Raketentechnologie für den Tretrollerfahrer?
Letzte Woche Donnerstag ging die EuroCIS (Pressemeldung hier), führende Fachmesse für Retail Technology nach drei Tagen zu Ende. Mit 12.000 Besuchern verzeichnete sie ein Wachstum von knapp 20% zum Vorjahr, nur ein Indiz für das stetig steigende Interesse des Handels an der Digitalisierung. Im Vergleich zu den Vorjahren waren eben nicht nur die üblichen Vertreter von Checkout-Systemen und POS-Soft- und Hardware präsent, sondern auch Unternehmen, die Lösungen aus den Bereichen IoT, Augmented Reality, Virtual Reality und Robotics präsentierten.
Wie schon auf der NRF (Berichterstattung hier) beschlich mich dabei das leise Gefühl, dass hier Raketentechnologie für Unternehmen gezeigt wurde, die noch Tretroller fahren oder anders gesagt, die noch längst nicht soweit sind, viele dieser Technologien zielführend einsetzen zu können. Denn, realistisch gesehen, steckt die Digitalisierung im Handel noch in den Kinderschuhen, wie uns auch die kürzlich veröffentlichte Digitalisierungsindex Mittelstand Handel, Benchmark Studie im Auftrage der deutschen Telekom, bestätigt.
Der deutsche Handel, Sorgenkind bei der Digitalisierung
Die Studie zeigt eine andere Realität, nämlich das der deutsche Handel in der Umsetzung der Digitalisierung hinterher hinkt, auch wenn die Bedeutung für das zukünftige Geschäft deutlich gesehen wird. Immerhin liegt der deutsche Handel im Index immer noch 5 Punkte unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt, auch wenn er einen Punkt mehr hatte als vor einem Jahr.
Immerhin haben über ein Drittel der befragten Unternehmen die Digitalisierung zu einem festen Bestandteil der Geschäftsstrategie erhoben. Leider nur bleibt es anscheinend bisher bei strategischen Überlegungen, denn nur 40% arbeiten tatsächlich an der Umsetzung einzelner Projekte, und das stellt kein Wachstum zum Vorjahr dar.
Digitalisierung zahlt auf Wachstum ein
Dabei zeigen die Ergebnisse, dass der Reifegrad der digitalen Transformation gerade im Handel entscheidend für die Umsatzentwicklung ist. So liegen die Unternehmen mit Wachstum bei einem Index von 53 Punkten, hingegen diejenigen mit stagnierenden oder rückläufigen Umsätzen kommen nur auf einen Indexwert von 41 Punkten. Die Top 10% in der Umsetzung der Digitalisierung (Digital Leader) kommen immerhin auf einen Indexwert von 85 Punkten und liegen damit nicht nur weit über dem Branchendurchschnitt sondern auch über dem gesamtwirtschaftlichen.
Wo sind dann die Hemmschuhe?
Fangen wir doch erst einmal mit einem Thema an, das seit Jahrzehnten Handel und Industrie umtreibt und das die Basis für jede Digitalisierung ist: Stammdatenmanagement. Eine in 2016 veröffentlichte Studie des Beratungsunternehmens Lünendonk zeigt die bedenkliche Situation auf. Auch wenn 84% der Befragten den Einfluss der Datenqualität auf den Unternehmenserfolg für sehr hoch erachten, so kämpfen auch noch 85% der Unternehmen mit dem Thema. Ob CRM, personalisierte Angebote, Dynamic Pricing oder Omni- und Multichannelmanagement, dies wird nur möglich durch die Auswertung von Daten. Damit diese kanalübergreifend funktioniert, müssen die zugrunde liegenden Stammdaten richtig, aktuell und einheitlich sein.
Des Weiteren sind es mangelnde Qualifikation der Mitarbeiter, nicht angepasste Strukturen, Silodenken, veraltete, nicht kompatible Datensilos, und nicht zu allerletzt der Kostendruck, die Unternehmen in der Umsetzung der Digitalisierung ausbremsen. (Auch einmal hier schauen: Roboter, Rebellen, Relikte. Überkommene Strukturen behindern die Digitale Transformation)
Den letzten beissen die Hunde?
