Statusbericht: Welchen Effekt haben Inflation & Co auf den Lebensmittelhandel
Nach den guten Jahren während der Pandemie für den Lebensmitteleinzelhandel setzt die Inflation den Handel derzeit massiv unter Druck.
Während der pandemiebedingten Lockdowns gab es für die Konsumenten nur wenige Möglichkeiten, das verfügbare Einkommen abseits des Internets auszugeben und sich mal was Gutes zu tun. Die meisten Einzelhändler und die Gastronomie waren geschlossen, Reisen war auch keine Option: So wurde der Gang in den Supermarkt für viele zum Highlight des Tages.
Die Kunden kauften während dieser Zeit deutlich mehr und hochpreisiger Produkte als vor
Corona. Hiervon profitierten Lebensmitteleinzelhändler wie EDEKA und REWE, sowie vor allem die Biomärkte.
Die fetten Jahre sind vorbei!
Mit dem Ende der langen Lockdowns, dem Beginn des Ukrainekonflikts und dem rasanten Anstieg der Inflation änderte sich die Situation für den Lebensmitteleinzelhandel komplett. Menschen, die vorher auf Bioprodukte umgestiegen waren, achten wieder vermehrt auf die Preise, kaufen konventionelle Ware und günstige Eigenmarken, suchen nach Sonderangeboten bzw. verlagern ihren Lebensmitteleinkauf teilweise sogar in den Discounter. Durch das Öffnen der Gastronomie kaufen die Kunden zudem generell weniger Lebensmittel im Lebensmitteleinzelhandel als während der Pandemie.
Die Auswirkungen dieses drastisch veränderten Kaufverhaltens schlägt sich mittlerweile sichtbar in den Zahlen der Händler nieder. Der Umsatz der Biomärkte sank in den letzten Monaten um ca. 13%. Rechnet man die Inflation ein, dann liegt der Umsatzrückgang sogar bei über 20%. Es ist also nicht verwunderlich, dass mit SuperBioMarkt die erste Biomarktkette bereits Insolvenz anmelden musste.
Den Vollsortimentern geht es aber kaum besser. Einer der größten deutschen Lebensmitteleinzelhändler konnte zwar einen Umsatzanstieg von 2% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verzeichnen, inflationsbereinigt ist das allerdings ebenfalls ein Umsatzrückgang von ca. 6%.
Zudem sinken die Margen im LEH massiv. Der Rohertrag einer durchschnittlichen Supermarktfiliale sank in den letzten Monaten von 32% auf ca. 27%. Gleichzeitig steigen die Kosten der Händler deutlich. Die EDEKA zum Beispiel ist nicht nur Händler, sondern agiert auch als Energieversorger für Ihre Kaufleute und Genossen. Altverträge der EDEKA sichern ihren Abnehmern einen Energiepreis von teils 7 ct/kWh zu. Neuverträge bietet die EDEKA mittlerweile für 69 ct/kWh an. Für eine durchschnittliche EDEKA-Filiale bedeutet das einen Kostenanstieg für Strom und Gas von 10.000 Euro zu ca. 100.000 pro Euro Monat. Analog zu den meisten anderen Branchen wird der Ruf nach höheren Gehältern seitens der Mitarbeiter auch lauter und seit dem 01. Oktober ist ja auch der Mindestlohn auf 12 Euro gestiegen.
Was macht der Handel?
Die großen Händler versuchen diese Situation zu lösen, indem sie ihre Marktmacht nutzen, um bessere Konditionen mit den Herstellern zu verhandeln. Diese Verhandlungen, insbesondere mit den größeren Markenherstellern, führen zurzeit immer wieder zu Konfliktsituationen zwischen den Parteien bis hin zur vorübergehenden Auslistung bekannter Marken. So stellte beispielsweise der Mars-Konzern vor Kurzem die Belieferung der Handelsriesen EDEKA und REWE komplett ein.
Die Händler reagieren aber nicht nur auf der Einkaufsseite, sondern auch auf der Einnahmenseite. Jeder von uns hat in der letzten Zeit festgestellt, dass die Preise für Dinge des alltäglichen Bedarfs gestiegen sind. Den höchsten Preisanstieg verzeichnen allerdings die Eigenmarken der Händler selbst. Der Handel verkleinert hierdurch die Preislücke der als günstig geltenden Eigenmarke zum Markenhersteller.
