure Einkaufsstraße gestaltet wird, arbeitet mit den Anderen zusammen, die dort auch Interessen vertreten und macht was Schönes draus, damit die Menschen auch wieder mit Spaß und Freude in die Innenstädte kommen.
Frank Rehme: Ja Heike, du sprichst mir da aus der Seele. Ich habe ja hier die Nähe der niederländischen Grenze. Da ist eine wunderschöne Stadt, die heißt Maastricht. In Maastricht ist komplett innen drinnen autofrei. Unglaubbar, wer geht da am liebsten dann einkaufen? Die Deutschen, die draußen dann vor der Stadt in den Parkhäusern ihre Autos lassen und dann zu Fuß wunderbar in Maastricht dann an den Plätzen die Gastronomie, die tollen Läden und so was da alle mitnutzen. Und daran sieht man ja auch an diesen Beispielen, dass Handel nicht vom Autoverkehr lebt, sondern von der Attraktivität, die durch die eigenen Konzepte an die Kunden herangetragen werden. Und wir sehen ja in den Zahlenspiegel hier vom Handelsverband als Beispiel, dass seit 12 Jahren jetzt mittlerweile der Umsatz im Einzelhandel inflationsbereinigt steigt. War die ganzen Jahre davor nie gewesen, ist immer zwischendurch mal runtergegangen. Er steigt seit 2010, bis jetzt 2022 ist er selbst mit Corona gestiegen. Davon ist natürlich jetzt nicht der größte Teil online, sondern online schafft gerade mal 17 Prozent, das heißt die Majorität wird noch im stationären Handel ausgeben. Aber warum haben wir denn dann Leerstände in den Städten? Liegt nicht daran, dass auf einmal die Städte keinen Autoverkehr mehr hatten. Nein, auch in Städten, die tolle Zuge-Erreichbarkeit haben, ganz viele Parkplätze direkt vor den Läden haben, gibt es direkt vor und hinter den Parkplätzen, dann Leerstände. Woran liegt es? Einfach an langweiligen Retail-Formaten. Und diese langweiligen Retail-Formaten ziehen keinen mehr vom Hocker, egal ob der mit dem Auto kommt oder nicht. Und deshalb muss der Handel auch sich an die eigene Nase fassen und sagen: Okay, habe ich noch ein Format, was vom Sortiment, von der Zielgruppenfokussierung überhaupt noch zeitgemäß ist? Und genau da muss man dann dementsprechend dann auch ran. Ich habe Beispiele mitgebracht. Ich habe viele Fotos gemacht, die werde ich auch mal hier in die Show Notes mit reinstellen, von Ålesund. Ålesund ist ein Touristenmagnet in Norwegen. So, Ålesund hat eine kleine Innenstadt, die darf man auch mit dem Auto befahren. So und direkt im Hafen von Ålesund, da stehen dann solche Riesentanker wie MeinSchiff und Aida und solche Sachen alle und Touristen strömen ohne Ende in die Innenstadt. Und da muss man sich fragen: Warum sind denn da so viele Leerstände, die ich alle fotografiert habe, obwohl eigentlich alles stimmt? Touristen kommen ohne Ende und ich kann mit dem Auto reinfahren und das liegt an dem Grund, den ich gerade gesagt habe: Handelsformate, die einfach über die Zeit gelaufen sind. Da kann man vielleicht ein bisschen von der Gastronomie lernen. Ich weiß noch, als ich Kind war, da waren so Innereien immer auf den Speisekarten in den Restaurants, so Nierchen und solche Sachen alle. So, haben sie heute nicht mehr. Warum? Der Zeitgeist hat sich geändert und so was ist von der Karte dann auch verschwunden. Aber bei vielen Händlern sieht man noch so Formate aus den 90er, 80er Jahren, die bis heute überlebt haben, wo man sich fragt, warum da keiner mehr einkauft. Und die werden dann auch früher oder später den Markt verlassen. Und dann, wenn die die Leerstände sehen, werden die sagen: Das liegt jetzt daran, weil wir keine Autos in den Innenstädten haben. Und das stimmt einfach dann nicht.
Heike Scholz: Das haben wir hinlänglich ausreichend und umfangreich heute versucht darzulegen. Für alle, die sich da noch mal näher reinlesen wollen, wie gesagt, packen wir die Links in die Show Notes mit rein. Und wir freuen uns auf jede Diskussion auch über autofreie, aber in erster Linie menschengerechte Innenstädte. Und wir freuen uns auch über weitere Argumente pro oder kontra ganz, ganz egal. Bitte kommentieren Sie fleißig bei uns. Seien Sie gegen unsere Argumente, belehren Sie uns eines Besseren. Also wir freuen uns drauf auf eine Diskussion, die dann hoffentlich möglichst fundiert und möglichst sachlich sich mit dem Thema auseinandersetzt. Und auch wenn das Auto des deutschen Liebstes Kindes ist, niemand will die Autos jemandem wegnehmen, sondern wir wollen einfach nur alle besser miteinander auskommen.
Frank Rehme: Dem ist nichts mehr hinzuzufügen Heike. Sind wir durch, nä?
Heike Scholz: Wir sind soweit durch, Frank.
Frank Rehme: Alles klar. Dann bis zum nächsten Mal und tschau.
Heike Scholz: Tschüss.
Frank Rehme: Ja, ich will noch mal einen kleinen Disclaimer hinten dranhängen. Die Studien, die wir da zitiert haben, wo es darum geht, die Wahrnehmung der Händler, mehr System, was die Kunden wirklich tun, die gilt für den Nicht-Urbanen-Raum eigentlich überhaupt nicht. Also wer irgendwo im ländlichen Bereich unterwegs ist und so ein Mittelzentrum hat, mit einem großen Einzugsgebiet, da sind die Menschen aufs Auto angewiesen. Das, was in den Studien war, war hauptsächlich in den großen Urbanen-Räumen in Großstädten und da gilt das, was denn dort veröffentlicht wurde. Ja, so viel erstmal dazu. Ich möchte noch mal kurz aussprechen, wenn ihr uns unterstützen wollt, dann könnt ihr das sogar kostenfrei tun. Kostet euch gar nix, außer vielleicht eine kleine Aktion: Entweder, dass ihr bei uns den Newsletter abonniert, dass ihr dann eventuell auch im Podcatcher eurer Wahl möglichst viele Sterne für uns vergebt, damit andere uns gut finden oder dass ihr hingeht und euren Kolleginnen und Kollegen von uns erzählt, damit die auch die Informationen aus erster Hand bekommen. Ja, und falls ihr dann wirklich sagt: Mensch, die möchte ich mal unterstützen. Dann gibt es auf zukunftdeseinkaufens.de ganz oben eine Menüleiste, da steht Unterstützer und da steht, wie ihr uns unterstützen könnt. Also insofern wünsche ich euch mal wieder eine erfolgreiche Woche, macht fette Beute, denn darum geht’s. Danke und Tschüss!
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