Die 5 Orientierungshilfen bei der Digitalisierung kleiner Händler
Robotik am PoS, künstliche Intelligenz am Regal, Augmented Reality zur besseren Kundenaktivierung – diese und weitere Buzzwords aus der Fachpresse, Konferenzen und Messen sorgen dafür, dass selbst erfahrene Digital-Therapeuten sich vor Ehrfurcht verneigen. Doch was machen die kleinen Händler mit ihren Daten? Wie kann die Digitalisierung kleiner Händler funktionieren?
Digitalisierung – der unverzichtbare Weg
Bei den großen Händlern gibt es dazu ganze Abteilungen oder gar eigene Digital-Töchter, die sich mit diesen Themen beschäftigen und so ständig die Entwicklung mit begleiten. Und die kleinen Händler? Ja, wir reden von den gut 250.000 inhabergeführten Formaten, die genau diesen Zugang zum Wissen und vor allem einen Überblick über ihre Möglichkeiten nicht haben, da ihnen schlicht und ergreifend die Zeit oder das Personal fehlt.
Für diese Zielgruppe wurde auf Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz das Mittelstand Digital Zentrum gegründet. Es bietet viele Informationen, Workshops oder Unternehmersprechstunden an, um genau diese Lücke zu schließen.
In den vielen Gesprächen, die wir speziell mit der Zielgruppe der inhabergeführten Handelsformate geführt haben, wurde offensichtlich, dass man die Notwendigkeit, sich mit der Digitalisierung kleiner Händler zu beschäftigen, oft nicht erkannt wurde. Ein anderer Teil wiederum hat die Notwendigkeit zwar erkannt, weiß aber nicht, womit er anfangen soll. Diesem Anteil wollen wir uns jetzt mit verschiedenen, kurz auf den Punkt gebrachten Orientierungshilfen widmen.
Nr. 1: Grundlage: Abwarten ist keine Alternative
Die Entwicklung der Digitalisierung verläuft nicht linear, sie ist exponentiell, wer wartet, verliert schnell den Anschluss.
Folgendes Beispiel soll das verdeutlichen: Zwei Fußgänger stehen nebeneinander und laufen gleichzeitig los. Person 1 bewegt sich linear und macht einen Schritt nach dem anderen. Person 2 läuft exponentiell, d.h. bei jedem Schritt verdoppelt sich der zurückgelegte Weg. In der Zeitspanne, in der Person 1 zwanzig Meter zurücklegt, hat Person 2 bereits 542 Kilometer absolviert.
Das Ganze basiert auf den Erkenntnissen aus dem Moorschen Gesetz, nach dem sich alle ein bis zwei Jahre die Leistungsfähigkeit von Hardware verdoppelt. Für den Handel bedeutet das: Man muss nicht jeden Digitalisierungsschritt kennen oder gar mitgehen, man muss aber die Zusammenhänge kennen um die großen Trends einordnen zu können.
Nr. 2: Wenn man wüsste, was man weiß
Grundlage für jede Art der Digitalisierung, auch der Digitalisierung kleiner Händler, ist der Besitz von allen artikel- und unternehmensrelevanten Daten: Bestände, Preise, Qualitäten und Lieferzeiten sind die Basis für jede Art der weiteren Verarbeitung. Kurzum: Ohne Warenwirtschaftsystem ist man nicht mehr zukunftsfähig.
Ob zur Unternehmenssteuerung oder zur kooperativen Übermittlung an reichweitenstarke Drittsysteme wie z.B. Google: Ohne eine Echtzeit-Bestandsführung wird man zukünftig in die analoge Diaspora abtauchen und somit für potenzielle Kunden unsichtbar sein.
Nr. 3: Man kämpft nicht um Umsatz, sondern erst einmal um Aufmerksamkeit
Jeder Mensch erlebt pro Tag zwischen 6.000-10.000 Werbebotschaften. Dazu kommen noch hunderte eMails, Messenger-Botschaften, Social Media und die klassischen Content-Medien wie Streaming Dienste, TV und Radio. Die Frage, die sich jeder Händler stellen muss: Warum sollte der potenzielle Kunde ausgerechnet mir seine Aufmerksamkeit schenken?