Unterschiedliche Strategien der Konsumgüterhersteller
Die Hersteller ihrerseits sind ebenfalls von der Inflation und den damit verbundenen Kostensteigerungen im Einkauf betroffen. Allerdings variiert das Ausmaß des Anstiegs der Rohstoffpreise je nach Branche des Herstellers massiv. So stiegen die Rohstoffpreise Kaffeeröster um 44% aber die der Safthersteller teils nur um weniger als 3%. Alle Hersteller sind allerdings gleichermaßen von den gestiegenen Energiekosten und den teils deutlich höheren Verpackungspreisen betroffen. Wir beobachten zum Beispiel eine Verdreifachung der Kosten für nachhaltige Verpackungen wie Glas. Unsere Kunden berichten aber auch bei anderen Verpackungsmaterialien über Kostensteigerungen von deutlich über 100%.
Die Hersteller versuchen diese Kostensteigerung ihrerseits an die Händler weiterzugeben. Dies gelingt kleinen Herstellern, ohne Zentrallistung, besser als den großen. Die kleineren, teils regionalen Produzenten, welche oft nur in wenigen EDEKA- oder REWE-Filialen zu finden sind, verhandeln ihre Preise nicht mit den Konzernzentralen, sondern direkt mit jedem einzelnen freien Kaufmann der großen Genossenschaften individuell. Sie fliegen sozusagen unter dem Radar der Zentraleinkäufer und können ihre Forderung nach höheren Händler EKs besser durchsetzen als die Großen.
Wir sehen dies auch bei unseren Start-up-Kunden. Diese verhandeln zurzeit vermehrt Preissteigerungen von ca. 20% mit den Händlern. Die Zentraleinkäufer der Händler konzentrieren sich bei ihren Verhandlungen vor allem auf die absatzstarken Produkte des Kernsortiments der großen Hersteller.
In der Nische liegt die Marge
Wir beobachten einen weiteren Supertrend im Lebensmitteleinzelhandel. Kategorien, die über Jahrzehnte zwischen wenigen Platzhirschen aufgeteilt waren, wie Waschmittel oder Kola, wurden in den letzten Jahren von Nischenanbietern aufgebrochen. So konnte sich beispielsweise everdrop gegen Henkel und Procter & Gamble behaupten und fritz-kola gegen Coca-Cola und Pepsi.
Viele etablierte Hersteller reagieren mit Erweiterungen der Produktplatte. Klassische Ein-Produkt-Unternehmen wie Red Bull, Jägermeister oder Zentis bringen neue Nischenprodukte auf den Markt. Red Bull launcht Mixer (z.B. ORGANICS Tonic Water), bei Jägermeister gibt es seit neuestem den Super-Premium-Alkohol „Manifest“ und Zentis setzt auf Haferdrink-Smoothies und ein Milchersatzprodukt auf Basis von Sonnenblumenkernen.
Der Vorteil dieser Strategie der Hersteller liegt auf der Hand: Erstens haben Nischenprodukte die höchsten Margen, zweitens sehen sich die Markenhersteller in der Nische nicht im Wettbewerb mit den Eigenmarken der LEHs und sind generell mit weniger Wettbewerb und Preisdruck konfrontiert, und drittens können die Produzenten neue Kunden in der Nische für sich gewinnen.
Trotz der inflationsbedingten grundsätzlichen Preissensibilität vieler Verbraucher zeigen die uns vorliegenden Absatzzahlen aus dem Handel, dass diese Preissensibilität nicht immer gilt. Nischenprodukte, die exakt dem Kaufverhalten der individuellen Filialkundschaft entsprechen und somit die Kunden in genau diesem Markt begeistern, werden unabhängig vom Preis weiter gekauft. Nischenprodukte, die nicht mit dem Kaufverhalten der Kunden im Markt abgestimmt sind, werden immer mehr zu Ladenhütern. Ein individuelles, auf das Kaufverhalten der Verbraucher vor Ort abgestimmtes Regalsortiment ermöglicht es dem Lebensmitteleinzelhandel höhere Margen zu realisieren und macht jede einzelne Filiale attraktiver für dessen Kundschaft.
Der Berliner Handelsexperten und Gründer der Plattform FrontNow unterstützt Händler:innen mit Datenpower dabei, ihr Warensortiment schneller auf Trends und Wünsche der direkten Ladenumgebung anzupassen.
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