Von Innovatoren in Unternehmen – und Wildgänsen
Heute einmal etwas anderes von mir. Eine Parabel über Innovative in Unternehmen. Geschrieben hat sie der dänische Philosoph, Essayist und Theologe Sören Kierkegaard im 19. Jahrhundert. Er hat damals nicht über Innovative geschrieben, sondern übte Kritik an den Christ*innen, die sich mit der Bibel nicht mehr beschäftigen wollten. Und doch passen seine Ausführungen hervorragend auf Innovative in Unternehmen.
Auf den Gedanken, diese kurze Geschichte auf die „innovativen Rebellen“ in Unternehmen zu beziehen, brachte mich Gunter Dueck in seinem Buch „Heute schon einen Prozess optimiert?“.
Die Wildgans von Sören Kierkegaard
Jeder, der auch nur ein kleines bisschen Kenntnis vom Leben der Vogelwelt hat, weiß, dass zwischen der Wildgans und den zahmen Gänsen, wie verschieden sie auch sind, dennoch eine Art Verstehen herrscht. Wenn der Zug der Wildgänse in der Luft zu hören ist, und da zahme Gänse unten auf der Erde sind, so merken diese letzten das sofort, sie verstehen bis zu einem gewissen Grade, was es bedeutet; deshalb hüpfen sie auch, schlagen mit den Flügeln, schreien und fliegen in verworrener unschöner Unordnung ein Stück über den Erdboden hin – und dann ist es vorbei.
Es war einmal eine Wildgans. Zur Herbstzeit gegen den Wegzug hin wurde sie auf einige zahme Gänse aufmerksam. Sie fasste Zuneigung zu ihnen, es deuchte sie jammerschade, von ihnen wegzufliegen, sie hoffte, sie für ihr Leben zu gewinnen, so dass sie sich entschlössen, mitzufolgen, wenn der Zug fortflöge.
Zu dem Zweck ließ sie sich auf jede Weise mit ihnen ein, versuchte sie zu locken, dass sie ein wenig höher stiegen und dann noch ein wenig höher im Flug, damit sie dann womöglich im Zuge mitfolgen könnten, erlöst von diesem elenden, mittelmäßigen Leben, auf Erden zu watscheln als ehrbare zahme Gänse.
Zu Anfang schien es den zahmen Gänsen, dies sei ganz unterhaltsam, sie hatten die Wildgans gern. Aber bald wurden sie ihrer überdrüssig, so gaben sie denn grobe Worte von sich, setzten sie zu Recht als eine fantastische Närrin ohne Erfahrung und ohne Weisheit. Ach, und die Wildgans hatte sich leider zu sehr mit den zahmen Gänsen eingelassen, sie hatten allmählich Macht über sie bekommen, so dass ihre Worte etwas für sie bedeuteten – und das Ende vom Liede war, dass die Wildgans eine zahme Gans wurde.
Man kann in gewissem Sinne sagen: Was die Wildgans wollte, sei hübsch gewesen, doch war es ein Missverständnis; denn – dies ist das Gesetz – eine zahme Gans wird niemals zur Wildgans, wohl aber kann eine Wildgans zur zahmen Gans werden.
Sollte deshalb auf irgendeine Art lobenswert sein, was die Wildgans tat, dann muss sie vor allem unbedingt auf eines achten: dass sie sich selbst hütet; sobald sie merkt, dass die zahmen Gänse auf irgendeine Weise Macht über sie bekommen – dann fort, fort mit dem Zug.
Das gilt für das Genie. Das Gesetz ist: Eine zahme Gans wird niemals zur Wildgans, hingegen kann wohl eine Wildgans zur zahmen werden – deshalb hüte dich!
Christlich ist es nicht ebenso. Gewiss ist der wahre Christ, über den der Geist herrscht, vom gewöhnlichen Menschen verschieden wie die Wildgans von den zahmen Gänsen. Aber das Christentum lehrt ja gerade, wozu ein Mensch im Leben werden kann. Hier ist also Hoffnung, dass eine zahme Gans zu einer Wildgans werden kann. Deshalb bleibe bei ihnen, diesen zahmen Gänsen, bleibe bei ihnen, nur mit dem einen beschäftigt, sie für die Verwandlung gewinnen zu wollen – aber um Gottes im Himmel willen achte auf eines: Sobald du merkst, dass die zahmen Gänse anfangen, Macht über dich zu bekommen, dann fort, auf und davon mit dem Zug, auf dass es nicht damit ende, dass du eine zahme Gans wirst, glücklich gemacht in der Jämmerlichkeit.
Wer selbst schon einmal in mittelgroßen bis großen Unternehmen versucht hat, etwas zu bewegen, kennt diesen Effekt. Es passiert schnell, dass man es sich bequem macht und aufhört, gegen den Strom zu schwimmen. Wurden die neuen Ideen anfänglich noch von Kolleg*innen, Chefinnen und Chefs wohlwollend aufgenommen, in verschiedenen Meetings diskutiert und viel Lob an die Innovativen verteilt, legt sich dies recht schnell. Innovative nerven und stören den gewohnten Gang. Lässt man sich von dieser Haltung einfangen, ist es vorbei mit der Innovation.
Kennen Sie das auch? Waren Sie als einer der Innovativen im Unternehmen selbst betroffen? Oder haben Sie diesen Effekt bei anderen beobachtet? Erzählen Sie gern davon, hier in den Kommentaren oder auf unseren Social Media Kanälen, z.B. auf LinkedIn.
Beitragsbild: Stockfoto – Aksenova Natalya/Shutterstock
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