Warum Online-Händler an den Point-of-Sale wollen
Am Mittwoch fand in Gelsenkirchen der erste E-Commerce Tag NRW 2016 statt und ich hatte Gelegenheit, dort ein wenig über die Trends rund um E- und M-Commerce zu sprechen. Große Aufmerksamkeit fand das Thema, warum man Online-Kundenbewertungen auch am Point-of-Sale nutzen sollte. Dies hatte ich in meinem Artikel „Studie: Showrooming als Chance für das Omni Channel Marketing“ schon ausführlich beschrieben.
Ein weiterer Punkt meines Vortrags erzeugte viele Diskussionen. Online-Händler eröffnen zunehmend Läden oder Shop-in Shops, ein Trend, der Online-To-Offline genannt wird. Laut EHI betreibt mittlerweile jeder zweite der größten Online-Shops auch Offline-Geschäfte.
Cyberport hat zum Beispiel bereits 15 Filialen. Mister Spex eröffnete gerade in Berlin den ersten Store, hat aber schon länger mit 80 Partnerunternehmen Shop-in-Shops realisiert. MyMuesli eröffnete bereits 2009 sein erstes Geschäft, hat heute 36 Läden in der DACH-Region und seine Produkte sind in Supermärkten gelistet. Die Otto-Tochter Sheego will 2016 weitere 50 Shop-in-Shops eröffnen und bringt es so auf 100. 2017 sollen es dann 200 sein.
Warum tun Online-Händler das? Was macht den physischen POS für die Online-Händler so interessant? Und was bringen die Online-Händler an Erfahrungen mit, die sie offline einsetzen können?
Mehr als Einkaufen
In den vergangenen Jahren haben wir den Niedergang der großen Warenhäuser miterlebt und auch einige Einkaufszentren sind ins Straucheln gekommen. Viele kleine, traditionelle Einzelhandelsunternehmen sind verschwunden, der Leerstand in den Städten stieg an. Und doch kann man seit einiger Zeit sehen, dass neue Läden entstehen. Meist klein und oft mit innovativen Konzepten und personalisierten Angeboten. Sie spielen einige der Stärken des stationären Handels voll aus und sind damit erfolgreich.
Online-Händler wollen ihren Kunden ein einzigartiges Markenerlebnis bieten. Ein sehr gutes Beispiel hierfür sind die Apple Stores, die fast schon wie Tempel für iPhone & Co. wirken. Es geht um mehr als „Einkaufen“. Die Konsumenten haben online gelernt, dass sie individuelle Kaufempfehlungen erhalten. Und diese personalisierte Erfahrung gilt es, auch offline zu bieten, also das Beste aus beiden Welten zu vereinen.
Amazon Store
Amazon zeigt in seinem ersten Store in Seattle gut, wie so etwas aussehen kann. Die Bücher dort werden inszeniert und stehen mit dem Cover nach vorn in den Regalen. Elektronische Geräte von Amazon können ausprobiert werden. Das konnte Amazon so bisher online nicht anbieten.
Aus der Online-Welt bringt Amazon die Daten über seine Kunden und die Empfehlungsalgorithmen mit. Kunden finden zu jedem Buch im Laden die Leser-Rezensionen, ganze Bereiche sind für die Bücher mit den besten Bewertungen reserviert. In anderen Bereichen finden sich die meist gekauften oder die am häufigsten in Wunschlisten eingetragenen Bücher.
Kunden können jedes Buch scannen und die Preise vergleichen, was in den USA ein sinnvolles Unterfangen ist, da es dort – nicht wie bei uns – keine Buchpreisbindung gibt. Die Kunden können sich also sicher sein, das Buch zum besten Preis zu erhalten. Und Amazon erhält in Echtzeit die Auswertungen, welche Bücher wie oft gescannt wurden und zu welchen Preisen sie sich am besten verkaufen. Zu kundenindividuellen Preisen ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.
Der Checkout im Amazon-Laden gleicht dem, den die Kunden schon aus dem Online-Shop kennen. Die Quittung kommt per Mail, das Nutzerprofil wird ergänzt, die Daten weiter verarbeitet. Denkt man dies alles weiter, über Bücher und einzelne Läden hinaus, kann man erkennen, worum es hier geht. Die nahtlose Integration von Online- und Offline-Shopping und ein Höchstmaß an Kundenorientierung und Customization.
Ein weiterer Effekt, der Online-Händler offline gehen lässt, ist der Zugewinn von Glaub- und Vertrauenswürdigkeit durch lokale Geschäfte. Eine persönliche Beziehung zu den eigenen Kunden, die so online nicht aufgebaut werden kann.
Muss nun der stationäre Handel fürchten, auch noch von den Online-Händlern bedrängt zu werden?
Co-Operation
Ja und Nein. Natürlich erwächst mit diesen neuen Playern eine weitere Konkurrenz, das ist nicht abzustreiten. Doch sollte man hier nicht ein Gegeneinander sondern möglichst ein Miteinander anstreben. Die Online-Händler bringen ihre Erfahrungen und ihr Wissen in die Sphäre des stationären Handels ein und dieser wiederum hat das, was die Onliner suchen. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind die Shop-in-Shops so erfolgreich. Beide Seiten können voneinander lernen, der stationäre Handel erweitert sein Sortiment und seine Services, generiert weitere Umsätze und wird ggf. auch für Käuferschichten attraktiv, die vorher bei ihm nicht gekauft haben.
Co-Operation ist auch hier das Zauberwort, denn wenn beide Seiten ihre Stärken einbringen können auch beide gewinnen.
Beitragsbild: By SounderBruce from Seattle, United States (Amazon Books at U Village) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons
Hallo Frau Scholz,
da wir beim E-Commerce-Tag leider keine Visitenkarten ausgetauscht hatten, wollte ich mich auf diesem Wege melden und vernetzen. beim Institut haben einmal versucht, hochzurechnen, wieviele Outlets bis 2020 aus dem reinen Online-Handel generiert werden. Leider reicht dies nicht, um den Verlust von rein stationären Geschäften zu kompensieren.
Herzliche Grüße aus Köln, Boris Hedde
Hallo Herr Hedde,
das glaube ich sehr gern. Der stationäre Handel wird dadurch quantitativ sicherlich nicht „gerettet“. Die Impulse, die vom Online-Handel geliefert werden, finde ich dennoch sehr interessant und werde das sicherlich im Auge behalten.
Beste Grüße
Heike Scholz