Quick-Check: Eigener Webshop oder Plattform?
Der eCommerce wächst. Stationäre Händler sehen sich, angesichts zurückgehender Frequenzen in den Läden, gezwungen, ihr Glück auch online zu suchen. Einige haben damit schon vor langer Zeit begonnen, andere haben bis heute noch nicht einmal angefangen. Es gibt also immer noch Händler, die vor der Frage stehen: Webshop oder Plattform?
Auch im vergangenen Jahr betrug der Zuwachs rund zehn Prozent, so dass 2018 in Deutschland 53,4 Milliarden Euro online umgesetzt wurden. Damit hat der Online-Handel zum ersten Mal die Zehn-Prozent-Marke am Gesamt-Jahresumsatz des Handels (513,3 Mrd. Euro 2018) überschritten. Und diese Entwicklung wird sich fortsetzen, daran gibt es keinen Zweifel.
Webshop oder Plattform: Die Parameter
Diese Frage lässt sich pauschal natürlich nicht beantworten. Zu unterschiedlich sind Händler, Waren, Sortimente und Kund*innen. Dennoch lassen sich einige Grundüberlegungen anstellen, welche Parameter die Entscheidung für die jeweilige Vorgehensweise beeinflussen. Je nachdem, wie ein Händler den jeweiligen Parameter betrachtet und gewichtet, ergeben sich unterschiedliche Vorgehensweisen.
Dieser Artikel beschreibt sechs relevante Parameter, die im Rahmen einer Entscheidung für einen eigenen Webshop oder die Präsenz auf einer Handelsplattform betrachtet werden sollten. Zu jedem dieser Kriterien haben wir Fragen zusammengestellt, die Sie im Rahmen Ihrer Entscheidungsfindung beantworten sollten.
Mit diesem Quick-Check können Sie diese Kriterien vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Gegebenheiten bewerten. Diese Bewertung gibt Ihnen einen ersten Hinweis, für welche Lösung Sie sich entscheiden sollten.
Wissen
Das Aufsetzen und Betreiben eines Webshops gehört nicht zu den Kernkompetenzen eines stationären Händlers. Die Auswahl eines passenden Shop-Systems, das den Kunden und dem Händler gerecht wird, und zwar heute und morgen, ist nicht trivial und erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit Wünschen, Bedürfnissen, Restriktionen und Möglichkeiten. Hierbei geht es nicht nur darum, welches Shopsystem in Frage kommen könnte, sondern auch um alle anderen Aspekte, z.B. rechtliche, die mit dem eCommerce verbunden sind.
Es ist hierbei immer zu überlegen, wie viel Wissen im eigenen Haus vorhanden sein muss und welche Aufgaben, z.B. die rein technische Betreuung des Shops, auch durch Externe übernommen werden können. Diese Make-or-Buy-Entscheidungen müssen sowohl für die Wahl eines eigenen Shops als auch für die einer oder mehrerer Plattformen getroffen werden.
Der eigene Shop benötigt, bevor über ihn überhaupt Umsätze realisiert werden können, Zeit und Geld. Diese Anlaufzeiten und -kosten entfallen zum Teil, wenn der Händler sich für eine Plattform entscheidet. Auch hier müssen natürlich Möglichkeiten und Restriktionen erkannt, Prozesse verstanden und beherrscht und die Produkte eingestellt werden. Jedoch muss sich ein Händler um den technischen Betrieb des Shops keine Gedanken machen.
Strategische Fragen
- Ist das notwendige Wissen im eigenen Haus vorhanden (Webshop, Plattform oder beides)?
- Wenn das Wissen heute nicht oder nicht ausreichend vorhanden ist, wie schnell und zu welchen Kosten (variabel/fix) kann es aufgebaut werden?
- Welches Wissen ist als kritisch einzustufen und muss im eigenen Haus aufgebaut/gehalten werden?
- Welche Teile des Wissens können ggf. durch Externe abgedeckt werden? Wie hoch wird dann der Grad der Abhängigkeit?
Investitionskosten
Ein Shop mittlerer Größe wird zu Beginn – sofern man ihn nicht eigenhändig aufsetzt – einen mittleren fünfstelligen Betrag benötigen, um überhaupt erst einmal vorhanden und nutzbar zu sein. Darin noch nicht enthalten sind Kosten für die Suchmaschinenoptimierung (SEO), das Suchmaschinenmarketing (SEA), für Social-Media-Aktivitäten und weitere Marketingmaßnahmen, wie z.B. den Aufbau eines eigenen Newsletters.
Bilder und Produktbeschreibungen müssen sowohl für den eigenen Shop als auch für die Plattform erstellt und optimiert werden.
Die Plattform ist mit geringeren Initialkosten und schneller nutzbar, da die Konfiguration des Shopsystems selbst, Design und Navigation, sowie Check-out und Payment seitens der Plattform gestellt werden.