Das Herausfinden der Antwort ist eine neue Aufgabe und Basis für jeden darauffolgenden Umsatz. Eine zwar nicht ständige, aber wohl platzierte und vor allem relevante Präsenz im Auge des Kunden ist eine Aufgabe, die der Handel neu lernen muss.
Genau dafür wird Zukunft des Einkaufens und das Kompetenzzentrum zukünftig Checklisten und Arbeitshilfen zur Verfügung stellen. Eine gute Nachricht beinhaltet diese Tatsache aber auch: Viele der neuen Kanäle können kostenlos genutzt werden, sodass sich Marketingbudgets zukünftig verschieben.
Nr. 4: Nur wer seine Kunden richtig kennt, baut eine ganzheitliche Bindung auf
Kundenbindung durch analoge Mittel allein reicht nicht mehr aus. Aus den Gründen, die in Nr. 3 beschrieben sind, muss diese auch auf den digitalen Raum ausgeweitet werden. Viele Fragen können allein durch eine Kombination von Daten über den Kunden in Verbindung mit dem Wissen über das eigene Format beantwortet werden.
- Habe ich die Kontaktdaten der Kunden?
- Wie kann ich die Informationen zur Aktivierung nutzen?
- Mit welchen Maßnahmen erreiche ich die gesteckten Ziele?
- Wie kann ich meine Kunden segmentieren?
- Wie kann ich die Daten für mehr Service nutzen?
- Wie können mir Kundendaten bei der Sortimentsgestaltung helfen?
- Habe ich ein Konzept für die Inhalte der Newsletter oder Social Media Posts?
Ein einfacher Weg, um diesen Fragen beantworten zu können, ist entweder die Beteiligung an einem bestehendem oder der Aufbau eines eigenen Kundenbindungssystems. Häufig bietet die örtliche Händlergemeinschaft oder Wirtschaftsförderung die Möglichkeit, sich einem System anzuschließen.
Nr. 5: Nutze die Kraft der Großen
Gerade der kleine und mittelständische Handel beklagt oft die ungleichen Rahmenbedingungen der großen Online-Riesen. Wenn man aber genau hinschaut, stellt man fest, dass man die dort entwickelten Lösungen gut für sich selbst nutzen kann. Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen:
a) Nah beim Kunden Dank Amazon
Man kann auch Amazons Sprachassistenten Alexa für sich selbst nutzen! Den Weg in die Wohnzimmer der Kunden geht über einen eigenen sogenannten Skill, der mittlerweile zu erschwinglichen Preisen angeboten wird oder mit etwas IT Erfahrung auch selbst entwickelt werden kann. So bringt man sein Angebot per Sprachabfrage direkt an die Kunden.
b) Im Auge des Kunden, wenn man die größte Relevanz hat
Über 70 Prozent der Einkäufe werden online vorbereitet. Konkret: Der Kunde gibt in das Google Suchfeld seinen Kaufwunsch ein, in der Regel erscheinen in den Suchergebnissen die Onlineangebote der großen Pure Player.
Seit gut 2 Jahren bietet Google mit Local Inventory die Möglichkeit, auch als kleiner Händler ohne Onlineshop als lokaler Anbieter zu erscheinen. Konkret: Genau dann, wenn der potenzielle Kunde einen Wunsch äußert, zeigt man ihm, dass er seinen Wunsch in wenigen hundert Metern Entfernung erfüllen kann. Dafür muss der Händler aber seine Bestände und Preise abgleichen, damit wären wir wieder bei Orientierungshilfe Nr. 2.
Unser Fazit
Sie kennen sicherlich den Satz „Wer sich verändert, kann scheitern. Wer sich nicht verändert, ist bereits gescheitert“. Uns ist allerdings kein Beispiel bekannt, in dem ein Händler, der diesen Weg ging, gescheitert ist. Im Gegenteil: Sie haben teilweise sogar das Problem, ihr Wachstum zu managen, da das richtige Personal für die neuen Aufgaben nicht so leicht zu beschaffen ist.
Unser Autorenteam: Stephan Tromp und Frank Rehme
Stephan Tromp ist stellv. Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland und Mitinitiator des Kompetenzzentrums Handel.
Frank Rehme ist Mitgründer von Zukunft des Einkaufens und moderiert unseren Podcast Relevant Retail
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