Noch eine Zeitenwende: Muss sich der Bio Fachhandel neu aufstellen?
Nach deutlichen Umsatzrückgängen im 2022 stabilisiert sich der Umsatz mit Bio-Lebensmittel in 2023, jedoch inflationsbedingt mit einem deutlichen Mengenminus. Der Bio-Fachhandel verliert jedoch auch in 2023 deutlich Marktanteile und liegt bei ca. 30% (2021: 37%).
Bio mittlerweile überall Sortimentsbestandteil
Die Ursache liegt nicht nur in der inflationsbedingten Kaufzurückhaltung, sondern auch an den umfangreichen Bio-Aktivitäten der Discounter, Supermärkte und Drogerien. Der klassische LEH führt nicht nur zunehmend dieselben Sortimente wie der Bio-Fachhandel, sondern kann auch durch die Ausweitung der Bio-Handelsmarken dem Bio-Fachhandel Marktanteile abnehmen und liegt in 2023 bei ca. 70% Marktanteil am Bio-Umsatz. Prof. Stephan Rüschen hat gemeinsam mit Julia Schumacher die Studie ‚Zeitenwende im Bio-Fachhandel‘ als Whitepaper der DHBW Heilbronn veröffentlicht und ist der Überzeugung, dass der Bio-Fachhandel Gefahr läuft, in die Belanglosigkeit zu versinken.
Ein kostenloses Whitepaper zu dem Thema
Die beiden Autoren haben neben der Analyse von Daten und Fakten auch 13 Experten (Bio-Handel, Bio-Hersteller und LEH) zur Zukunft des Bio-Fachhandels befragt. Die Experten schätzen die Situation des Bio-Fachhandels als kritisch ein und empfehlen, den Bio-Fachhandel neu zu denken. Auf Basis der Interviews werden in dem Whitepaper drei Optionen aufgezeigt:
- Umstrukturierung des Bio-Fachhandels in ein Genossenschaftsmodell in Analogie zur Edeka und Rewe
- Bio-Fachhandel als Community-Modell, das die Kunden als Mitglieder und/oder Teilhaber einbindet. Ein solches Modell zielt auf die Zielgruppe, die Bio als eine Haltung mit entsprechenden Wertvorstellungen ansieht.
- Positionierung als Fachhandel mit gesunden und nachhaltigen Sortimenten. Bio ist ein wichtiger Bestandteil, aber nicht mehr zu 100%.
10 Thesen zur Entwicklung des Bio-Marktes
Das Autorenteam hat aber 10 Thesen entwickelt, wie sich der Bio-Markt zukünftig entwickeln sollte:
- Der Bio-Markt wird vermutlich auch noch die Jahre 2024-2026 mit den Folgen des Ukraine-Konfliktes (und weiteren Krisen) konfrontiert sein.
- Nachhaltigkeit bleibt für die Kunden ein relevantes Kaufkriterium und wird sich aufgrund der spürbaren Folgen des Klimawandels in 2-3 Jahren wieder verstärken.
- Der konventionelle LEH (Vollsortimenter, Discounter und Drogerien) wird weiterhin kontinuierlich an Marktanteilen gewinnen – vermutlich in größeren ‚Schritten‘ – und somit den Bio-Fachhandel weiter verdrängen.
- Handelsmarken haben im Bio-Markt eine überdurchschnittliche Bedeutung. Ein Bio-Händler benötigt daher ein kompetentes Bio-Handelsmarkensortiment.
- Die Fachhandelstreue von Bio-Markenartikelherstellern erodiert zunehmend und bietet somit dem Bio-Fachhandel nur noch eine geringe Differenzierungsmöglichkeit ggü. dem konventionellem LEH. Die Verbände (Naturland, Bioland, Demeter) sind schon längst nicht mehr fachhandelstreu.
- Der Biomarkt befindet sich seit 2022 in einem Konsolidierungsprozess, sowohl auf der Bio-Fachhandelsseite als auch bei den Bio-Herstellern. Zum einen ist mit einer Konzentration (Übernahmen) im Bereich der Bio-Supermärkte zur rechnen, zum anderen wird die Anzahl selbstständiger Naturkostfachgeschäfte und Bio-Markenhersteller zurückgehen.
- Der Bio-Fachhandel sollte seine Positionierung schärfen, um im Wettbewerb mit dem LEH langfristig bestehen zu können.
- Drei Differenzierungsansätze wurden aus den Experteninterviews gebildet:
- Umstrukturierung des Bio-Fachhandels auf ein genossenschaftliches ‚Edeka-Modell‘
- ‚Community-Ansatz‘ – Kunden als Teil des Bio-Ladens
- ‚Whole-Food Ansatz‘: Gesunde, natürliche und nachhaltige Lebensmittel (und nicht 100% Bio).
- Zur Erreichung des Zieles ‚30 Prozent Bio in 2030‘ sollte auch der Out-of-Home Markt deutlich intensivere Anstrengungen unternehmen.
- Die Zielsetzung ‚30 Prozent Bio-Anteil bis 2030‘ ist ohne Eingriffe (z. B. Senkung der MwSt.) und Unterstützung des Staates (z. B. Subventionssteuerung) nicht realistisch.
Das Whitepaper #27 der DHBW Heilbronn (53 Seiten, 39 Abbildungen) kann kostenlos HIER heruntergeladen werden.
Beitragsbild von Christine Sponchia auf Pixabay
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