Zur causa Retail Media: Jetzt mal Tacheles, Leute!
Retail Media ist derzeit die berühmte Sau, die durch die Handelsbranche getrieben wird. Jeder denkt: Klasse, das ist eine neue Version des WKZ´s, wir können neue Erlöse erwirtschaften. Jetzt aber die Frage: Ist das, was wir da präsentiert bekommen, wirklich neu? Oder wie sähe es aus, wenn es neu wäre?
So schmeckt alter Wein
Allen, die glauben, dass hier ein alter weißer Mann kommt und alles Neue schlecht redet, kann ich nur entgegnen: Wo ist das Neue?Kurz etwas zu meiner Historie in dem Thema, ich erlaube mir einen Ausflug in die Retail Archäologie:
2009 bin ich vom POPAI Verband (Point of Purchase Advertising International) gefragt worden, ob ich in meiner damaligen Funktion als Metro Innovationsmanager einen Arbeitskreis Digital aufbauen will. Konkret ging es um das Thema Digital Signage, das zu der Zeit sehr hype war.
Schnell habe ich gemerkt, dass dieses Thema in der Branche nicht sehr verbreitet war und auch das Wissen fehlte. Also habe ich mit Silke Reichenbach einen Podcast ins Leben gerufen, in dem wir News und Enwicklungen der Branche zum Thema machten. Die Versprechen waren groß: Du hängst dir einen Screen ins Regal, bewirbst die Produkte und verkaufst mehr. Oder du vermietest den Touchpoint an andere Werber und verdienst damit Geld.
Die Praxis in der Umsetzung
Dann kam die Realität: Der Händler gibt nicht gern Regalplatz her, in dem er margenstarke Produkte gegen einem Monitor tauscht. Hängt man die über die Regale, sind die außerhalb der Wahrnehmung, da die Shopper mit einem Winkel von 18 Grad nach untern schauen. Das ist evolutionär bedingt, denn wir hatten nie Feinde aus der Luft.
Nachdem wir bei Real die Walmart Filialen nach deren Rückzug vom Deutschen Markt übernommen haben, waren in dem Paket auch Altverträge mit dem ach so berühmten Werbenetzwerk im Gepäck. Klasse, wir hatten endlich Autoreifenwerbung an der Fleischtheke, jenseits von jeder Kundenrelevanz.
Dem wollte Real dann entgehen und startete mit Echion einen Piloten, in dem Kameras die die vor dem Monitor stehenden Menschen analysierte und angepasste Werbung ausspielte. Datenschutztechnisch okay, denn es wurden keine personalisierten Informationen verarbeitet. Trotzdem war eine Datenschutz NGO nicht weit und stellte einen Strafantrantrag, der natürlich ins Leere lief. Trotzdem hatte Real ein PR Desaster mit dem Versuch, der erst mal alle anderen abschreckte.
2012 war dann die Hochzeit der Digital Signage Netzwerke. Der Branchendienst Invidis hat seinerzeit mehrere Netzwerke mit über 4.000 Displays in über 700 Filialen aufgezählt. 2 Jahre später waren auch davon die meisten Geschichte, es wurde nie ein Geschäftsmodell daraus.
Was ist in den neuen Schläuchen?
Natürlich beobachte ich die Entwicklung in dem Bereich sehr intensiv, nur mit dem neuen Namen Retail Media. Ich sehe die gleichen Präsentationen wie damals, die Argumente sind immer nicht nur die gleichen, sondern oft auch die selben. Es werden Storys von Walmart berichtet, die ganz viel Geld damit verdienen und einen super Marge damit rausholen. Es wird von einem 5-fachen TKP berichtet und im Handel werden schnell Abteilungen gegründet, die sich damit beschäftigen.
Durch den 3rd Party Cookie Ban verschieben sich nun Werbemilliarden in neue Wege, da will der Handel profitieren. Aber was sehe ich gerade:
- Die Konsumgüterindustrie, die dem Handel genau dafür Geld überweist, beklagt sich bei mir, dass sie keine Zahlen über die Wirksamkeit bekommt. Bei der TKP Ermittlung fehlt also das T
- Das Datenschutzthema ist ein Angriffspunkt: Auch wenn keine personalisierten Daten gespeichert werden, hat man Respekt vor einem Shitstorm a la Real
- Die Gründe, warum die alten Netzwerke nicht funktioniert haben, sind immer noch nicht geklärt und gelöst.
So wäre es wirklich was neues
Online Pure Player spielen das Thema schon seit Jahren und können die Kundschaft viel besser analysieren. Am stationären PoS braucht man ein gutes Zusammenspiel von Technologie und Daten. Das haben viele erkannt und daher geht man weg von Payback zu eigenen Loyalty Programmen in Verbindung mit Apps, eigenen Bezahl-Lösungen, Gamification und einem digitalen Couponing. Lidl ist da sicherlich einer der Vorreiter.
Warum macht das Sinn: Weil man so auf eigene Datentöpfe zurückgreifen kann, man ist in seinem eigenen Ecosystem. Wer sich mit KI beschäftigt weiß, wie wichtig diese Grundlage für eine nahtlose Kundenaktivierung ist. Wenn man es schafft, eine Seamless-Integration dieser hinzubekommen, macht man wirklich nachhaltiges Retail Media und nicht das, was gerade präsentiert wird.
Ach übrigens, eine GMV Weisheit (Gesunder Menschenverstand) zum Schluss: Kein Mensch löst sich daheim von seinem Online-Shopping-Monitor, um dann im stationären Handel auf einen Monitor zu glotzen.
Wir hatten das Thema Digital Signage schon in vielen Beiträgen, hier findet ihr eine Übersicht
Witzigerweise bringt man heute noch das Beispiel des Films Minority Report aus 2002 als ideale Vision. Tut mir einen Gefallen: Lasst es, das will keiner.
Beitragsbild von StockSnap auf Pixabay
Liebes Team Zukunft des Einkaufens,
bislang wurde das Retail Inventar / Handelsplätze durch den Handel primär als Vkf-Instrument per WKZ an die jeweils gelisteten Industriepartner vermarktet. Daneben gab und gibt es dann noch Retail Media Netze externer Vermarkter, die das Inventar im eigenen Namen auch an Agenturen und Werbungtreibende vermarkten.
Der Unterschied: Heute verstehen sich immer mehr Händler selbst als Publisher / Vermarkter und wollen das Ertragspotenzial (Media-Spendings) von Retail Media als Business Modell selbst und ganzheitlich erschließen. Die Händler werden zum Media Owner und bauen / erweitern ihr eigenes Retail Media Inventar (Outdoor/Indoor, analog/digital) auf / aus und vermarkten datenbasierte messbare Retail Media Kampagnen nun selbst auch an Agenturen und Werbungtreibende.
Viele Grüße
Carsten
Lieber Carsten,
besten Dank für das Update hier, der beschriebene Weg ist eigentlich der Weg, der gegangen werden muss. Leider sieht man aber immer wieder, dass die alten Muster immer noch kommuniziert werden. Ich schaue gespannt auf die weitere Entwicklung.
Viele Grüße Frank