Update: Quartiersentwicklung: Lebensqualität durch Handel und Gastro
Das Zeitalter der Urbanisierung und die damit verbundenen Wohnraumknappheit sorgt bei Immobilien-Projektentwicklern für Goldgräberstimmung. Freie Flächen in den Städten werden, um der Wohnungsnot Einhalt zu bieten, möglichst effizient in Wohnraum umgewandelt. Auf den ersten Blick notwendig und richtig, aber das reicht nicht.
Quartiersentwicklung vs. Lebensraumgestaltung – ein Paradoxon?
Beispiel Düsseldorf, Entwicklungsprojekt Grafental: Auf dem Gelände einer alten Lokomotivfabrik wurde ein komplett neues Wohngebiet errichtet. Aktuell sind auf dem 15 ha großen Gelände bereits über 1.200 Wohnungen erstellt, geplant sind 1.500, davon 90% Eigentumswohnungen. Der Preis ist entsprechend, wischen 3.800 bis zu über 5.000 €/qm sind zu investieren. Ein Eindruck kann man hier gewinnen:
Dem aufmerksamen Betrachter des Films wird auffallen, dass dort ausschließlich eine Wohnbebauung angesiedelt ist. Wer Sonntags zum Bäcker will muss das Auto bemühen, in der Nähe gibt es keinen Einzelhandel und kein Restaurant. Eine reine Wohnstadt, die eines nicht hat: Lebensqualität, die auf eine Vielfalt des Angebotes und der Nachbarschaft basiert.
Ein weiteres Beispiel: Gleiche Stadt, ehemaliger Güterbahnhof Derendorf, Projekt Grand Central. In dem Imagevideo werden kunstvoll Parallelen zu dem Lebensgefühl von Paris und New York abgebildet, zugleich sieht man auch ein buntes Treiben. Hier der Eindruck:
Die Realität dort sieht anders aus: Wohnbebauung der gehobenen Klasse, Hotels, Agenturen und sonstige Büros. Was fehlt ist mal wieder Handel und Gastronomie, obwohl anders geplant. Hier sind die Auswirkungen aber nicht so krass wie in Grafental, da hier in unmittelbarer Nähe ein gewachsener Stadtteil mit viel Aufenthaltsqualität ist.
Was läuft in der Quartiersentwicklung schief?
Klare Frage, unklare Antwort: Wir wissen es nicht! Aber eines wissen wir aus den Studien des Instituts für Handelsforschung: Vitale Lebensräume brauchen Aufenthaltsqualität, und die Werttreiber dafür sind Convenience und Erlebnis. Beides fehlt in diesen Beispielen, aber wie kommt das? Natürlich muss der Projektentwickler in diesen Quartieren nicht wohnen, daher ist sein Ziel ein anderes: Aus der (sicherlich teuer) erkauften Fläche eine maximale Rendite zu generieren. Das beißt sich aber mit einem wichtigen Punkt: Preiswerte Gewerbeflächen, damit sich ein Ladengeschäft oder eine Gastro überhaupt lohnt. 2 Faktoren also, die sich beißen.
Lebensqualität braucht Vielfalt
Grundsätzlich ist das eine Frage der Bauordnung: Spielplätze gibt es in den Quartieren, weil sie vorgeschrieben sind, genau wie Parkplätze und Feuerwehr-Bewegungszonen. Jeder, der in einer Stadt wohnt und einen Kiez mit Nahversorgern und dem kleinen Italiener oder Griechen um die Ecke hat, weiß das zu schätzen. Dabei sind historisch die Stadtteile in ihrer Entstehung immer mit diesen Einrichtungen geplant worden. Noch heute profitieren die „gecleanten“ Quartiere von deren Nachbarschaft. Warum bringt man diese Anforderung nicht mit in die Vergaberichtlinien oder Bebauungspläne?
