Mit allen fünf Sinnen Einkaufen – Handel in 2025 (4)
Stationäre Einzelhändler diskutieren schon einigen Jahr über den traurigen Zustand und den Rückgang des stationären Handels. Einvernehmlich machen sie den Online-Handel dafür verantwortlich. Ob der stetig anwachsende Online-Handel am Sterben der Innenstadtgeschäfte schuld ist bleibt zu beweisen. Doch eins ist sicher: Der stationäre Handel muss sich verändern und an neue Kundengenerationen und -typen und sich wechselnde Kundenbedürfnisse anpassen. Darüber hinaus ist es auch besonders essentiell, das der stationäre Handel seinen wichtigsten, ihm zur Verfügung stehenden Wettbewerbsvorteil, ausspielt. Etwas, was den stationären Handel vom Online-Handel unterscheidet, nämlich die Fähigkeiten und Möglichkeiten, das die Kunden*innen Einkaufserlebnisse mit ihren fünf Sinnen erfassen: Mit allen fünf Sinnen Einkaufen – Handel 2025 (Multisensorik).
Multisensorik im stationären Einzelhandel
Die entscheidende Frage ist in Zukunft die: Wie kann der stationäre Handel die Lebensqualität, den geschäftlichen Erfolg, das Erlebnis der Kunden*innen steigern? Die Multisensorik spielt dabei eine wesentliche, aber zur Zeit bislang stark unterschätzte Rolle. Die fünf menschlichen Sinne sind von entscheidender Bedeutung für die Erfahrung des Einzelnen mit unterschiedlichen Kauf- und Konsumprozessen.
Zukunft des Einkaufens hat bereits in Beiträgen die Multisensorik behandelt: Die 3 Basics beim Einsatz von Multisensorik am POS.
Digitalisierung lässt sich nicht aufhalten
Daneben ist auch die Digitalisierung jetzt im Handel angekommen. Aufhalten lässt sie sich nicht. Online einkaufen, Preisvergleiche über das Internet, Prüfung der Artikelverfügbarkeit, welches Gerät ist für meine Zwecke am besten, und viele Dinge mehr. Alle diese Tätigkeiten werden heute schon über das Internet und digitalen Geräten wie Mobiltelefonen abgewickelt. Software und Anwendungen regieren die Welt, auch den Handel.
Erlebnis: Mit allen fünf Sinnen Einkaufen
In der Zukunft wird der Erlebniseinkauf im stationären Handel dominieren. Denn bei allem automatisierten Prozessen, dem Einkaufen über das Mobiltelefon oder andere digitale Geräte: Das Erlebnis, die Überraschung und Emotionen kommen zu kurz. Wir kennen es aus der Marketingkommunikation, auch im Zeitalter der Digitalisierung. Die Kommunikation ist vor allem sinnlich, berührend, verspielt und auch menschlich. Der Einzelhandel kann davon profitieren, Markenerlebnisse und -Markenkommunikation mit allen Sinnen aufzubauen.
Aktuelle Defizite in der Multisensorik
Allerdings ist bis heute kein stationärer Einzelhändler bekannt, der es geschafft hat, alle Sinne auf eine wirklich einzigartige und personalisierte Weise zu inszenieren. Anstatt alle fünf Sinne anzusprechen, haben sich die Einzelhändler eher auf einen, wie den visuellen konzentriert. Oder auf einen zweiten, indem sie Duft oder Musik hinzugefügt haben. Die gute Nachricht dazu ist, dass es noch eine Menge zukünftiger Möglichkeiten in diesem Bereich gibt. Angestrebt werden sollte eine zusammenhängende Markengeschichte mit allen fünf Sinnen zu erzählen.
Markenbotschaft kommunizieren: Mit allen fünf Sinnen Einkaufen
Stationäre Einzelhändler sollten zunächst einen Schritt zurücktreten und prüfen und beurteilen, was ihre Marke letztendlich bedeutet. Anschließend ist zu konzipieren, wie die konsequent über alle fünf Sinne kommunizieren kann. Eine solche Botschaft kann die Marke in den Erinnerungen der Kunden verankern, weil Marken im emotionalen Raum operieren. Der Schlüssel liegt darin, multisensorische Erfahrungen aufzubauen, die eine emotionale Reaktion auslösen. Und zwar bevor die bewussten, kognitiven und rationalen Teile des Gehirns einsetzen und bevor gekauft wird.
