ZDE Podcast 109: Künstliche Intelligenz im Mittelstand
Beim Thema KI zucken viele mittelständische Händler erst einmal zusammen. Für viele ist es eine reine Zukunftstechnologie, die zu komplex in der Handhabung ist. Aber es gibt bereits viele Anwendungen, die schon Einzug im Handel gefunden haben. Das bespreche ich mit Stephan Tromp, der als stellvertretender Hauptgeschäftsführer beim Handelsverband Deutschland e.V. HDE das Thema Digitalisierung treibt.
Folge direkt anhören:
KI ist Teil des täglichen Lebens geworden
Wem vertraut man mehr beim Autofahren? Den Informationen aus Google Maps, oder den Ansagen des Beifahrers, der mit der ausgebreiteten Karte neben einem sitzt? Wir haben uns bereits dran gewöhnt, dass die kleinen Assistenten uns genaue Ansagen machen, was wir tun sollen. Und wir tun es dann auch!
Bereits vor über einem Jahr habe ich mit Stephan Tromp das Thema KI als NRF Fazit besprochen, heute schauen wir uns speziell die Elemente der künstlichen Intelligenz aus diesen Erkenntnissen an.
KI ist in mehreren Umsetzungsprojekten bereits auf der Fläche
Im Rahmen des Kompetenzzentrums Handel wurden mehrere Best Practise Projekte umgesetzt, auf die in der Folge eingegangen wird. Ganz besonders möchte ich noch einmal die Lösung von einem Baumarkt in Langenfeld hervorheben, der seine Marketingeffizienz mit Computer Vision misst (Hier der Link zum Bericht).
Die ganze Folge als Skript
Stefan, wir beide dieses Jahr nicht auf der NRF.
Eigentlich schade. New York und die große, die ‚Big Show’ der National Retail Federation, die fehlt mir. Immer die ganzen Innovationen, die man dort sehen kann, schade. Aber kommt bald hoffentlich wieder.
Ja, besonders das Innovation Lab, welches wir auch im letzten Jahr sehr stark gestürmt haben und haben uns angeschaut, was da im Bereich KI Visio und haben ja auch eine super Folge zu dem Thema gemacht, wo wir beide berichtet haben, in welche Richtung es weiter geht. Das ist jetzt allerdings schon gut anderthalb Jahre her und es ist immer gut, wenn man einen Rückblick macht, was wir damals alles entdeckt haben, was davon schon live ist und was jetzt passiert ist. Was hast du so beobachtet, was jetzt so gelaufen ist, in den Kernthemen Computervision und Voice Commerce. Beginnen wir mit Computervision, was ist bisher im Leben angekommen und was hast du bisher gesehen?
Wenn ich zurückdenke, auf der NRF, insbesondere das gesamte Thema Shelf Recognition und wie kann ich Bestandsüberwachung mittels Kamera und Computervision machen, wie kann ich Aktionen fahren in den Läden und das Gesamte miteinander verknüpfen. Was wir in Deutschland beobachten ist, dass mittlerweile Unternehmen sehr stark reingehen und nicht nur experimentieren, sondern auch in die Serienreife gehen. Zum Beispiel der teo von tegut in Fulda ist nun mittlerweile ausgerollt und funktioniert im daily Business. Die Schwarzgruppe hat auf dem Campus Heilbronn mit der CollectBox und der StorageBox genau zwei Angebote geschaffen, wo ich als Kunde reingehen kann, ohne mich an eine Kasse anstellen zu müssen. Das was Amazon uns vorgemacht hat mit AmazonGo, was über die Jahre von einem Miniladen hochskaliert worden ist zu einem kompletten Supermarkt. Amazon ist letztens erst in Amerika an den Start gegangen mit einem 2000qm großen Format. Daran merkt man, dass eben jetzt mit sieben Meilen Stiefeln das Ganze in die Serienreife geht.
Ja, also die machen da auch die großen Schritte. Ich hatte mal recherchiert zu diesem ganze Thema und bis 2023, und das steht ja schon bald vor der Tür, wollen die 3.000 Läden ausgerollt haben in den USA. Und da sieht man mal, wie das Einkaufsverhalten der Menschen dementsprechend umkonditioniert wird. Keiner wird dann mehr in einen Laden gehen wollen, wo er an einer Kassenschlange stehen muss.
