Shopping-Center: Liebling, wir haben den Kunden vergessen.
Der Boom der Shopping-Center ist vorbei. Mit gut 480 Objekten ist der Zenit erreicht. Die magische 500er-Marke wird wohl nicht mehr übertroffen werden. Mit dem Ende des Booms beginnt die Konsolidierung und damit der Wettbewerb der Standorte, den – das scheint fast sicher – nicht alle Center überleben werden. Der Retail wird nicht sterben, natürlich nicht, aber zu viel Verkaufsfläche haben wir allemal. Zunehmende Leerstände, sinkende Flächennachfrage. Das Schreckenszenario der Vermieter, der Mietermarkt, ist lange Realität.
Radikal neu denken
Die Branche bewahrt nach außen Ruhe, muss aber im Inneren radikal umdenken. Frequenzen und Umsätze kommen nicht mehr von allein. Einfach nur ein Shopping-Center zu sein, reicht nicht mehr. Wer dem Online-Kauf keine Argumente, keine Positionierung, kein Erlebnis entgegensetzen kann, wird sich an deutlich geringere Kundenzahlen gewöhnen müssen.
Wer als Center-Investor noch hofft, ohne signifikante Investitionen in Mietermix, Aufenthaltsqualität, Serviceleistungen sichere Renditen einzusammeln, unterliegt einem gefährlichen Trugschluss. Und wer glaubt, mit ein paar innovativen Ideen, ein bisschen Digitalisierung und drei zusätzlichen Cafébars wird schon nichts anbrennen, hämmert bereitwillig die ersten Nägel in den Sarg.
Center sind nicht besonders genug
Komplexe Probleme lassen sich nicht mit einfachen Rezepten lösen. Und die Lage ist sehr komplex. Frequenzschwund, die Krise der Mainstream-Mode-Konzepte, Expansionsstopp hochwertiger Textilgroßflächen, Mietmodelle und Vertragslaufzeiten sind unter Druck. Die Zaubertrank-Formel für den Branchenmix funktioniert nicht mehr, die traditionellen Zutaten sind plötzlich rar. Vielen rendite-optimierten Centern der 2000er Jahre fehlen Identität, Ideen und Inspiration. Viele Center aus den 90ern sind outdated.
Warum ein Shopping-Center betreten, wenn es im Ladenbesatz maximal die Einkaufsstraße spiegelt, die Atmosphäre den Besucher nicht spontan beglückt? Wenn sich das Gefühl der Selbstbelohnung nicht einstellt, weil der Ort nicht besonders genug ist?
Liebesentzug für Shopping-Center
Shopping-Center waren über 20 Jahre lang die vielleicht erfolgreichste Vertriebsform im Einzelhandel. Sie haben in dieser Zeit Rekordrenditen eingefahren. Marketingbudgets wurden reduziert, Nebenkosten optimiert. Die aktuellen Entwicklungen im Handel und das geänderte Nutzerverhalten gefährden aber ihr robustes, mietenbasiertes Geschäftsmodell.
Heute ist das Mietniveau auf einem so hohen Niveau, dass rentable Investitionen kaum mehr denkbar erscheinen. Immobilienfonds, die ihren Anlegern Jahr für Jahr sichere Renditen versprechen wollen, ziehen sich aus reinen Retailobjekten zunehmend zurück. Shopping Center leiden unter Liebesentzug. Wohn- und Gewerbeimmobilien locken aktuell mit der höheren Mitgift.
Die langjährigen Cash Cows müssen dringend wieder auf die Weide, damit sie langfristig überleben können. Ihre Eigentümer sollten ihnen jetzt Frischzellenkuren verpassen, wenn sie nicht mittelfristig signifikante Wertverluste realisieren wollen.
Ein neues Rollenverständnis
Dazu braucht es mehr als neue Sitzgelegenheiten, Primark, eine App und eine neue Fassade. Es braucht den gedanklichen Neustart, eine Langzeitstrategie, eine klare Positionierung und oftmals ein anderes Rollenverständnis der Center am Standort. Die von Städten lange geforderte harmonische Integration in Umfeldstrukturen muss endlich verbessert werden. Center müssen ihre abgeschotteten Fassaden öffnen, authentisch auf Augenhöhe mit Nachbarnutzungen agieren.
