Erlebnis-Einzelhandel bestimmt den Handel in 2025 (7)
Aktuelle Technologien haben die Art und Weise wie die Menschen einkaufen verändert. Denn mit den Technologien kaufen Kunden*innen wann immer sie wollen und sie kaufen was immer sie wollen. Hinzu kommt das ortsunabhängige Einkaufen. Das bedeutet in letzter Konsequenz ändert sich der Zweck des stationären Geschäftes. Früher war der stationäre Handel der Ort, um sich Produkte und Waren anzusehen und einzukaufen. Daher wird das Erlebnis und der Erlebniseinkauf zum wichtigsten Differenzierungskriterium für den stationären Handel gegenüber dem Online-Handel. Geschäfte sind bestrebt, ihren Kund*innen Dinge zu bieten, die sich nicht so einfach online abbilden und wiederholen lassen. Die Schaffung interessanter und ansprechender Erlebnisse steht ganz oben auf der Liste des erfolgreichen Einzelhandels. Der Erlebnis-Einzelhandel und Einkaufserlebnisse bestimmen den Handel und das Einkaufen in 2025.
Was ist Erlebnis-Einzelhandel?
Die Begriffe „Erlebnis-Einzelhandel“, „Erlebniseinkauf“ oder „experiental retail“ werden mittlerweile in verschiedenen Ausprägungen verwendet. Was bedeuten sie eigentlich? Hier sind die fünf Unterscheidungsmerkmale, die den Erlebnis-Einzelhandel vom traditionellen Einzelhandel unterscheiden:
1. Erlebnis-Einzelhandel schafft einzigartige und teilbare Erlebnisse für Kund*innen
2. Erlebnis-Einzelhandel stimuliert die Sinne der Kund*innen
3. Erlebnis-Einzelhandel befriedigt die Erwartungen der Kund*innen
4. Erlebnis-Einzelhandel bietet Dienstleistungen im stationären Geschäft
5. Erlebnis-Einzelhandel geht auf die Bedürfnisse der Kund*innen ein
Die genannten Merkmale charakterisieren den Erlebnis-Einzelhandel. Aber bei all diesen Merkmalen ist der Erlebnis-Einzelhandel nicht gleich dem Erlebnis-Einzelhandel. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen und Varianten.
Der Erlebnis-Einzelhandel schafft einzigartige und teilbare Erfahrungen
Geschäfte des Erlebnis-Einzelhandels bieten mehr als nur Produkte an. Denn sie tauchen die Kund*innen in die Welt der Marke oder in eine Kultur ein und zeigen, was sie einzigartig macht. Im Gegensatz zu den traditionellen Geschäften sind diese Geschäfte hochgradig kuratiert und legen Wert auf Kommunikation der Erlebnisse und Erfahrungen.
Erfolgreiche Marken wie Roots haben viel in die Entwicklung von Erlebnis-Stores in den Metropolen wie New York, Boston und Los Angeles investiert. Warum? Weil sicherlich dort die entsprechenden Kund*innen zu finden sind. Ein durchdachtes Shop-Design, das authentische Bilder anbietet, ist der Schlüssel zur Beherrschung benutzergenerierter Inhalte im Geschäft.
Ein weiteres Beispiel für ein erfolgreiches Geschäft des Erlebnis-Einzelhandels ist das Geschäft von Caspar in New York.
The Dreamery – Caspar in New York
New York, big Apple, ist die Stadt, die niemals schläft. Daher hilft Caspar den Menschen dort besser zu schlafen. Denn statt Matratzen im Geschäft zu verkaufen, können Kund*innen in einer privaten Schlafkapsel für 25 Dollar für 45 Minuten ein Nickerchen halten. Jede Kapsel verwendet eine Casper-Matratze, Laken und Kissen sowie ein voll ausgestattetes Badezimmer, um sich nach dem Mittagsschlaf zu erfrischen. Dort hat Casper die Mission des Unternehmens – mehr Menschen guten Schlaf zu verschaffen – in seinem Ladenkonzept umgesetzt. Und sie haben einen Raum geschaffen, der beruhigend und erholsam ist, aber auch den Geist der Marke hervorruft.
Pete Trentacoste von Casper beschreibt ihren Ansatz für den Erlebnis-Einzelhandel folgendermaßen: „We try to make the stores and the space itself beautiful and inspire good looking pictures, but we’ll never put a hashtag on the wall“. Umgesetzt ist dieser Ansatz in Casper’s New Yorker Erlebnis-Geschäft.
Der Erlebnis-Einzelhandel stimuliert die Sinne der Kund*innen
Ein weiterer Vorteil von stationären Geschäften ist, dass sie besser als jeder andere Einkaufskanal die fünf Sinne des Menschen aktivieren können. Sie bieten Möglichkeiten, emotionale Verbindungen zu den Kund*innen durch personalisierte und ansprechende Erlebnisse aufzubauen. Warum ist das wichtig?