Strategische Fragen
- Welche initialen Kosten sind mit einem eigenen Webshop, welche mit einer Präsenz auf einer Plattform verbunden (einmalig, variabel, fix)?
- Welche Ziele (Umsatz/Absatz) werden mit Webshop oder Plattform verfolgt?
- Welche Budgets (SEO, SEA, Social Media, sonstiges Marketing) werden für die Zielerreichung zur Verfügung gestellt?
Reichweite
Die eben beschriebenen Marketingkosten, die durch das Bekanntmachen des eigenen Shops entstehen, entfallen bei der Nutzung einer Plattform wie Amazon oder Ebay. Hier setzt man sich quasi ins gemachte Nest, was Bekanntheit und Reichweite bei den Kund*innen angeht.
Kosten entstehen hier jedoch dafür, auf diesen Plattformen sichtbar zu sein. Denn auch innerhalb der großen Plattformen gilt es, bei den Suchergebnissen ganz vorne mit dabei zu sein. Nicht umsonst entwickelt sich das Werbegeschäft von Amazon prächtig (10 Mrd. US$ 2018).
Bei regionalen Plattformen ist dies oftmals einfacher, weil schlicht nicht so viele Händler dort vertreten sind. Doch diese bessere Sichtbarkeit erkauft man sich mit der erheblich geringeren Reichweite der regionalen Plattformen. Auch sind die Angebote der Händler auf diesen Plattformen manchmal wenig attraktiv für die Kund*innen, so dass es dort eher ruhig zugeht. Anders ausgedrückt: Die Umsätze bleiben oftmals aus.
In Sachen Reichweite steht mal also vor einem Problem, welches sich wie die Wahl zwischen Pest und Cholera anfühlt. Große Reichweiten wie sie z.B. Amazon oder Rakuten bieten, „bezahle“ ich als Händler mit meiner eingeschränkten Sichtbarkeit auf der Plattform. In meinem eigenen Shop bin ich bestens sichtbar, muss mich aber auch selbst darum kümmern, in den Weiten des Internets von den richtigen Menschen gefunden zu werden (Suchmaschinenoptimierung/-advertising, SEO/SEA). Beides erfordert Fachwissen und finanzielle Mittel.
Strategische Fragen
- Sind ausreichend Ressourcen (Wissen, Budget) für den Aufbau einer eigenen Reichweite vorhanden?
- Sind Mechanismen und Prozesse für den Reichweitenaufbau auf den gewählten Plattformen bekannt oder wie schnell kann dieses Wissen aufgebaut werden?
- Ist das eigene Engagement auf einer regionalen Plattform wirklich zielführend?
Flexibilität
Natürlich kann man seinen eigenen Webshop viel besser an die eigenen Vorstellungen und die Bedürfnisse der Kund*innen anpassen. Man hat jeden Spielraum, die eigene Marke so zu inszenieren, dass sie wahrgenommen und erinnert wird. Es steht einem frei, andere Darstellungsformen für das eigene Angebot einzubinden und seinen Shop hieran anzupassen. Die höhere Flexibilität des eigenen Shops lässt sich am Besten nutzen, wenn das eigene Angebot exklusiv ist. Das eigene, unverwechselbare Alleinstellungsmerkmal kann so optimal inszeniert werden und erzeugt so Wiedererkennung, emotionale Bindung und meist auch wiederkehrende Kund*innen.
Auf Plattformen ist der einzelne Händler stark eingeschränkt. Eine Anpassung des eigenen Shops ist meist nur in sehr engen Grenzen und nur standardisiert möglich. Eine echte Individualität, die auch Ausdruck in der Struktur des Shops findet, ist meist ausgeschlossen.
Dies muss nicht grundsätzlich schlecht sein. Es kommt darauf an, welche Produkte man anbietet und welche Ziele man verfolgt. Will ich mit Standard-Produkten die Preisführerschaft erreichen, spielt die flexible Anpassung meines eigenen Webshops eine eher untergeordnete Rolle. Dann gehe ich auf reichweitenstarke Plattformen. Will ich einzigartige Produkte anbieten, bei denen die Preissensibilität der Kunden eher geringer ist, kann mich ein eigener Webshop besser unterstützen.
Strategische Fragen
- Werden eher Standardprodukte, Unikate oder personalisierte Produkte verkauft?
- Welche Strategie wird verfolgt (Preis-, Qualitäts-, Innovationsführerschaft etc.)?
- Wie verkaufsrelevant ist die eigene Marke (nicht die der Produkte)?
- Welchen Stellenwert hat vor dem Hintergrund der eigenen Strategie, dem Sortiment und der Marke die Anpassbarkeit des Kanals?
Marge
Auf einer Plattform fallen dauerhaft und meist auch für jeden Verkauf entsprechende Gebühren durch den Plattformbetreiber an. Diese schmälern die Produktmargen. Vorteilhaft hieran ist, dass diese Gebühren sehr einfach zu kalkulieren sind und zumindest innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht schwanken. Darüber hinaus fallen sie oftmals erst an, wenn auch Verkäufe getätigt werden. Es handelt sich also um variable und nicht um fixe Kosten, die die Liquidität kontinuierlich belasten.
