[Glosse] Wir testen mal, was wir den Kunden noch zumuten können
Eines hat der Handel bis aufs feinste perfektioniert: Die internen Prozesse sind bis ins Detail durchoptimiert. Man tut alles, um es sich leicht zu machen. Selbst wenn man einen Irrweg geht.
Was können Kunden eigentlich aushalten?
Manchmal braucht man einen Blick von außen, um zu erkennen, dass man auf einem falschen Gleis abgebogen ist. Das fiel mir auf, als mir ein Video von Cynthia_87 in meiner sozialen Medien-Timeline auftauchte. Sie ist Amerikanerin, lebt in Deutschland und berichtet auf ihrem Kanal von den Besonderheiten in Deutschland speziell für ihre amerikanische Gefolgschaft. Sie berichtet von Fenstern, die man kippen kann und Läden, die Sonntags geschlossen sind. Was sie aber überhaupt nicht versteht: Dass man einen Euro Pfand für den Einkaufswagen bezahlen soll. Die Rückgabe wird so an den Kunden weitergegeben. Für sie ist es vollkommen unverständlich, das Kunden sich das bieten lassen. Es entsteht der Eindruck: Kunde, wenn du einen Wagen willst, hast du dich auch gefälligst darum zu kümmern, dass dieser auch wieder ordnungsgemäß abgestellt wird.
Wir können froh sein, dass der Gastro nicht ähnliches eingefallen ist: Am Eingang führt der Weg zuerst in die Küche, um sich mit Besteck, Teller und Glas zu bewaffnen. Gegen Pfand natürlich. Das bekommt man erst zurück, wenn man nach dem Menü die Gegenstände ordnungsgemäß in die Spülmaschine gestellt hat.
Merkt ihr selbst, oder?
Man bemüht sich, dem Kunden zweimal einen schlechten Eindruck zu liefern
Sicher kennt Ihr den Satz: „You will never get a second chance for the first impression“. Das gilt übrigens genau so für die „last impression“. Im echten Leben sieht das dann so aus:
Rheinland, ein großes SB Warenhaus, man fährt auf den Parkplatz. Es regnet Bindfäden. Jetzt heißt es: Einkaufswagen holen. Kein Kleingeld, man lebt ja im Zeitalter des kontaktlosen Bezahlens. Also durch den Regen 100m zum Laden gehen, Geld wechseln und dann zurück. Bevor man den Einkauf überhaupt beginnt, hat man den Kaffee auf.
Man lässt sich Zeit beim Einkaufen, der Laden ist schön und das Sortiment von 65.000 Artikeln ist klasse. Dann sind da noch Konzessionäre, man lässt sich gern noch die Haare schneiden. Schwupps, und schon hängt man in der Falle, denn man hat ein Schild übersehen:
Mehr Kundenabschreckung geht nicht
Natürlich weiß man, das Parkraum wertvoll ist. Keine Frage. Die Lösung dafür macht uns jedes Parkhaus vor: Ticket ziehen und vor der Ausfahrt die Nutzung bezahlen. Hat man eingekauft, gibt der Händler was dazu oder zahlt die Gebühren ganz. Das wurde lange Jahre so gemacht und braucht aber eines: Eine Parkraum-Infrastruktur. Irgendwann kam ein schlauer Fuchs auf die Idee, diese einzusparen und den gesamten Prozess den Kunden bezahlen zu lassen.
Das lagert man am Besten an Dienstleister aus, die natürlich hohe Kosten generieren: Eine Unternehmen, das eine KI gestützte Kamera-Infrastruktur betreibt, registriert die Nummernschilder und damit die Aufenthaltsdauer auf dem Parkplatz. Diese Daten werden an den Parkraum Dienstleister übergeben, die dann das Inkasso übernehmen. In unserem Falle sind dann 30 Euro Strafe für den aufgeblähten Prozess fällig. Vorteil für den Händler: Er hat nichts damit zu tun und der Parkplatz bleibt frei – und das um jeden Preis.
Der Handel ist fein raus
Denkt er, denn er ist ja nicht der Absender der Strafe. Die Kunden sehen das aber anders: „Ich habe beim XY-Supermarkt ein Knöllchen bekommen!“
Ich erlaube mir jetzt einen anderen Blick:
- Die Expansionsabteilung hat diesen Standort mit viel Aufwand evaluiert und baulich hergerichtet
- Die Ladenbauer haben mehrere Millionen in die Hand genommen, um einen sogn. dritten Ort zu schaffen, der eine hohe Frequenz und Aufenthaltsdauer gewährleistet.
- Das Personal wurde tipptopp ausgebildet, um die Kunden maximal zufrieden zu stellen und freundlich zu bedienen
- Die Checkout Zone wurde optimal auf die Kundenfrequenz eingestellt: 3 Kassenszenarien bieten besten Service und wenig Kassenschlangen.
