[Update] Personalmangel: Schließen oder Avatare einsetzen?
Letzte Woche wollte ich in der gut frequentierten Postfiliale bei mir um die Ecke eine Rücksendung abgeben und stand an einem Freitag um 13:30 Uhr vor verschlossenen Türen. Diesmal nicht wegen einer Betriebsversammlung, sondern ich fand nur ein Schild „Geänderte Öffnungszeiten: Freitags von 9:00 bis 13:00 Uhr, Samstag geschlossen“. Da die Post hier nicht transparent kommuniziert, kann ich über die Gründe nur spekulieren. Ich tippe auf Personalmangel.
Nicht nur die Deutsche Post hat hier Probleme. Auch Handelsunternehmen, wie z.B. Aldi, verkürzen zurzeit ihre Öffnungszeiten und begründen dies mit dem Energiesparen. Doch auch hier wird dies nicht der einzige Grund sein. Hohe Krankenstände und fehlendes Personal führen dazu, dass die Mitarbeitenden, die noch zur Arbeit erscheinen, zunehmend ausbrennen. Eine Entwicklung, die auch in vielen anderen Bereichen, insb. den Care-Berufen zu beobachten ist.
Unternehmen bemühen sich in dieser Situation darum, auch Menschen, die sie bisher im Recruiting nicht unbedingt bevorzugt angesprochen haben, zu aktivieren und ihnen passende Jobs anzubieten.
In Japan, wo die Überalterung der Gesellschaft noch weiter fortgeschritten ist, als bei uns, geht die Supermarktkette Lawson nun einen Schritt weiter. Auf der Fläche des neu eröffneten Convenience Stores „Green Lawson“ in Tokyo beraten und bedienen, neben den Mitarbeitenden vor Ort, Avatare die Kundschaft. Das funktioniert gut, weil hinter den Avataren echte Menschen sitzen.
Im Laden befinden sich Monitore in den Regalen und an den Kassen, auf denen im Anime-Stil Avatare die Mitarbeitenden repräsentieren. Es gibt einen männlichen (Sorato) und einen weiblichen (Aoi) Avatar.
Sensoren aktivieren die Avatare, wenn Kund:innen davor stehen. Die virtuellen Mitarbeitenden beraten, preisen an oder wickeln Transaktionen ab, die mit den vorhandenen Self-Service-Systemen nicht möglich sind oder Probleme verursacht haben.
Lawson betont, dass es sich hier um einen inklusiven Ansatz handelt, der es Menschen ermöglicht, im Einzelhandel zu arbeiten, auch wenn dies real und in der Fläche nicht möglich sei. Bis Ende 2025 will Lawson 1.000 Avatare ausgebildet haben, die dann überall in Japan arbeiten.
Das System wurde von Avita entwickelt und soll bis 2025 in 100 von Lawsons C-Stores zum Einsatz kommen.
Update Juni 2023: Lawson testet mittlerweile in der Filiale im Tokyoter Stadtteil Shinagawa, ob die Kundinnen und Kunden die Avatare verstehen können, wenn sie Gebärdensprache einsetzen. Noch ist das System fehlerhaft, denn einige Gesten können nicht korrekt dargestellt werden. Dennoch erwägt Lawson die Freigabe im Regelbetrieb.
Was ich denke
Vielleicht sind wir im deutschsprachigen Raum hinsichtlich der Automatisierung (Avatarisierung) von Einzelhandelsgeschäften noch nicht so weit wie Japan. Doch auch bei uns verbreiten sich Self-Service-Systeme, wie z.B. beim Self-Checkout oder in vollständig autonomen Stores, rasant. Wenn Unternehmen die Wahl haben, zwischen dem Schließen des Ladens wegen Personalmangels und dem Einsatz von Technologie, dann liegt es auf der Hand, wie die Entscheidung ausfallen wird.
Kund:innen werden sich daran gewöhnen, denn auch für sie ist es besser, ein Angebot durch einen Avatar als gar keines zu haben. Ferner bietet die Tätigkeit als Avatar Menschen die Möglichkeit, überhaupt, von zu Haus oder von überall auf der Welt zu arbeiten. Mit dem Einsatz von Gebärdensprache, wie nun seit Juni 2023 im Einsatz, geht Lawson einen weiteren Schritt in Richtung Inklusion.
Soweit zu den Vorteilen. Doch wie immer sollte dies nicht den kritischen Blick verstellen. Mit der steigenden Qualität von KI-Systemen werden auch die Maschinen immer besser darin, guten Service zu bieten. Durch ein solches System wie bei Lawson kann eine KI schnell lernen, Avatar zu sein. Für uns Menschen wird es bald nicht mehr unterscheidbar sein, ob hinter einem Avatar ein Mensch oder eine Maschine werkelt. Für den erbrachten Service an sich erst einmal unerheblich. Doch mit neuen, flexiblen Arbeitsplätzen und Inklusion wird dies dann nichts mehr zu tun haben. Ganz im Gegenteil.
Was denken Sie? Sehen wir hier mehr Licht oder mehr Schatten? Ich freue mich auf Ihre Meinung.
Beitragsbild: Tim Mossholder
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