Umdenken ist im Gange
Bereits jetzt gibt es Akivitäten, die sich mit dem Thema qualitative Quartiersentwicklung beschäftigen. So hat z.B. die IHK Düsseldorf vor 2 Jahren Workshops organisiert, um dem vor über 20 Jahren entstandenen Medienhafen mehr Leben einzuhauchen. Das Konzept ist natürlich sehr breit aufgestellt, stellt aber auch die Aufenthaltsqualität in den Mittelpunkt. Wir freuen uns auf die Workshops, die dann in 10 oder mehr Jahren die Quartiersentwicklung von heute korrigiert!
Wie sieht es in Ihrer Stadt aus, was passiert dort und kennen Sie positive Beispiele? Immer her damit und unten in den Kommentaren beschreiben.
Update des Artikels vom 19.05.2020
Zuerst einmal möchten wir Philipp für den Kommentar (s.u.) danken, wir freuen uns über jedes Feedback. Er beschreibt die Situation im Quartier Grafental und weist richtigerweise auf Folgendes hin „Das Viertel hat einen Bäcker, ein Restaurant, einen Mini-Supermarkt sowie einen Frisör“. Genau das sind die Formate, die geschaffen werden, um eine Alibi-Versorgung zu schaffen. Hier das Einkaufsviertel im Bild:
Das Restaurant ist ein Bistro, der Lebensmittelladen würde in Berlin Späti genannt oder im Ruhrpott Büdchen. Einzig der Bäcker hat ein normales Format. 2 (wir tippen mal ehemalige Leerstände) sind von Immoblienbüros besetzt. Diese übersichtliche Agglomeration generiert eines nicht: Die Strahlkraft, die man braucht, um eine nennenswerte Frequenz hinzubekommen. Beispiele sieht man auf den Bildern: Ca 19 Uhr bei allerbesten 25 Grad, fast kein Mensch dort. Für eine Frequenz, die wirtschaftlichen Betrieb generiert, braucht man eine gewisse Attraktivität, die so nicht gegeben ist. Damit sind die bestehenden Stores auch in ihrem Fortbestand bedroht.
In dem Viertel wohnen mehrere tausend Menschen, die komplett andere Bedürfnisse haben als das was da geboten wird. Ein bisschen wenig also. Aber, wie der Kommentator schreibt, ist „alles weitere zu Fuß oder mit dem Rad in 10 Minuten erreichbar“. Damit beschreibt er genau das Problem: Man verlässt sich bei der Quartiersentwicklung darauf, dass die Planer der Nachbarquartiere vor hundert Jahren alles richtig gemacht haben und genau diese Infrastruktur mitgedacht und mitgeplant haben.
Beitragsbild: ZUKUNFT DES EINKAUFENS, Catella Project Management, Grafental GmbH & Co. KG
„Wer Sonntags zum Bäcker will muss das Auto bemühen, in der Nähe gibt es keinen Einzelhandel und kein Restaurant. Eine reine Wohnstadt, die eines nicht hat: Lebensqualität, die auf eine Vielfalt des Angebotes und der Nachbarschaft basiert.“
Die Aussage ist leider komplett falsch. Das Viertel hat einen Bäcker, ein Restaurant, einen Mini-Supermarkt sowie einen Frisör. Alles weitere ist zu Fuß oder mit dem Rad in 10 Minuten erreichbar….
Lieber Philipp,
vielen Dank für den Hinweis! Das ist aber nicht das was wir meinen, die Lädchen sind uns sehr wohl aufgefallen. Ich erlaube mir aber, den Kommentar als ein Anlass zu nehmen, ein Update des Artikels zu verfassen. Details siehe oben, viel Spaß beim Lesen!
Was wäre denn ein lösungsorientierter Ansatz? Spielplatz, Park, Eisdiele, Gastro klar. Lebensmittel noch, okay. Und sonst? Stationärer Einzelhandel tut sich doch in vielen Konzepten heutzutage schwer.
Ich frage auch aus Eigennutz: Meine Gemeinde möchte das Ortszentrum neu beleben. Bäcker, Metzger und Banken sind schon da. Wen könnte man noch locken außer den oben genannten?