Hier sind die beiden Hauptaufgaben für den Handel auf den Weg in das Jahr 2020
Im August 2015 hat das IFH in seiner Studie „Stadt, Land, Handel 2020“ die Prognose aufgestellt, dass jedes 10. Ladengeschäft von der Schließung bedroht sein wird. Meine Prognose geht sogar noch weiter: Ich gehe davon aus, dass dieser Anteil sogar noch doppelt so hoch sein wird, denn die dramatischen Veränderungen durch Urbanisierung werden negative Skaleneffekte im ländlichen Raum deutlich beschleunigen.
Viele Experten beschäftigen sich aktuell mit den Zukunftsperspektiven des Handels (ich mache es mit meiner vorgenannten Prognose schließlich auch), allerdings ist das Aufzeigen der Auswirkungen leider etwas, das dem Handel nicht ein bisschen weiterhilft. Ihn beschäftigt in erster Linie eine Frage: Was muss ich tun, um im Jahr 2020 noch erfolgreich mein Geschäft weiter zu führen? Was sind die Rezepte, die ich befolgen muss, um zukünftig noch erfolgreich zu sein? Die Antwort ist ernüchternd: Es gibt keine! Was vielmehr stattfinden muss ist nicht die Entwicklung von Rezepten (die eh nur eine kurzfristige Lebensdauer besitzen können), sondern ein radikale Veränderung der Aufgabe der gesamten Branche. Es geht nicht darum, durch reines Ausprobieren von Konzepten das Format zu finden, das man sein möchte. Das Ergebnis ist oft eine Tarnkappe, die wenig authentisch ist und eher abschreckt als begeistert. Vielmehr geht es um eines: Die radikale Veränderung des Selbstverständnisses, nie war der Satz „Handel ist Wandel“ mit so substanziellen Verschiebungen des Branchenwertesystems verbunden. Genau diese Betrachtung ist die Basis für das Projekt „Future City Langenfeld“, in dem der Weg des Handels in die Zukunft aufgezeigt werden soll.
Aufgabe Nr. 1: Verstehe den Wert von Aufmerksamkeit
Der Handel der Zukunft muss wegkommen von dem Selbstverständnis, die Vorratskammer der Republik zu sein, auf die man zurückgreift, wenn der Bedarf vorhanden ist. Aber sein wir doch mal ehrlich: Wie viele Hosen besitzen Sie? 10, oder gar 15? Bräuchten Sie noch eine weitere? Eigentlich ja nicht, aber man kauft sie, wenn die Kontexte stimmen, gern eine weitere. Und genau darum geht es: Wir haben fast alles, was wir brauchen, kaufen aber mehr, wenn wir entsprechend aktiviert werden. Allerdings kommt vor den geliebten Kennzahlen im Handel wie Umsatz oder Spanne aber noch etwas viel wichtigeres: Aufmerksamkeit!
Selbst der Gewinner des letzte Woche vergebenen EuroShop RetailDesign Awards oder der beste Webshop wird trotz eines erstklassigen Sorimentes nicht einen einzigen Kunden bekommen, wenn er nicht dessen Aufmerksamkeit auf sich lenken kann. Unsere Gesellschaft lebt im sogenannten „Age of Access“, in dem jeder jederzeit und fast an jedem Ort Zugang zu allen Informationen hat, und damit auch der Gefahr der Ablenkung unterliegt. Konkret: Ich muss in das Sichtfeld des Shoppers vordringen, und das mit möglichst hoher Relevanz.
Haben Sie sich schon mal gefragt, warum Whatsapp für 19 Mrd. US$ verkauft wurde? Ein Unternehmen mit gerade mal 50 Mitarbeitern und einem kleinen Rechenzentrum? Oder warum Alphabet, die Mutter von Google, das wertvollste Unternehmen der Welt geworden ist, ohne physische Produkte oder Infrastruktur zu besitzen? Die Antwort ist ganz einfach: Sie bieten Kundenzugänge, die mittlerweile einen enormen Wert besitzen, denn sie ziehen das wichtigste Gut der Zeit an: Die Aufmerksamkeit von Menschen!
Damit wird eines deutlich: Der Wettbewerber der Ladengeschäfte ist nicht der eCommerce, sondern jede andere Art von Freizeitgestaltung. Diesen Wettbewerber hat übrigens jeder Webshop auch! Daher gilt erst einmal eines: Vor jedem Umsatz kommt Aufmerksamkeit!
Aufgabe Nr. 2: Der Handel ist der Kurator des Kunden
Wie bereits gesagt ist der Handel der Zukunft ist nicht länger das Lagerhaus der Republik, in dem man sich nach Bedarf bedienen kann. Daher ist die ganze Kanaldiskussion, die derzeit geführt wird, vollkommen überflüssig. Multi-, Omni-, Cross- und No-Channel Konzepte basieren auf der irrationalen Muss-Annahme, dass es einen Bedarf gibt, der allein durch das Verfügbarmachen von Gütern gestillt wird. Bei Produkten des täglichen Bedarfes mag das vielleicht noch stimmen, aber da reden wir von vielleicht 300-500 verschiedenen Artikeln wie z.B. Hygienepapier oder Schnelldrehern wie Milch. Für alles andere muss der Handel ein neues Selbstverständnis bekommen. Und darin liegt die Krux: Der eCommerce basiert auf dem gleichen Konzept wie stationärer Handel, nur mit virtuellem Zugang und ist damit auch nicht zukunftsfähig. Die klassischen und jahrtausendealten Strukturen von Vorhalten und Verteilen werden als Innovation verkauft, weil man sie vom Smartphone aus erreichen kann. Das ist sehr einfach gedacht, ein radikales Umdenken, das absolut notwendig ist, sieht anders aus.
Handel muss zukünftig vielmehr als Partner und Kurator des Kunden fungieren: Die passenden Produkte zu einer Lifestyle Ernährung sind ebenso zu identifizieren wie das passende Verkehrsmittel für meinen aktuellen Transportbedarf. Die passende Kleidung zur Gala oder dem Sportevent mit Freunden? Gern, aber bitte nur zum Ausleihen! Ich habe das Ziel, 10 kg in diesem Jahr abzunehmen oder will Geld sparen um mir einen Extraurlaub leisten zu können? Hier lieber Händler hast du meine Daten und nun optimiere mir meinen Einkaufzettel auf die maximale Unterstützung meines Zieles!
Nehmen wir das Beispiel Schuhe: Heute sind sie oft nach logistischen Gesichtspunkten sortiert, also nach der Größe. Schuhe sind aber Teile eines Styles, den es gilt als Ganzes darzustellen. Daher werden innovative Konzepte den Style an Stelle der einzelnen Artikel anbieten. Die Ansätze im Bereich des Curated Shopping sind bereits auf dem Markt (Ich berichtete bereits hier und hier über die Möglichkeiten). Erste Lösungen, sich Dank 3D Drucktechnik die Kleidung einfach herunterzuladen sind bereits entwickelt, wie ein entsprechender TED-Talk aufzeigt.
Doch zurück zu unserem Thema: Wer in 10 Jahren noch am Markt sein will, muss sich mit der veränderten Welt engagieren. Wie sagte Darwin noch: „Es ist nicht die stärkste Spezies die überlebt auch nicht die intelligenteste sondern eher diejenige die am ehesten bereit ist, sich zu verändern.“
Es bleibt spannend!
Foto: Wil Stewart auf Stocksnap.io
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