Die Boston Consulting Group hat in einer Studie festgestellt, dass Marken, die sich auf Engagement und Personalisierung konzentrieren, ihren Umsatz um 6% bis 10% steigern. Der Einkauf in einem Geschäft wird nicht mehr von der Notwendigkeit bestimmt etwas zu kaufen. Es geht vielmehr um das Gefühl der Entdeckung und der Begeisterung, etwas Neues zu finden und zu erleben. In-Store Erfahrungen, die die Sinne eines Kunden aktivieren, führen zu einer stärkeren emotionalen Bindung an die Marke und ihre Produkte oder Dienstleistungen.
Lush – einzigartige Produktdarstellung und Einkaufserlebnis
Lush stellt frische und handgemachte Naturkosmetik her und verkauft diese in 936 Geschäften in 49 Ländern und auch online. Den Erlebnis-Einzelhandel betreibt Lush schon lange bevor er zu einem Schlagwort wurde.
Unabhängig vom Vertriebskanal legt Lush besonderen Wert auf ein einzigartiges Einkaufserlebnis für seine Besucher. In den Filialen ist es möglich alle Produkte auszuprobieren. Zudem werden die Geruchssinne durch einen starken Seifenduft aktiviert. Eine App soll das besondere Einkaufserlebnis des „Stöbern und Ausprobierens“ aufgreifen. Es besteht die Möglichkeit Produkte “nach Stimmung” zu erwerben. Dazu wurden Kategorien entsprechend unterschiedlicher Stimmungslagen wie z.B. „ruhig“ oder „glücklich“ erstellt. Außerdem bietet die App die Möglichkeit Zugang zu ausführlichen Informationen rund um die Inhaltsstoffe der Produkte zu bekommen.
Dazu müssen Kund*innen über bereitgestellte Mobiltelefone im Store nur ein Foto von dem eingepackten Produkt machen. In Großbritannien bietet die Marke einen “Lush Concierge-Service” an – einen sprachbasierten Einkaufsassistenten, dem Kund*innen Fragen zur Verfügbarkeit von Produkten oder zum Standort der nächsten Filiale, stellen können. Die Vermischung von In-Store- und Online-Erfahrung soll es Kund*innen leicht machen, vielfältig mit der Marke zu interagieren.
Der Erlebnis-Einzelhandel befriedigt die Erwartungen der Kund*innen
Im Laufe der Jahre wurden die Kund*innen darauf trainiert, bestimmte Dinge zu erwarten, wenn sie in einem Einzelhandelsgeschäft einkaufen, wie zum Beispiel Produkte, Preisschilder und eine elektronische Kasse. Demgegenüber konzentriert sich der Erlebnis-Einzelhandel auf andere Erwartungen.
Der Erlebnis-Einzelhandel schafft Räume, die gar nicht wie Geschäfte aussehen oder funktionieren. Er nutzt sie, um die Marke zum Leben zu erwecken. Jedes Geschäft wird mit einzigartigen Skulpturen und Installationen gefüllt. Die Menschen können die Geschäfte auch nur besuchen, um zu fotografieren oder zu erkunden, was sie wiederum mit der Marke vertraut macht. Sogar der Geruch und der Soundtrack sind an jedem Ort unterschiedlich, was den Besuch jedes Ladens zu einem Erlebnis macht. Indem sie sich von den Konventionen dessen lösen, was ein traditionelles Geschäft ist, können Marken den Kunden ein wirklich ansprechendes Erlebnis bieten, das sie zum Kauf anregt.
L’Occitane en Provence – Entdeckung von Geist und Schönheit
Das französische Kosmetikunternehmen L’Occitane en Provence, das für seine reichhaltige Handcreme, Hautpflege, Körperpflege und Düfte bekannt ist – hat ein Erlebnis-Einzelhandelsgeschäft an der berühmten 5th Avenue in New York. Dort erwartet die Kund*innen ein einzigartiges Geschäft, gefüllt mit endlosen Entdeckungen des Geistes und der Schönheit der Provence.
Von auffälligen Kunstform-Installationen über integrierte Lifestyle-Produkte bis hin zu erweiterten Fulfillment-Dienstleistungen ändert sich das Ambiente und die Atmosphäre des stationären Geschäftes ständig. Das Ziel ist immer aufs Neue, die Aufmerksamkeit der Verbraucher zu fesseln, das Engagement zu fördern und nutzergenerierte Inhalte für Social Media zu produzieren.
