Retail-Startup Flaschenpost: Unternehmenskultur oder Unternehmensdiktatur?
Eigentlich schleppt keiner gern 20 Kilo schwere Getränkekisten, da stimmt ihr uns sicherlich uneingeschränkt zu. Dem Shopper diese Aufgabe abzunehmen ist das Leistungsversprechen des Startups Flaschenpost: Wir liefern in 120 Minuten, egal wohin!
Das Geschäftsmodell von Flaschenpost verlagert ein Problem
Man kann sich sicherlich vorstellen, dass Kistenschleppen auch für die Auslieferungsfahrer nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig ist. So wird die Schlepperei vom Kunden auf die Fahrer verlagert, was auch mit zusätzlichem Verkehrsaufkommen in den ohnehin belasteten Städten verbunden ist.
Wie in anderen gewichtsintensiven Gewerken muss auch hier besonders an Gesundheitsaspekten gedacht werden – eine klassische Aufgabe für eine Arbeitnehmervertretung. Das haben sich einige Mitarbeiter bei Flaschenpost Düsseldorf gedacht und die Gründung eines Betriebsrates angestrebt – mit weitreichenden Folgen.
Nur noch mal zur Erinnerung: Es handelt sich bei der Institution Betriebsrat nicht um die Bildung eines Geschmacksausschusses zur Kontrolle der Unternehmensführung, sondern ein durch das Betriebsverfassungsgesetz legitimiertes Mitbestimmungsorgan für die Arbeitnehmermitbestimmung.
Flaschenpost-Arbeitsbedingungen wie im Zeitalter der Industrialisierung
Die Arbeitsbedingungen kann man sicherlich auch unter Idealbedingungen als Knochenjob bezeichnen. allerdings gab es scheinbar noch Luft nach unten. Die Mitarbeiter*innen berichten in verschiedenen Medien…
- …von unmöglichen Zuständen in sanitären Anlagen
- …deaktivierten Klimaanlagen in Zustellfahrzeugen, um Kraftstoff zu sparen
- …von Videoüberwachung in den Logistikzentren
- …sehr rohen Führungsstil
- …ständige Überlastung, zu viele Bestellungen für zu wenig Personal
…und das bei Bezahlungen von knapp über Mindestlohn (10,50€). Mehrere Mitarbeiter*innen, die sich um die Gründung eines Betriebsrates bemüht haben, wurden darauf hin wegen Minderleistung entlassen. Flaschenpost hat auch gegen die Einrichtung des Betriebsrates geklagt mit dem Argument, dass die Einladungsfrist nicht eingehalten wurde. Damit sind sie vor Gericht in der letzten Woche gescheitert.
Mittlerweile gab es eine Anzeige der Gewerkschaft, zudem hat sich der NRW-Landesarbeitsminister Laumann bereits eingeschaltet. Hier die Links zu verschiedenen Berichterstattungen dazu: WDR, NRZ, Presseportal. Wir ersparen uns weitere Details, denn eigentlich wollen wir auf ein anderes Thema hinweisen: Wie man mit der falschen Unternehmenskultur scheitern kann.
Das Schlecker-Schicksal hat gezeigt: Unternehmenswerte werden immer wichtiger
Anton Schlecker hat bei seiner Gründung den damals geltenden Erfolgs-Dreiklang des Handels erstklassig befolgt: Lage, Sortiment und Preis. Über viele Jahre hinweg hat das Rezept auch ausgereicht, allerdings hat sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Während sich die Menschen in der Maslow´schen Pyramide weiter nach oben bewegen, entfernten sie sich immer weiter von den Werten des Drogerie-Discounters. Als dann mit DM ein Wettbewerber genau den Wert Mensch in den Vordergrund stellte, hat sich der Abnabelungsprozess der Kunden beschleunigt. Sie wollten nicht mehr bei einem Unternehmen einkaufen, dass mit seinen Mitarbeiter*innen nicht gut umgeht. Als dann der neue Claim eingeführt wurde und die Unternehmenskommunikation die eigenen Kunden „…dem niederen bis mittleren Bildungsniveau…“ zuordnete (LINK) war das Tischtuch mit dem nachfolgenden Shitstorm endgültig zerschnitten.
Gerade Startups sind in einer Wild-West Gefahr
Wir haben schon viele Business Pläne von Startups gesehen. Was aber nie berücksichtigt wurde waren die Werte und Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter. Dieser Punkt wird fast immer vergessen, und wenn er auftaucht, ist er kostenmäßig natürlich selten budgetiert. Die Investoren üben zusätzlichen Druck auf, und so kommen die Gründer unter enormen Druck. Das ist übrigens kein allgemeines Startup Problem, sondern betrifft ganz besonders die personalintensiven Geschäftsmodelle.
In einem Punkt waren die Business Pläne aber immer sehr gut: Im Beschreiben des Customer Values! Leider haben sie aber eines oft vergessen: Das der Value von Menschen erbracht wird, die als Botschafter des Produktes und der Unternehmensethik agieren. Wenn da was nicht stimmt, merken es die Kund*innen, siehe Schlecker!
Beitragsbild von Robert Allmann auf Pixabay
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