Leider bleiben in allen Digitalisierungsbemühungen diejenigen zurück, die Unterstützung am meisten nötig hätten – der selbstständige Händler, der an allen Fronten kämpft. Genau die, von denen das Institut für Handelsforschung, Köln, bereits 2014 in einer Studie das Sterben von 45.000 Geschäften bis 2020 prognostizierte.
Hier wünscht man sich vernetzte Plug- and Play Lösungen der Technologieanbieter, die einfach umzusetzen sind. Zum Beispiel zeigte Tyco auf der EuroCIS eine Smartphone App, mit der ein Händler auf einfachsten Wege per Scannen einfache ( und preisgünstige!) RFID Papieraufkleber mit den einzelnen Produkten im Warenbestand verknüpfen kann, und damit schnelle Produktauffindbarkeit im Store sicherstellen und erleichterte, schnelle Inventurprozesse gestalten kann. Oder Warenwirtschaftssysteme, wie unter anderen von Locafox, die mit vorbereiteten Schnittstellen die schnelle Einbindung in Google Local Inventory ermöglichen.
Und natürlich wünscht man sich Unterstützung der Politik und Verbände, um die Entwicklung solcher Lösungen nicht nur zu unterstützen, sondern auch in den Handel zu tragen.
Zurück zur Raketentechnologie für den Tretroller!
Kein Zweifel, es gibt sehr sehr „coole“ Technologien, gerade für das Kundenfacing. Ist ja auch irgendwie spannend sich vor einen Spiegel zu stellen, der gleich Online bestellen möglich macht oder mich Fotos auf Facebook posten lässt. Ob die Kundin im Zweifel nicht erst einmal gerne einen guten Spiegel überhaupt hätte, der es ihr ermöglicht bei vernünftigem Licht sich in dem Kleid oder der Hose auch einmal von hinten zu betrachten, eben auch ohne Handy Rückwärtsfoto mit Verrenkungen, sei einmal dahingestellt.
Und ja, Erlebnis am Point of Sale, durchaus auch durch den Einsatz von Technologie, wird zukünftig eines der Differenzierungsmerkmale für Erfolg im Handel sein. Und selbstverständlich muss man als Händler auch einmal ganz viel Verschiedenes ausprobieren, insbesondere wenn man stets die Relevanz für den Kunden im Blick hat.
Aber – nein, ein niedlicher weisser Roboter, der durch den Laden rollt und sich vom Kunden ansprechen lässt, ist noch keine Digitalisierung. Oder ob der E-commerce oder Omnichannel Anbieter tatsächlich groß in Augmented Reality für die Frontend Online Plattform investieren sollte, anstatt doch lieber in die Durchdigitalisierung des Backends, also auch der Supply Chain, das sei auch mal so dahingestellt. Denn die Basis für alle digitalen Kundeninteraktionen sind Daten, die nicht nur korrekt sein müssen, sondern auch verknüpft und intelligent miteinander kommunizieren.
Als kleine aber feine Ergänzung zu der Aufzählung der Plug&Play-Lösungen für selbstständige Händler würde ich gerne noch eine Mobile Self-Scanning-Lösung auf Kundensmartphones hinzufügen: Scansation!
An jede existierende Kasse wird zusätzlich eine besondere Art Handscanner angeschlossen, der die Kommunikation zwischen Kundensmartphone und vorhandener Kasse übernimmt. Und schon kann der Markt ohne Eingriff in seine IT-Infrastruktur Mobile Self-Scanning für seine Kunden anbieten!
Mittelfristig ermöglicht der Einsatz von Scansation sogar personalisiertes Dialogmarketing über die App, das durch den Händler einfach mitgestaltet werden kann. Das bietet nicht nur Vorteile für den Händler, der sich so mit seinen Kunden vernetzen kann, sondern auch für den Kunden, der endlich nur noch für sich relevante Angebote erhält.
Danke für den Kommentar. Wir freuen uns über alle Reaktionen, insbesondere mit weiteren Informationen.
Kurzer Tipp: Wir freuen uns über einen Eintrag von Scansation in unserer Start up Corner. Der Eintrag ist übrigens kostenfrei ;-)