Ladenatmosphäre gestalten: Mit allen fünf Sinnen Einkaufen
Für stationäre Einzelhändler sollte eine visuell dominante Ladenatmosphäre eher in Richtung einer multisensorischen Atmosphäre gestaltet werden, um den Käufern attraktivere Erfahrungen mit dem Umfeld des Einzelhandels zu bieten. Forschungen zeigen, dass die Käufer*innen, die im Geschäft mit allen fünf Sinnen angesprochen werden, dort mehr Zeit verbringen und eher einkaufen.
In einem anderen Beitrag haben wir dieses Thema schon einmal thematisiert: Einkaufsatmosphäre (1): Ladengestaltung, Produktpräsentation und Menschen.
Multisensorik: Visuelle Sinne ansprechen
Der visuelle Sinn ist bei weitem derjenige, den der stationäre Handel in Bezug auf Design, Farbe, Stil und Beleuchtung am häufigsten aktiviert. Beim Sehsinn geht es primär um Farbe, aber auch um Strukturen oder bei einer Website um bewegte oder unbewegte Bilder, Bildqualität, Farbsättigung und Farbton. Aber es kann trotzdem unwirksam genutzt werden, wenn die visuellen Hinweise und Hinweise im Geschäft nicht auf die abgestimmt sind, die die Kunden am effektivsten ansprechen.
Allerdings gibt es auch positive Beispiele: Versace setzt konsequent auf helle und kräftige Farben um eine selbstbewusste und extrovertierte Persönlichkeit zu vermitteln. Armani verfolgt einen raffinierteren, unaufdringlicheren und zeitlosen Ansatz. Der Juwelier Hearts on Fire hingegen ist dunkel und geheimnisvoll mit Scheinwerfern, die auf wandmontierte Vitrinen gerichtet sind, die das Funkeln und Feuer des Diamanten verstärken.
Einer der wichtigsten visuellen Hinweise, die die meisten stationären Einzelhändler ignorieren, ist, wenn zu viele Produkte ausgestellt sind. Dabei werden Produkte meist übersehen und den Käufern*innen nichts geboten, das sie wirklich ansehen und genießen können. Die Konsistenz der visuellen Umsetzung ist entscheidend und dies zeigt sich bei Marken vom Produktdesign über Visual Merchandising bis hin zum gesamten Ladenerlebnis.
Anfassen, Fühlen und Ausprobieren: Mit allen fünf Sinnen Einkaufen
Das haptische oder taktile, den Tastsinn betreffende Erlebnis des Einkaufens ist die meisten Kunden*innen ein wichtiger Anreiz. Etwa 50% der Kunden*innen sind vom Online-Shopping abgehalten, weil sie das nicht können. Und es trägt sicherlich zu der großen Zahl von Retouren bei, mit denen E-Commerce-Händler konfrontiert sind. Je mehr Menschen beim Einkaufen Produkte berühren, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie dabei auch mehr Geld ausgeben. Die Psychologie dahinter nennt das den „Stiftungseffekt“, bei dem die Menschen die Dinge, die sie besitzen, mehr schätzen und die Berührung eines Produkts im Geschäft dazu führt, dass sie dieses Gefühl der Eigenverantwortung verspüren.
Nicht nur das, sondern auch das Berühren von etwas kann andere Sinne im Einkaufserlebnis aktivieren. Die Haptik einer legendären Coca-Cola-Flasche erinnert an den Geschmack von Cola. Ebenso lädt der körperförmige Flakon des Parfums Jean Paul Gaultier zum Anfassen ein, da er konsequent zur Persönlichkeit dieser sinnlichen, hochsexualisierten Marke passt. Einmal in der Hand, ein Spritzer des Parfums am Handgelenk, besiegelt den Deal, indem er den Geruchssinn aktiviert.
Multisensorik: Geruch
Geruch ist der einzige Sinn, der eine direkte Verbindung zum limbischen Teil des Gehirns hat und sich mit Emotionen beschäftigt. So können Erinnerungen geweckt werden, die mit einer Emotion verbunden sind. Im Handel finden wir den Umgebungsduft, den Produktduft oder auch zufällige Düfte.