Ich glaube selbst wenn wir jetzt ein Smartphone haben und uns die Zeit damit verkürzen können, ist es immer noch das größte Ärgernis für den Kunden, in der Schlange zu stehen und deswegen arbeiten auch alle an diesem kassenlosen Checkout-Prozess, dass man einfach den Laden verlassen kann. Und in so fern ist Computervision gerade im FMCG Bereich ein ganz wichtiges Thema, um hier mehr Convenience zum Ende des Tages zu schaffen.
Für unsere Hörerinnen und Hörer zum Hintergrund: Kassen sind ja nicht nur ein Problem für den Kunden, weil er in der Schlange stehen muss, sondern natürlich auch für den Händler. Die kosten Verkaufsfläche, die kosten Personal, welches in der Tarifstruktur sogar noch besser bezahlt ist und natürlich auch eine Investition in die ganze Hardware. Und aus meinen Zeiten bei der Metro weiß ich aus einer Analyse eines Formats, dass 1 Sekunde Kassenprozessoptimierung eine Personaleinsparung von 5 Millionen Euro im Jahr ergab. Also da merkt man mal, wie das Thema Kasse auch als Kostenfaktor gesehen wird und wenn wir uns mal die Discounter anschauen, die die Kassenprozesse so optimiert haben, so sparen diese dadurch natürlich unheimlich viel Geld. Und wenn man die Kassen ganz abschaffen kann, umso besser.
Ich würde garnicht so weit gehen, dass ich letzten Endes da einsparen will, aber wenn ich mir grad den Handel in Gänze anschaue, welches Potential frei würde, um einen Kunden zufriedener zu machen. Statt dass ich meine Personalressourcen dafür nutze, Artikel über den Scanner an der Kasse zu ziehen, kann ich diese doch viel besser für die Faktoren Einkaufserlebnis, Warenpräsentation und Beratung nutzen. Das birgt ungeahnte Möglichkeiten. Also der Einsatz von künstlicher Intelligenz kann auch bedeuten, das Einkaufserlebnis in Gänze zu steigern und nicht nur möglichst effizient auszuprägen.
Absolut, das ist immer so ein Punkt, der schnell verloren geht. aber genau darum geht es ja letztendlich, also den Menschen vor Ort den dritten Ort zu liefern, den man immer haben will.
Du hast gerade das Thema Bestandsprüfung, Out Of Shelf und solche Sachen angesprochen, da hat man sich ja jetzt von Vielen auch verabschiedet. Noch vor 3-4 Jahren wurden bei der NRF noch Drohnenlösungen gezeigt. Also dass Drohnen durch den Supermarkt fliegen und Regallücken suchen oder dass man Gewichtssensorische Folien hatte und solche Dinge. Mittlerweile geht es aber sehr stark in Richtung Computervision und wir haben von der
SES-imagotag auf der Messe auch gesehen, dass die in ihren elektronischen Preisetiketten kleine Kameras drin haben, die das Regal gegenüber überwachen und dementsprechend auch Alarm geben, wenn irgendwo etwas ausgeht.
Spannende Geschichte, die in dieser Richtung unterwegs ist und wenn wir uns anschauen wie viel Geld durch Regallücken, die immerhin 8% ausmachen, verloren geht, ist das ein großes Potential Kunden glücklich zu machen, weil sie natürlich die Artikel finden, die sie erwarten.
Du hast mit den elektronischen Preisetiketten ein weiteres Stichwort geben. Hat mit KI auf den ersten Blick erst einmal nichts zu tun, aber neben der Preisgestaltung bieten die elektronischen Preisetiketten viele weitere Vorteile. Ich kann sie nutzen, damit sie mit meinem Smartphone im Laden kommunizieren, dass ich zum Beispiel Produktinformationen eingespielt bekomme. Damit meine ich garnicht mal ein Rezept, sondern der Kunde möchte heutzutage mehr wissen, insbesondere wenn es um preissensible Bereiche geht.Wo kommt das Produkt her, welche Eigenschaften hat es, Allergieinformationen, Herkunftsinformationen, ist es regional, bio, welche Labels werden noch ausgelobt, Bilder vom Produkt. Die Metro hat vor über 10 Jahren in China schon Projekte gefahren zu diesen Themen und wenn ich dies alles in der Digitalisierung einhalten kann, kann ich ein höheres Maß an Convenience für den Kunden herstellen, das ist auch eine Chance.