Beim Betreten des Geschäftes werden die Kund*innen von einer Reihe von Fahrrädern begrüßt, die sich vor einem Hintergrund befinden, der an die üppigen, gepflasterten Straßen der Provence erinnert. Der Raum dient auch als Rückzugsort von der sommerlichen Hitze – Besucher können sich an entspannenden Handmassagen und provenzalischen Leckereien erfreuen, personalisierte Souvenirs für diejenigen kreieren oder Artikel wie S’well Wasserflaschen kaufen.
Inszenieren von Veranstaltungen und Dienstleistungen im Geschäft
Real-Life-Räume eignen sich hervorragend für Verbindungen, Gespräche und Ideenaustausch, weshalb In-Store-Events zu einem großen Teil des Trends des Erlebnis-Einzelhandels geworden sind. Denn ihre Verkaufsfläche ist die ideale Bühne, um zu zeigen, worum es bei der Marke geht.
Tatsächlich sind die besten Events an die Identität der Marke gebunden, wie z.B. eine Buchhandlung, die Autorengespräche führt oder eine Sportmarke, bei der Top-Player auftauchen, um Autogramme zu geben. Sie fühlen sich wie eine authentische Erweiterung und helfen, ein Ökosystem um ein Unternehmen herum zu schaffen, anstatt wie ein offensichtlicher und gefälschter Versuch, eine Verbindung herzustellen. Ganz klar ist, Veranstaltungen geben den Kunden Anlass, außerhalb ihres normalen Kaufverhaltens vorbeizuschauen. Und sie helfen, stärkere Bindungen zu schaffen, die Ihre Marke im Gedächtnis behalten.
Erlebnis-Einzelhandel im Sport bei Nike in New York
Der Nike SoHo Flagship Store in New York ist ein solcher Store, der Veranstaltungen und Erlebnis im Geschäft organisiert. Denn er beinhaltet ein kleines Basketball-Feld, ein Laufband vor einen großen Bildschirm, der verschiedene Outdoor-Läufe simuliert und einen kleinen Fußballplatz. Zusätzlich können Kund*innen in einem Personalisierungsbereich ihre Nike Air Force 1s-Schuhe individualisieren. Die verschiedenen Räume ermöglichen es den Kund*innen, Produkte in ihrer Umgebung auszuprobieren, während sie gleichzeitig Spaß haben und sich mit anderen Kund*innen oder Beratern unterhalten, die ähnliche Interessen teilen.
Und die Kameras, die um den Basketball-Court platziert sind, zeichnen die Spielaktivitäten der Kund*innen aus verschiedenen Perspektiven auf. Das geschieht ebenso am Laufband. Die Filmsequenzen ermöglichen es den Nike-Mitarbeitern eine Analyse. So können sie die besten Nike-Schuhe den Kund*innen vorschlagen. Zusätzlich kann der Kunde das Filmmaterial auf seinem Online-Nike Account ansehen und über die sozialen Medien teilen.
Erlebnis-Yoga und Fitness bei Lululemon in Chicago
Auch Lululemons neuer Erlebnis-Store ist ein Erlebnis-Store und auch der größte des Händlers. Auf 1.800 Quadratmetern sind ein Restaurant, ein Yoga- und Meditationsraum und ein Anmelde- und Betreuungstheke untergebracht. Dort werden Meditationskurse und auch neuartige Yogakurse, wie hip-hop Yoga, angeboten. Zusätzlich geplant sind auch Filmvorschauen oder Konzertdarbietungen. Auf diese Weise unter den Kund*innen ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt. Weiterhin bieten sie auch die Möglichkeiten, die Artikel vor dem Kauf auszuprobieren und den Nutzen zu sehen.
An anderer Stelle habe ich schon einmal über Lululemons Store berichtet und geschrieben: „Customer Experience bei Lululemon durch innovative Store-Technik„.
Der Erlebnis-Einzelhandel geht auf die Bedürfnisse der Kund*innen ein
Darüber hinaus ist eine weitere Möglichkeit des Erlebnis-Einzelhandels ein erweitertes Angebot von verschiedensten Services für die Kund*innen. Einige Marken erforschen das Angebot zusätzlicher Dienstleistungen, die die Bedürfnisse der Kunden erfüllen, ohne tatsächlich einen Neukauf zu tätigen. Das ist wichtig, weil die meisten von uns nicht jeden Tag etwas Neues kaufen, besonders wenn der Lebenszyklus des Produkts lang ist. Denn in bestimmten Produktkategorien, wie z.B. der Elektronik, kann es zwischen den Einkäufen zu einer längeren Zwischenzeit kommen.