Starbucks ist ein typisches Beispiel, wo Duft und Kaffeearoma in den Filialen, eingesetzt wird, um die Kunden*innen zum Bleiben und Verzehr von verschiedenen Kaffeeangeboten zu animieren. Auch Parfüm wird vielerorts eingesetzt, um ein Markenerlebnis zu schaffen und die Markengeschichte zu untermauern. ScentAir, ein Unternehmen, das Duftmarketingdienstleistungen für Einzelhändler bereitstellt arbeitet für Marken und Einzelhändler wie Under Armour, Ashley Furniture und Piaget anbietet. Sie werben mit dem Slogan: Wenn Sie möchten, dass Kunden in Ihrem Geschäft bleiben und auch wiederkommen, müssen Sie ihnen etwas geben, woran sie sich erinnern können.
Multisensorik: Sound und Musik
Auch die richtige Musik im stationären Einzelhandel beeinflusst Gedächtnis, Emotion und Bewegung. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Musik – wie sie in Handelsumgebungen üblicherweise gespielt wird – die haptische Wahrnehmung von Konsumenten beeinflussen kann. Bei auditiven Wahrnehmungen kann man Marken-Jingles, den Umgebungsklang oder den Klang, wie die Zimmertür zufällt, differenzieren.
So aktivieren Wrangler Jeans positive Gefühle im Zusammenhang mit Country-Musik, indem sie Musikvideos im Shop präsentieren. Eine weitere Marke, die den Sound strategisch aktiviert, ist Burberry. Burberry Acoustic ermöglicht es aufstrebenden Bands, ihre Musik online oder in Burberry Stores zu präsentieren.
Multisensorik – die analoge Verbindung in der digitalen Welt
Der stationäre Einzelhandel muss in Zukunft alle fünf Sinne ihrer Kunden*innen ansprechen. Die wahre Kunst besteht darin, wenn man Markenerlebnisse schafft, und multisensorische Einsätze inszeniert, die eine Reihe von Sinnen ansprechen. Aus der hohen Komplexität des Zusammenspiels mehrerer Sinne ergibt sich dabei für Unternehmen die große Herausforderung, die Wirkungsweisen des multisensorischen Marketing zu verstehen. Per se kommt es sicher auf den Kontext an, welche Sinne am stärksten wirken, das lässt sich nicht generalisieren. Im Lebensmittel-Bereich ist Geschmack und Geruch ausschlaggebend, bei manchen Produkten im Handel ist der Duft stärker im Vordergrund, bei anderen wiederum ist es eine Frage der richtigen Beleuchtung. Und wieder bei anderen ist es der auditive Sinn, der die Entscheidung antreibt: hört der Kunde französische Musik, kauft er eher französischen Wein als italienischen.
Relevanz der Multisensorik wird zunehmen
Die Ergebnisse der Multisensorik werden Einzelhandelserfahrungen generieren, die einen Mehrwert liefern, der für Konkurrenten schwer nachzubilden ist, und vor allem für die digitalen. Multiple sensorische Erlebnisse sorgen für mehr Aufmerksamkeit, für einen höheren Erinnerungswert und für ein schnelleres Wiedererkennen. Sie sind für Wiederholungskäufe geradezu prädestiniert. Zusätzlich kann man sich mit Multisensorik besser vom Wettbewerb differenzieren.
Die digitale Welt und digital erfüllt die rationaleren Bedürfnisse: schneller und einfacher und die Menschen behalten die Kontrolle. Aber Menschen benötigen auch Emotionen und Erlebnisse, die in der Regel nicht durch die digitalen Erfahrungen gedeckt werden. Sie benötigen zwischenmenschliche Erlebnisse, wirkliche Interaktionen und eben sensorisches Erleben. Um das auszugleichen, suchen der Mensch heute und in der Zukunft das Analoge.
Die Relevanz des Themas wird zunehmen, und zwar nicht nur im stationären Einzelhandel, sondern in vielen weiteren Servicebereichen. Viele Menschen wissen nur nicht, wie sie sensorische Erlebnisse wahrnehmen können oder achten nicht darauf. Doch erste Tendenzen zeigen, dass sich Menschen wieder mit der realen Umwelt verbinden möchten.
Weitere Beiträge zum Handel in 2025
Das Thema Handel in 2025 erscheint in einer Reihe von Artikeln. Sie beleuchten das Thema aus verschiedenen Perspektiven:
- Die Generationenlücke – Handel in 2025 (1)
- New Retail aus China – Handel in 2025 (2)
- Der Kunde bestimmt – Handel in 2025 (3)
- Individualität und Nachhaltigkeit bestimmen den Handel in 2025 (5)
- Showrooming, Abos und Services bestimmen den Handel in 2025 (6)
- Erlebnis-Einzelhandel bestimmt den Handel in 2025 (7)
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