Vertrauensaufbau. Da seid ihr ja auch mit dem IFS dran, da machen wir mal eine Sonderfolge zu. Aber darum geht es letztendlich, also Vertrauen aufzubauen und Vertrauen hoch zu halten. Da kann KI natürlich bei helfen.
Ja, nimm die Bio-Branche. Bioprodukte kosten mehr, als konventionelle Produkte. Das wird damit begründet, dass sie bestimmte Eigenschaften haben, auf bestimmte Art und Weise hergestellt wurden, sie bestimmte Attribute haben. Letzten Endes erfordert das ein hohes Maß an Vertrauen und wenn ich da Transparenz durch Digitalisierung herstellen kann, bekommt das Ganze eine ganz andere Belastbarkeit. Und, da bin ich mir ziemlich sicher, das wird der Kunden auch honorieren. Und auch für so etwas ist Digitalisierung wichtig und nützlich.
Und nützlich ist unter Anderem auch das ganze Thema Voicecommerce. Da passiert ja auch einiges. Hast du irgendwie eine Alexa oder ein Google Home zu Hause stehen?
Ich habe ein Google Home zu Hause stehen und meine 9-jährige Tochter beherrscht den mittlerweile besser als ich. So schnell kann man garnicht gucken, wie schnell das mit der Sprache bedient ist, also da kriegt man ganz live vorgeführt, wie simpel es eben ist, wenn man mit der Stimme etwas steuern kann.
Also wir haben auch in der Wohnung die Homepods stehen an jeder Ecke verteilt. Musik läuft darüber und im Büro haben wir Licht und Heizung komplett über Sprachassistenten. Und wir werden ja gerade wunderbar konditioniert, mit Sprachassistenten viele Dinge zu machen und irgendwann werden wir darüber auch vermehrt einkaufen. Was mich wundert ist, dass wir das immer noch so wenig machen. Also so eine Alexa, die man zu Hause stehen hat, wird für alles genutzt, nur nicht zum Einkaufen. Aber es geht ja erstmal um die Konditionierung der Leute, oder?
Ich glaube das gesamte Thema Voicecommerce ist für die große Mehrheit der Konsumenten etwas, woran man sich hier dann noch gewöhnen muss. Aber grad durch Corona haben wir da einen Schub gekriegt, dass der Verbraucher stärker bereit ist, digitale Lösungen zu nutzen, weil der stationäre Handel zum Teil geschlossen war. Und auf der Erfahrung aufbauend wird er sich dann auch Themen wie Sprachsteuerung offener zeigen, als vorher. Und, wenn du mich fragst, wo das zukünftig eine Chance hat, dann immer bei den Artikeln, die wir zu Hause verwenden und die man immer wieder nachbestellen muss. Also nicht das Besondere, sondern das 0815, was immer wieder kehrt. Und da werden natürlich die Anbieter von Voicecommerce Lösungen finden müssen, wie sie das mit der Regulatorik, also Zustandekommen eines Kaufvertrages, Widerrufsrecht, etc. Wie man das so harmonisiert, dass beides Möglich ist. Nicht alles, was technisch zur Zeit möglich ist, ist vom Regulator auch gestattet und das werden wir noch übereinander kriegen müssen.
Ja, aber da ist noch einiges passiert. Kurz nach der NRF letzten Jahres war ja die letzte Euroshop Messe in Düsseldorf und da waren auch einige Lösungen zu sehen. Wir hatten schonmal darüber berichtet, dass der HIT Sütterlin vor 4 Jahren eine Alexa Lösung hatte und mittlerweile konnte man Bizerba Waagen sehen, die auch mit einem gesprochen haben, die einem Rezepte verraten haben über die Produkte, die man da drauf legt. Also da ist auch einiges im Fluss, da in der Ecke. Und wir vom Kompetenzzentrum Handel haben mal so einen Piloten gebaut, wo der Wareneingang auf einmal, komplett mit Sprachassistenten gesteuert, automatisiert werden konnte. Also da ist auch viel Bewegung bei. Ich bin gespannt, in welche Richtung sich dieses ganze Thema der Computervision noch entwickelt. Wir vom Kompetenzzentrum Handel haben auch ein Projekt gemacht, wo wir schauen, welche Geschlechter und welche Altersgruppen überhaupt in so einen Laden kommen, nur um festzustellen, ob die Marketingkampagnen auf social Media auch die richtigen Leute angesprochen haben. Also das Thema Messung von Marketingeffizienz mit Computervision war eine Sache, die relativ einfach war zu bewerkstelligen war und da kann nochmal einiges passieren.
