Vom Krisen-Plan zur nachhaltigen Strategie: Corona als Treiber für den digitalen Commerce?
Eine digitale Strategie ist für das Überleben als stationärer Händler unerlässlich. Wenngleich das nicht erst seit dem Corona-Lockdown gilt, wurden dadurch die Versäumnisse der letzten Jahre schmerzlich offenkundig. Treibt Corona nun den digitalen Commerce voran?
Es wird viele stationäre Einzelhändler geben, die die Corona-Krise nicht oder nur knapp überleben werden. Bereits vor der Pandemie ächzte der Einzelhandel unter dem Siegeszug des E-Commerce. So hat das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) in seinem „Handelsszenario 2030“ noch vor dem Corona-Ausbruch prognostiziert, dass in den kommenden 10 Jahren 24.000 bis 64.000 Unternehmen schließen müssen. Die Umsatzeinbußen durch den wochenlangen Lockdown und die gedämpfte Kauflaune könnten diese Entwicklung nun deutlich beschleunigen und dafür sorgen, dass sich die Schließungen eher am oberen Rand der Prognose bewegen. Die Krise ist aber auch als Weckruf zu verstehen, den strukturellen Wandel der Branche endlich zu akzeptieren und die längst überfällige Digitalisierung des Einzelhandels voranzutreiben.
Stationärer Handel entdeckt Multichannel-Maßnahmen
Tatsächlich zeigten sich während des Lockdowns viele Händler als äußerst kreativ und machten das Beste aus der Lage – Buchhändler nutzten die Zeit, um Lektüre-Tipps in den sozialen Medien zu posten und nehmen Bestellungen neuerdings per WhatsApp entgegen, andere stationäre Händler haben E-Commerce-Marktplätze für sich entdeckt oder bieten ihre Produkte jetzt auf Instagram an. Die Ware konnten Kunden unter Einhaltung des Abstands am Laden abholen oder über einen Paketdienstleister liefern lassen, innerhalb eines bestimmten Radius oft auch von Mitarbeitern und sogar am selben Tag.
Noch ist dieses Vorgehen bei vielen Händlern Teil des Corona-Notfallplans und mitunter eher holprig. In den Grundzügen ist das aber wesentlich mehr: Es sind erste Schritte in den Multichannel- bzw. digitalen Commerce, also hin zu einer Kommunikation und dem Verkauf über diverse Kanäle und Touchpoints. Während des Lockdowns konnte der stationäre Einzelhandel so zumindest einen gewissen, wenngleich stark eingeschränkten, Handlungsspielraum schaffen.
Doch auch wenn sich aktuell etwas bewegt: Der Einzelhandel sollte im Jahr 2020 schon sehr viel weiter sein, denn Konsumenten fordern heute bereits ein Omnichannel-Einkaufserlebnis. Anders als beim Multichannel-Handel sind hierbei sämtliche Online- und Offline-Kanäle nahtlos vernetzt, sodass der Kunde nach Belieben dazwischen wechseln kann. Durchgesetzt hat sich für diesen digitalen Commerce auch der Begriff „Connected Commerce“.
Digitalisierung schafft Zugang zum Konsumenten
Ausgelöst durch das Corona-Virus hat die Digitalisierung nun verstärkt in diverse Bereiche unseres Lebens Einzug gehalten, sei es in Form von Homeoffice oder dem Familientreffen über Videochat an Ostern. Und Menschen, die noch nie im Internet bestellt hatten, haben in den vergangenen Wochen die Bequemlichkeit des Online-Shoppings für sich entdeckt. Diese Entwicklungen dürften mittel- und langfristig dazu beitragen, dass die Anforderungen an Shoppingerlebnis weiter steigen. Hinzu kommt das Einkaufsverhalten der digital versierten Millenials und der Generation Z, die quasi mit dem Smartphone in der Hand geboren wurde und die mit klassischen Handelsformaten kaum mehr angesprochen werden kann. Der stationäre Handel muss sich auf die Bedürfnisse und Erwartungen dieser Kunden ausrichten und ein kanalübergreifendes Einkaufserlebnis erschaffen, das den Einsatz innovativer Technologien genauso berücksichtigt wie etwa eine professionelle persönliche Beratung.
Digitalisierung des Handels ist überfällig
Für Händler ist es also allerhöchste Zeit, rein stationäre Geschäftsmodelle zu überdenken, die Erfahrungen der letzten Wochen auszuwerten und ein Konzept zu entwerfen, das den Laden mit der digitalen Welt verknüpft und den Kunden in den Fokus rückt. Der Weg muss dabei nicht zwingend in einen eigenen Online-Shop führen. Vielmehr gibt es diverse Optionen im E-Commerce, ob Social Media, Marktplätze oder Vergleichsportale, und ebenso digitale Services, die direkt vor Ort einen Mehrwert für die Kunden bieten. Dazu gehören zum Beispiel durch Tablets vernetztes Verkaufspersonal, das ohne Verzögerungen die benötigten Informationen liefert, oder mobile Bezahlsysteme, die einen schnellen und bequemen Checkout ermöglichen.
Stationäre Händler müssen die Verzahnung mit der Online-Welt als Chance begreifen, nicht den E-Commerce als Schädling meiden. Die Zukunft des Handels liegt im Connected Commerce! Er hebt die Grenzen zwischen stationärem Handel und E-Commerce auf und bedeutet Freiheit und Flexibilität – sowohl für Händler, die technologische Innovationen und kreative Ansätze ausprobieren sowie neue Kundenkreise erschließen können, als auch für Konsumenten, die nach Belieben zwischen den Verkaufskanälen und Touchpoints wechseln können. Und dabei spielt auch das Ladengeschäft eine wichtige Rolle, denn die Erfahrung in den vergangenen Jahren und zahlreiche Umfragen haben gezeigt, dass Kunden durchaus gerne vor Ort einkaufen. Sie schätzen die soziale Interaktion, das Anfassen und Ausprobieren der Ware und die sofortige Verfügbarkeit. Auch der Blick auf beliebte Omnichannel-Services zeigt, wie wichtig ein Geschäft vor Ort ist, denn Konsumenten nutzen Click & Reserve, Click & Collect sowie die Möglichkeit, online bestellte Ware im Laden zurückzugeben. Es sind also das Zusammenspiel aus Online- und Offline-Kanälen, die digitale Verflechtung, die vielfältigen Möglichkeiten und Bequemlichkeiten, kurz: das reibungslose Einkauferlebnis, was den modernen Kunden anspricht.
Die ersten Erfahrungen, die stationäre Händler während des Corona-Lockdowns im Multichannel-Commerce gesammelt haben, dürfen daher nicht nur als kurzfristige Unterstützung gesehen werden. Vielmehr müssen sie als Evolutionsstufe auf dem Weg zu einem kanalübergreifenden, kundenzentrierten Shoppingerlebnis verstanden werden. Jetzt ist die Zeit, nachhaltige, digitale Strukturen aufzubauen, um das Unternehmen gesunden zu lassen, zu stärken und im besten Fall neue Marktanteile zu erschließen.
Eine Einschätzung von Vanjo Wandscher, Geschäftsführer bei ROQQIO, Softwareanbieter für vollintegrierten Omnichannel-Commerce.
Beitragsbild: Stockfoto – Montri Nipitvittaya/Shutterstock
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