Diese ganzen Bemühungen sind wertlos, das Investment verpulvert, wenn der Kunde nach 2 Wochen das Knöllchen erhält. Sorry, aber du hast eben zu viel Zeit in unserem Laden verbracht. Danke für den Umsatz, der Rest ist uns egal.
Gelerntes wird damit konterkariert
Seit jeher ist dem Handel klar, das zwischen Aufenthaltsdauer und Umsatz ein direkter Zusammenhang besteht: Je Länger der Kunde im Laden ist, desto höher ist der Bon. Warum will man den Kunden dann nach einer bestimmten Zeit aus den Laden jagen? Das versteht keiner mehr!
Ein starker Eingriff in die Datensouveränität der Kunden
Der Handel erlaubt einen Dienstleister, die Bewegungsdaten der Kunden festzuhalten. Es werden Bilder angefertigt, die personalisierte Daten enthalten und irgendwo im großen Internet nicht nur transportiert, sondern auch gespeichert werden. Angeblich wird nur das Kennzeichen festgehalten und sonst nichts. Wer sich aber mit der Kameratechnik auskennt, der weiß, dass dieses ohne die Aufnahme der fahrenden Person nicht möglich ist.
Marketing Aufwände werden auf einen Schlag vernichtet
Noch unverständlicher wird die Maßnahme, wenn man sie unter dem Aspekt der Shopper Journey ansieht. Fangen wir mal an:
Das Marketingteam entwickelt mit einer Agentur eine super Kampagne, die für einen Millionen-Aufwand im TV ausgespielt wird. Flankiert wird sie durch entsprechenden Einsatz in sozialen Medien mit tollen Influencern. Für die ganz traditionellen Käufer werden Millionen Handzettel gedruckt und für viel Geld über Tageszeitungen und Anzeigenblätter verteilt.
Alles in allem treibt jedes Handelsunternehmen einen riesigen Aufwand, um einen Platz auf dem Radarschirm der Kunden zu bekommen mit dem Ziel, ihn zu aktivieren. Es geht schließlich darum, dass er sich für das richtige Handelsformat entscheidet.
Diese Aufwände haben bei unserem Beispielkunden, nennen wir ihn Manfred, Akzeptanz gefunden. Er setzt sich in sein Auto, fährt zum Supermarkt und kommt dann unweigerlich in Berührung mit den Tricks der Parkraumdienstleister-Juristen. Die haben schlauerweise bestimmt, dass, wenn man auf den Parkplatz einfährt, ein Vertragsverhältnis mit ihnen eingeht und den AGB´s sowie den Datenschutzhinweisen zustimmt. Dazu habe sie diese in Schriftgröße 10 an der Einfahrt ausgehängt (was man natürlich normalerweise in den 2 Sekunden des Vorbeifahrens nicht sieht).
Nicht so Manfred, der sich das Ganze ansieht und abgeschreckt wird:
- Das Juristendeutsch und die genannten Paragrafen versteht er nicht
- Er will sich für den Wocheneinkauf mehr Zeit nehmen als 2 Stunden
- Das Risiko, 30Euro Parkgebühren für evtl 2 ½ Stunden zu bezahlen, ist ihm zu hoch
- Er will sich nicht filmen lassen und weiß auch nicht, wo das alles gespeichert wird
Generell ist der ganze Prozess sehr komplex und unverständlich. Ihm geht es nur darum, einfach nur sein Auto abzustellen, um sein Geld bei dem Händler zu lassen. Also dreht er um und fährt zum Wettbewerb, damit sind die Marketing Aufwände für diesen Kunden verschwendetes Geld. Alle kämpfen darum, den Kunden zu begeistern und in seine Läden zu ziehen, um die individuelle Leistungsfähigkeit aufzuzeigen. Das scheitert dann an einem vollkommen bescheuerten Konzept, den Parkraum effizienter zu nutzen.
Handel, für diese Einsparung dreht ihr ein ganz schön großes Rad. Wollt ihr das wirklich? Nicht euer Ernst!
Die Lösung kann so einfach sein
Zukunft des Einkaufens kritisiert nichts, ohne einen Alternativvorschlag vorzuschlage. Die Lösung besteht nicht nur aus der Beseitigung des Parkproblems, sondern verbessert auch die Kundenbindung: Die Kunden App der Supermarktbetreiber! In der App werden in den Kundendaten die Kennzeichen des Fahrzeugs gespeichert. Wenn der Kunde an der Kasse seine App scannen lässt, weiß der Händler, wer wann dort mit welchem Fahrzeug eingekauft hat. Diese Daten können an den Parkdienstleister übergeben werden, der diese Informationen mit seinen Parkdaten abgleicht.
Das motiviert die Kunden, die App zu nutzen und bietet dem Handel die Möglichkeit, neue Mehrwerte zur Verfügung zu stellen. So wird ein Problem zu einem Potenzial für Kundenbindung. Geht doch.
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