Studie: Händler bei Digitalisierung zu langsam
Die Digitalisierung ist für die meisten Händler ein wirklich dickes Brett, das sie bohren müssen. Doch eben auch nicht das Einzige. Dennoch ist heute keine Zeit mehr, abzuwarten und die Hände in den Schoß zu legen.
Der Bitkom hat in einer Befragung von mehr als 500 stationären und Online-Händlern die drängendsten Fragestellungen heraus gefunden und noch einige andere Aspekte wie z.B. die Innovationsneigung und eine Einschätzung der Zukunft abgefragt.
Digitalisierung größte Herausforderung
Ganz oben auf der Liste steht tatsächlich die Digitalisierung, genannt von 66 Prozent der Befragten. Mit 55 Prozent folgt dann die Suche nach geeigneten Mitarbeitern. Auf Rang drei der großen Herausforderungen des Handels folgen die Ausgaben für die Miete (51%). Vier von zehn Händler (41%) haben außerdem Schwierigkeiten, mit ihren Mitbewerbern mitzuhalten. Weitere Herausforderungen sind die aktuelle Nachfrage im Inland (30%) und Ladendiebstähle (23%).
Händler sind Nachzügler
Darüber hinaus wurden die Händler nach ihrer Selbsteinschätzung befragt, wie sie ihren eigenen Status hinsichtlich der Digitalisierung einschätzen würden. Die Ergebnisse sind eher traurig. 77 Prozent der Händler sehen sich selbst als Nachzügler in Sachen Digitalisierung. 16 Prozent betrachten sich selbst als Vorreiter und drei Prozent gehen davon aus, dass sie bereits den Anschluss verpasst haben.
Jeder Dritte hat keine eigene Webseite
Es zeigte sich auch, dass rund jeder dritte stationäre Händler (36%) noch keinen Internetauftritt besitzt. Fünf Prozent der befragten Händler verkaufen rein online, 65 Prozent bespielen einen Online- und Offline-Kanal – und 28 Prozent haben weiterhin nur ein stationäres Standbein. Wer über beide Kanäle verkauft, hat zu 71 Prozent online wie offline das gleiche Angebot. Nur 6 Prozent geben an, online ein größeres Angebot zu haben, zehn Prozent sagen, dass sie online günstiger verkaufen.
Online zusätzliche Umsätze
Diejenigen Händler, die neben ihrem stationären Ladengeschäft auch einen Online-Shop unterhalten, erzielen damit erhebliche Einnahmen. So sagt jeder Zweite (50%), dass er bis zu 30 Prozent des Umsatzes online macht, weitere 27 Prozent der Händler geben an, dass sie zwischen 30 und 50 Prozent ihres Gesamtumsatzes im Internet machen, bei gut jedem zehnten Händler (11%) ist es sogar mehr als die Hälfte.
Schwache Investitionsneigung
Bei den Investitionen sind die Händler sehr zögerlich. Drei Viertel (76%) aller Befragten gaben 2016 weniger als zehn Prozent des gesamten Jahresumsatzes für die Digitalisierung aus. Nur drei Prozent der Händler investierten mehr. Sieben Prozent gaben an, gar nicht investiert zu haben. Auch bei ihren Planungen für das laufende Jahr wollen die Händler keine großen Sprünge machen: Mehr als die Hälfte (51%) investieren genauso viel wie im vergangenen Jahr, knapp jeder Fünfte (18%) sogar weniger. 28 Prozent geben an, mehr Geld für die Digitalisierung ihres Unternehmens ausgeben zu wollen.
Digitale Anwendungen? Teilweise.
Beim Einsatz digitaler Anwendungen ist die klassische Bürosoftware inzwischen zwar Standard: Zwei Drittel der Händler (66%) verschicken ihre Rechnungen elektronisch, je 49 Prozent haben ein Warenwirtschaftssystem in Echtzeit und verfolgen Sendungen digital. Geht es aber um smartere Software wie Cloud Computing (36 Prozent) oder Big-Data-Analytics (22%) sieht es eher dürftig aus. Nur bei knapp jedem Dritten (31%) beziehungsweise jedem vierten Unternehmen (23%) wird der Einsatz solcher Lösungen diskutiert oder ist geplant. Weitgehend unbekannt und dementsprechend selten diskutiert oder geplant wird der Einsatz disruptiver Technologien wie Drohnen (4%), Virtual Reality (4%), Roboter (9%) oder Künstliche Intelligenz (10%).
Lieferservices verbreitet
Schaut man auf die digitalen Services, sieht es ein wenig besser aus.
- 52% bieten Same Day Delivery an
- 11% liefern sogar zur selben Stunde (Same Hour Delivery)
- 21% diskutieren oder planen diese Liefermodelle
- 54% bieten Click&Collect an (siehe dazu auch: Click&Collect ist den Kunden egal)
- 17 Prozent planen oder diskutieren diesen Service
- Kommunikation mit den Kunden: Per Mail 96 Prozent, Telefon 84 Prozent, Video- (4%) oder Text-Chat (6%) und Messaging-App-Services (6%)
Datenschutz eher abschreckend
Als größten Vorteil der Digitalisierung sehen die Händler vor allem, dass ihr Alltagsgeschäft vereinfacht wird – sei es die Kommunikation mit den Kunden (83%), die Bestellmöglichkeiten beim Lieferanten (74%) oder die Kommunikation mit Geschäftspartnern (65%). 60 Prozent meinen außerdem, dass sich dank der Digitalisierung das Geschäftsmodell ausbauen lässt, 58 Prozent sagen, dass neue Einnahmequellen geschaffen werden können. Abschreckend empfinden Händler vor allem den hohen Aufwand für Datenschutz (86%) und die Investitionskosten (81%).
Rosige Zukunft…
Blicken die Händler ins Jahr 2030 sind sie aber dennoch optimistisch: Rund zwei Drittel (65%) meinen, dass das Bezahlen dann beim Verlassen des Geschäfts automatisch, also ohne lange Schlangen an der Kasse abläuft. Mehr als jeder Zweite (53%) denkt, dass Waren bis dahin im stationären Handel auch über Virtual Reality erlebbar sein werden. 61 Prozent sehen Läden dann in der Rolle eines Showrooms, in dem Produkte getestet und anschließend im Online-Shop des Händlers bestellt werden können.
…dann ist ja alles gut! Oder doch nicht?
Es liest sich ein wenig wie „Wunsch und Wirklichkeit“, denn woher sollen denn die innovativen Check-Outs oder Virtual Reality-Anwendungen kommen, wenn die Bereitschaft, in solche Lösungen zu investieren, nur wenig vorhanden ist? Wie soll ein Geschäft zu einem Showroom werden, wenn heute noch nicht einmal die Hälfte der Händler ein Warenwirtschaftssystem haben?
Vielleicht dachte so manche(r), die/der bei der Befragung mit gemacht hat, 2030 sei ja noch soooo lange hin und es bliebe noch genug Zeit dafür. Das ist faktisch vollkommen richtig, es sind noch über 12 Jahre bis dahin. Doch ein kurzer Blick auf die letzten zehn Jahre sollte jedem klar machen, dass dies im digitalen Raum geradezu „Jahrhunderten“ entspricht. Kundenbedürfnisse, Technologien, Konkurrenten und digitale Giganten…all dies werden wir in 12 Jahren nicht wieder erkennen. Erinnern Sie sich noch an 2007? Da wurde in den USA das iPhone vorgestellt….
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