Nachteilig ist, dass der einzelne Händler den Veränderungen der Konditionen seitens der Plattform weitgehend wehrlos ausgesetzt ist. Erhöht der Plattformbetreiber z.B. seine Gebühren, ist ein Widerspruch in den meisten Fällen sinnlos. Es bleibt im Zweifel nur, die Plattform zu verlassen, was umso schwieriger wird, umso stärker der Lock-In-Effekt der Plattform ist. Vorrangig stellt sich dann die Frage nach einer adäquaten Alternative und selbst wenn diese vorhanden ist, bleiben hohe Aufwände, die mit einem Wechsel verbunden sind.
Auch der eigene Shop kostet dauerhaft Geld: Hosting, Wartung, Lizenzgebühren, Honorare für Entwickler*innen etc. Im Unterschied zur Plattform, unterliegen diese Kosten jedoch weitgehend dem eigenen Einfluss. Damit ist man von unerwarteten Veränderungen geschützt. Jedoch sind einige der für einen eigenen Webshop auftretenden Kosten fix, d.h. sie fallen auch an, wenn keine Umsätze generiert werden.
Strategische Fragen
- Wie entscheidend ist die Vermeidung von fixen Kosten?
- Welches Gewicht hat die Unabhängigkeit von den Konditionen der jeweiligen Plattform?
- Welche alternativen Plattformen gibt es und wie stark wirkt der jeweilige Lock-In-Effekt?
Wettbewerb
Auf einer Plattform ist der nächste Wettbewerber nur einen Klick entfernt. Wahrscheinlich taucht sein Angebot genau neben dem eigenen auf. Die Transparenz für den Shopper ist hoch und bei gleichen oder gleichartigen Produkten wird meist der Preis entscheiden. Hierdurch ist der Margendruck enorm.
Darüber hinaus hält die Plattform weitgehend die Kundenbeziehung. Dem Shopper ist es meist egal, welcher Händler ihm die Ware schickt. Er kauft bei Amazon, Otto oder Zalando. Oftmals bemerkt die Käufer*in gar nicht, dass es nicht die Plattform war, bei der sie bestellt hat. Damit wird der einzelne Händler für die Shopper austauschbar, die Bindung besteht zur Plattform.
Plattformen entwickeln Angebote, die den Händlern mehr Sichtbarkeit und damit die Möglichkeit zur Kundenbindung verschaffen sollen. So versucht Amazon mit den Amazon Storefronts gerade kleineren Händlern ein Gesicht zu geben. Diese Angebote sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auf Plattformen erheblich schwerer ist, Kund*innen an den eigenen Store oder die eigene Marke zu binden. Einfacher ist es für starke Marken, die auch auf Plattformen sichtbar sind. Dies erwarten die Kund*innen sogar von großen Marken.
Das beschriebene, direkte Nebeneinander auf Plattformen hat man in seinem eigenen Shop natürlich nicht. Die Alleinstellung eröffnet Möglichkeiten, höhere Margen zu erwirtschaften und Kunden direkt an sich zu binden. Diese Chancen wird man jedoch nur wirklich nutzen können, wenn man eine ausreichende Reichweite aufbauen kann. Denn auch in den Suchergebnissen der Suchmaschinen sind die Wettbewerber nie weit entfernt.
Strategische Fragen
- Wie stark ist die Wettbewerbssituation, in der sich mein Shop und mein Sortiment befinden?
- Wie wichtig ist die direkte und nachhaltige Kundenbeziehung?
- Ist der Preis das kaufentscheidende Kriterium?
Weitere Kriterien
Die Abwägung dieser sechs Parameter ist ein guter Einstieg in die Entscheidungsfindung „eigener Webshop oder Plattform“. Abschließend ist dies natürlich nicht, denn Aspekte wie Marke, Image, Internationalität, Verpackung, Logistik, Retouren, Lager, Dropshipping und noch einige mehr wurden hierbei noch nicht berücksichtigt. Je nachdem, wie wichtig diese weiteren Kriterien sind, beeinflussen sie die Entscheidung in die eine oder andere Richtung.
Es kommt auch vor, dass die Handlungsempfehlung nach sorgfältiger Betrachtung aller Parameter nicht eindeutig ist, sich Vor- und Nachteile der beiden Alternativen die Waage halten. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, beide Wege zu beschreiten und sowohl einen eigenen Webshop aufzubauen als auch auf Plattformen zu verkaufen. Also nicht Webshop oder Plattform, sondern Webshop und Plattform. Inwieweit diese beiden Kanäle zeitgleich oder nacheinander und dann in welcher Reihenfolge aufgebaut werden, entscheiden die Ressourcen und die individuelle Strategie des Händlers.
Infografik
Beitragsbild: Stockfoto – woaiss/Shutterstock
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