Ein Blick nach vorne nochmal, Stefan. Irgendwo in die Richtung, was sind so die nächsten Dinge von den du glaubst, dass die mit KI noch gemacht werden?
Was ich mir sehr gut vorstellen kann ist, dass wir im Bereich Voicecommerce Anwendungen sehen werden, die zum Beispiel unser Navigationssystem im Auto mit Angeboten auf dem nach Hause Weg verknüpfen. Jeder kennt die Situation, wenn ich mit dem Auto vom Büro nach Hause fahre und noch etwas einkaufen muss. Dann beantwortet mir das Navi nicht nur die Frage wie lange ich noch brauche bis zu meinem Zielpunkt, sondern dass auf dem Weg nach Hause bei dem Lebensmittelgeschäft XY dieses oder jenes Produkt im Sonderangebot ist und dann gibt es dazu noch ein Rezept oder man sucht gezielt danach.
Oder es gibt mittlerweile Anbieter, die den Papierprospekt digitalisiert haben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir irgendwann an den Punkt kommen, dass wir Siri nur noch fragen, was für Angebote bei uns im Umkreis von 3 km sind. Und dann erzählt mir Siri, dass zum Beispiel das Glas Nutella heute für einen super Preis im Angebot ist.
Also alles das, was sich bequem abfragen lässt, da bin ich mir ziemlich sicher, dass wir da in den nächsten Jahren Lösungen sehen, die über Voicecommerce, über Sprachsteuerung dann laufen.
Also alle diese Lösungen, die wir genannt haben, die hören sich jetzt erstmal alle nach Raketentechnologie an, die nur von leistungsstarken, großen Unternehmen gemanaged werden können. Aber ich kann auch sagen, wir haben sehr viele Projekte im Kompetenzzentrum Handel gemacht, die für die inhabergeführten Mittelstand genau so wunderbar laufen, wie dieses Beispiel mit der Gesichts- und Alterserkennung. Das war etwas, das ist im absolut inhabergeführten Mittelstand gelaufen ist.
Viele Dinge sind möglich, auch für den Mittelstand, man muss sich einfach nur drum kümmern.
Richtig und ich sehe da auch ein Stück weit unsere Verbundgruppen und Genossenschaften in der Pflicht. Kein Mittelständer handelt alleine. Der gesamte Wareneinkauf wird gebündelt über eine Verbundgruppe, die ein Stück weit auch die Technologie zur Verfügung stellen muss, dass ein einzelner Mittelständer diese dann nutzen kann. Nimm einfach das Beispiel des so genannten Magic Mirror, also einem Spiegel, wo einem vorgeführt wird, wie die Brille auf der Nase aussieht, in deinem Gesicht wirkt. Somit muss ich nicht mehr physisch eine Brille anprobieren, sondern sie wird auf mich drauf projiziert. Die Daten, die dafür nötig sind, die Produktinformationen, die müssen zentral auf einem Server bereitgestellt werden. Die müssen von der Verbundgruppe in Zusammenarbeit mit der Industrie kommen und wenn das gewährleistet ist, bin ich mir sicher, kann ein Mittelständer das auch nutzen können. Wir der Mittelstand damit alleine gelassen, da wird es dann schwer, weil keiner in der Lage ist, das alles selber einzugeben. Das Ziel für die Zukunft, wenn ich moderne Technologien im Handel wirklich flächendeckend einbringen will, muss lauten, dass es dann nur über Kooperationen geht. Und daran arbeiten wir auch als Verband. Wir versuchen zu fördern und aufzuzeigen was und wie etwas möglich ist.
Super. Stefan, wir gucken mal, dass wir bei der nächsten NRF, wenn sie denn statt findet, mal wieder einen Überblick uns verschaffen und berichten dann weiter über die Entwicklungen, die wir dort gesehen haben.
Da freue ich mich jetzt schon drauf, das wird spannend.
Ok, dann sage ich vielen Dank.
Gerne.
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