Daher spielen in diesem Produktsegment Reparatur-Services und Ersatzleistungen eine wichtige Rolle. Dienstleistungen bedeuten, dass die Beziehung nicht mit dem ersten Verkauf endet. Diese können persönliche Einkäufe, Schneiderei, Reinigung, Reparaturen, Schulungen und mehr umfassen. Nordstrom verfolgt diesen Ansatz mit seinen kleinen Nordstrom-Formaten, die als Click-and-Collect- und Servicezentren und nicht als vollwertige Geschäfte genutzt werden.
Auf die Bedeutung von Services in Welt des zukünftigen Einzelhandels wurde bereits im Beitrag „Showrooming, Abos und Services bestimmen den Handel in 2025 (6)“ eingegangen.
Retail-as-a-Service als Erlebnis – b8ta
Ansehen und Ausprobieren – Kaufen nicht unbedingt nötig. Mit diesem Slogan tritt b8ta (ausgesprochen: Beta) seit 2015 an, um Geschäfte zu schaffen, in denen Kund*innen die neuesten Produkte selbst ausprobieren können. Das Besondere an den Geschäften ist: Sie wirken wie Galerien. Auf Holztischen steht je ein Produkt. Produkte wie zum Beispiel drahtlose Lautsprecher, ein Saug-Roboter oder eine elektrische Zahnbürste. Das Sortiment ist ausgefallen. B8ta lädt Kund*innen dazu ein, nur zum Ansehen und Ausprobieren in die Geschäfte zu kommen. Viele Kund*innen kommen Abends vorbei, wenn Sie auf dem Weg zum Restaurant sind. Sie können sich dann die Produkte aussuchen und bestellen. Denn oft wollen sie nicht mit den Kartons oder Taschen aus dem Geschäft gehen.
Anders als ein traditioneller Einzelhändler lebt b8ta nicht vom Warenumsatz. Vielmehr werden Hersteller eingeladen, im Showroom ihre Produkte auszustellen. Dafür stellt b8ta den Raum und das Interieur sowie eine technische Ausstattung und Personal. Für diesen Retail-Service erhebt b8ta von den Herstellern eine monatliche Platzierungsgebühr, die pro laufenden Meter oder Tisch abgerechnet wird.
Zusätzlich sind alle Standorte mit hochauflösenden 3D-Kameras ausgestattet. Sie beobachten unentwegt, wie die Kunden mit den Produkten interagieren. Neben jedem Produkt liegt ein Tablet, über das sich die Kunden informieren können. Es ist sogar möglich, Preise zu vergleichen und Rezensionen zu lesen, ganz wie beim Onlineshopping. Auch Beratung gibt es. Mitarbeiter in schwarzen T-Shirts führen Beratungsgespräche. Nach jedem geben sie auf dem Tablet ein, was der Kunde wissen wollte und welche Kommentare er geäußert hat. Die Hersteller haben Zugang zu allen Daten und können live verfolgen, wie viele Kunden in welchem Laden Interesse an ihrem Produkt zeigen.
Über andere Retail-as-a-Service-Formate haben wir bereits umfassend in dem Beitrag „Retail-As-A-Service: Chance für stationäre Händler?“ berichtet.
Der Erlebnis-Einzelhandel bindet Kund*innen
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Erlebnis-Einzelhandel dem stationären Einzelhandel vielfältige Möglichkeiten bietet mit Kund*innen in Kontakt zu treten. Und zwar über den reinen Verkauf von Produkten hinaus. Wenn das In-Store-Erlebnis bei Kund*innen ankommt und deren Bedürfnisse über das Alleinstellungsmerkmal des Produktes hinaus erfüllt ist, wird die Kundenbindung verstärkt.
Als Ergebnis sind die Erfahrungen und Erlebnisse Beweggründe, warum Kund*innen ein Geschäft wieder besuchen. Ob es sich um Unterhaltung, soziale Interaktion, Entdeckung, Komfort oder etwas anderes handelt, der Einzelhändler muss in Zukunft etwas Besonderes bieten. Und darauf aufbauend das Erlebnis anbieten. Denn Menschen sind soziale Wesen. Sie suchen nach permanenter Belohnung und Erfüllung. Und das genau gibt ihnen der Erlebnis-Einzelhandel.
Weitere Beiträge zum Handel in 2025
Zu guter Letzt: Das Thema Handel in 2025 erscheint in einer Reihe von Artikeln. Diese beleuchten das Thema aus verschiedenen Perspektiven:
- Die Generationenlücke – Handel in 2025 (1)
- New Retail aus China – Handel in 2025 (2)
- Der Kunde bestimmt – Handel in 2025 (3)
- Mit allen fünf Sinnen Einkaufen – Handel in 2025 (4)
- Individualität und Nachhaltigkeit bestimmen den Handel in 2025 (5)
- Showrooming, Abos und Services bestimmen den Handel in 2025 (6)
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