Ärztezentren, soziale und Familienangebote, daily leisure und Community dürfen nicht als notwendiges Übel und Flächenfüller verstanden werden, sondern als wertvolle Puzzlestücke, die den Standort für Kunden immer wieder besuchenswert machen.
Center müssen endlich zu Marken werden, müssen Produkt und Kommunikation in Einklang bringen, müssen eine Story erzählen, die sich nicht ausschließlich auf die Vermietungsnachfrage und die Soziodemographie im Einzugsgebiet stützt und die für Endkunden, Mieter, Städte und Investoren identisch ist. Sie müssen in sich konsistente Produkte sein, die allen Stakeholdern die gleichen Werte vermitteln.
Mehr „Wow!“
Sie müssen ihr Leistungsangebot erweitern und Zusatznutzen schaffen. Sich vielleicht auch einmal lösen von der Kaufhausarchitektur. Während eines normalen Shopping-Center-Refurbishment-Zyklus ändern viele Einzelhändler mehr als dreimal Ihr Ladenbaukonzept. Da ist die Neuausstattung von Verweilzonen, wie sie in Shopping-Centern gerade allerorts passiert, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Natürlich ist es schön, wenn man plötzlich in bequemen Polstersesseln sitzt, sein Handy aufladen kann und auch noch eine Steckdose hat, aber ist das nicht bloß der Flughafenlounge-Standard von vor zehn Jahren? Braucht es nicht vielmehr die Möglichkeit, signifikante Mallbereiche flexibel und schnell verändern zu können? Braucht es im schnelllebigen Retail nicht mehr Bühnenbau, mehr Inszenierung, mehr „WOW“, um einen relevanten Third Place zu kreieren?
Das Bikini in Berlin ist ein beachtenswerter Best Case für Shopping-Center.
Investoren gefordert
Die Investoren sind jetzt gefragt. Verkaufen wird zunehmend zur schlechteren Option, der Markt wird weiter geflutet werden mit überbewerteten Objekten und die Center-Standorte sind in der Regel gut und entwicklungsfähig. Löst Eure Rückstellungen auf und führt Eure Objekte in eine erfolgreiche Zukunft. Nehmt dabei nicht nur die Einzelhändler in die Pflicht, die haben ihre eigenen Themen zu lösen.
Kundenbindung als Erfolgsfaktor
Und noch kann man in den Centern auf eine starke Hausmacht bauen. Viele Center haben sehr hohe Stammkundenanteile, oft sind es mehr als zwei Drittel aller Besucher. Kunden, die in zweiter und dritter Generation im gleichen Center shoppen, die sich gar nicht umorientieren wollen, es aber tun werden, wenn sich das Angebot im Center kontinuierlich verschlechtert.
Der Kundenbindung, das müssen die Betreiber endlich erkennen, kommt im umkämpften, schrumpfenden stationären Retail eine herausragende Bedeutung zu. Es lohnt sich jetzt anzuschauen, wie Loyalität auf Plattformen wie Instagram, Snapchat oder Fortnite funktioniert und diese auf den stationären Retail zu übersetzen, damit Generationen, die sich nicht mehr über Gutscheinprogramme, Rabattkarten und Angebotsflyer aktivieren lassen, ihre Freizeit dort verbringen.
Mathias Sander, 47, ist Director Leasing Strategy & Brand Cooperation bei der Dan Pearlman Group in Berlin und zuständig für Kunden aus den Bereichen Retail und Real Estate. Davor war der Shopping-Center-Experte über 20 Jahre bei der ECE Projektmanagement GmbH, verantwortete dort als Marketing-Direktor zentralseitig das B2C-Marketing der Center und baute das gesamte Netz der Center zu einer überaus erfolgreichen nationalen Vermarktungsplattform von Werbe- und Mallflächen auf und aus.
Beitragsbilder: Bikini Berlin
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