Die Metamorphose der Städte und Handel ist im Gange
Die Innenstädte sind auf der Suche nach neuen Besuchsanlässen, die jenseits des Handels angesiedelt sind. Aber warum muss diese Metamorphose überhaupt geschehen? Wenn ja, was ist zu tun?
Essen im Wandel
Kinder des Ruhrgebietes werden sich erinnern: Wer in den 70ern und 80ern ausgiebig einkaufen wollte, fuhr nach Essen, denn das war die Einkaufsstadt Nr. 1. Kinder liebten den Spielzeughändler Rostkothen, der auf 4 Etagen Kinder- und Erwachsenenaugen aufblitzen ließ. Die Erwachsenen hatten eine Riesenauswahl an Kaufhäusern wie Karstadt, Horten, Wertheim, Quelle und verschiedensten Ausstattern. Kurzum: Egal was man suchte, hier fand man alles. Das war auch schon vom Hauptbahnhof aus zu sehen, wie das folgende Bild bis Anfang 2022 zeigt:
Die Zeit verändert das Selbstverständnis von Essen
Das vorgenannte Szenario ist natürlich Geschichte, die Veränderung begann noch in der vor-eCommerce Zeit am 12. September 1996: In der Nachbarstadt eröffnete auf einer Industriebrache das größte Einkaufszentrum Europas, das Centro Oberhausen. Über 250 Geschäfte lockten auf 125.000 qm Verkaufsfläche und 14.000 kostenlosen Parkplätzen mit identischen Öffnungszeiten die Shopper:innen des Ruhrgebietes an. Alle, wirklich alle umliegenden Städt erlebten in den folgenden Jahren einen rasanten Kaufkraftabfluss.
Damit hat auch Essen die Krone des Einkaufsparadieses abgegeben. Von Jahr zu Jahr hat sich die Situation durch das veränderte Käuferverhalten und den aufkommenden eCommerce auch noch verschärft. Anfang 2022 war es dann soweit: Das Willkommens-Schild am Eingang der Stadt sah dann so aus:
Muss die Metamorphose benannt werden?
Essen schien ein Problem gehabt zu haben: Einen riesigen Schriftzug mit einem Werteversprechen, das man seit Jahren nicht mehr erfüllen kann. Was also tun? In einem Prozess wurde die jetzt temporäre Umbenennung zum Folkwangjahr durchgeführt (LINK), aus Denkmalschutz-Gründen muss es aber wieder zurückgebaut werden.
Damit erfüllt der Schriftzug dann wieder seine Aufgabe: Ein Denkmal zu sein. Ein Denkmal, das an die guten alten Zeiten erinnert. Aber um auf die Frage in der Überschrift zurück zu kommen: Nein, das muss sie nicht!
Liebe Stadt: Was ist dein Wacken?
Die aktuelle Umbenennung zeigt aber das Dilemma vieler Städte: Ein Profil für Besuchsanlässe zu schaffen. Wacken hat es geschafft: Vor 30 Jahren weitgehend unbekannt, ist es jetzt weltweit als Zentrum der Hard-Rock Szene bekannt. Viele Städte suchen genau das Profil, und vergessen dabei immer einen: Die Besucher:innen. Statt zu erklären, was man ist, sollte man lieber erklären, was die Menschen dort erleben.
Alle Macht geht von den Besucher:innen aus, und genau deshalb sollte man sich auf deren Bedürfnisse konzentrieren. Da das aber schlecht in einem Satz darzustellen ist, muss man dazu eine gesamtheitliche Kampagne durchführen. Ein Beispiel ist die Stadt Oschatz, die das eindrucksvoll in einem Imagefilm darstellt:
Es geht um Magnetwirkung
Grundsätzlich bleibt es aber dabei: Der Handel tritt mit seiner Versorgungsaufgabe mehr und mehr in den Hintergrund, Städte müssen neue Besuchsanlässe schaffen. Die Aufgabe Nummer eins besteht darin, Städte als Orte der absichtslosen Begegnung zu entwickeln, der Kern der Metamorphose.
Nehmen wir einmal folgende Kennzahlendefinition als Basis für ein Denkmodell:
- Die netto Magnetkraft einer Stadt ist ohne Handel
- Die brutto Magnetkraft einer Stadt ist incl. Handel
Die netto Magnetkraft muss also gesteigert werden, z.B. durch mehr Erlebnis und Aufenthaltsqualität wie Events, Gastro, Spiel oder Sport. Wie erkennt man die netto Magnetwirkung einer Stadt? Ganz einfach: Sonntags, da ist der Handel geschlossen!
Die Änderung des Willkommens-Schildes in Essen ist daher ein Symbol, das für viele Städte gilt. Es bleibt spannend!
Beitragsbilder: ZdE, Paul Brennan auf Pixabay
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