Das Trojanische Pferd im Land der Discounter: Welcome Amazon fresh!
Kennen Sie das: Sie blasen einen Luftballon auf mit der Absicht, diesen platzen zu lassen. Kurz vorm Bersten dann die Spannung: Sie wissen, dass der Knall kommt, und erschrecken sich trotzdem! Die Mutmaßungen der letzten Woche waren wie das Erschrecken beim Knall, denn Amazon fresh startet in Berlin, zugleich gibt es Planungen für München und dem Ruhrgebiet. Bisher gibt es allerdings nur „Informationen aus Unternehmenskreisen“, keine offizielle Verlautbarung, allerdings auch keine Dementis. Nachdem in London, also einer Stadt, in dem bereits andere Lebensmittelformate den Markt für Lieferdienste bereitet haben, das Konzept scheinbar gut angenommen wird, startet man nun auf dem Kontinent. Hut ab, man sucht sich gleich das schwierigste Land für den Handel mit Lebensmitteln aus!
Speziell in Deutschland gilt eine Strophe aus einem bekannten Sinatra-Song ganz besonders: „If I can make it there I’ll make it anywhere“, wie der weltweite Siegeszug unserer Discounter gerade beweist. Nirgendwo anders ist die Preissensibilität größer, folglich sind die Margen kleiner. Bereits in vorhergehenden Artikeln bin ich bereits auf die Besonderheiten des Europäischen Marktes und speziell des Deutschen eingegangen.
Der Lebensmittel-Shopper ist noch nicht hybrid.
Die hier herrschenden Marktgesetze sind das Eine, der deutsche Shopper ist das Andere: E-Food konnte bisher nicht wirklich punkten! Verschiedenste Drive-in Konzepte und City-Lieferdienste gibt es bereits seit vielen Jahren, allerdings konnte sich flächendeckend noch keines durchsetzen. Jede große Marke, egal ob Rewe, Edeka, Tegut, Globus oder Real, um nur einige zu nennen, hat ein Format in dem Bereich. Zudem kommen noch regionale Formate wie z.B. Emmas Enkel und die Pure Player wie mytime oder allyouneedfresh dazu. An Vielfalt fehlt es jedenfalls nicht, trotzdem kommt das Geschäft nicht in Gang und liegt weit hinter internationalen Vergleichen zurück. Der Shopper ist misstrauisch, will die Ware vor dem Kauf sehen, erwartet die gleichen Preise wir im Markt und will exakte Lieferfenster bekommen. Olaf Kohlbrück hat das sehr treffend mit „Der E-Food-Kunde ist faul, kritisch und ein bisschen geizig“ betitelt.
Grundsätzlich aber zeigt folgende Auswertung des gmvteams, dass gerade der eFood Markt in jeder Region sehr speziell ist:
- USA, Marktgröße 3%: Walmart, Kroger und Safeway/Albertsons besetzen 50% des Marktes. In den Ballungsräumen sind reine Internet Pure Player aktiv, Amazon Fresh, Fresh Direct und Peapod machen 30% des Umsatzes aus.
- UK, Marktgröße 4,4%: Tesco, Sainsbury’s, Asda und Morrisons besetzen 75% des Marktes.
- Frankreich, Marktgröße 3,6%: Carrefour, E.Leclerc, Intermarché, Casino, Auchan und System U besetzen 90% des Marktes.
- Deutschland, Marktgröße 0,8%: Der E-Food-Markt ist parzelliert wie nirgendwo sonst. Die klassischen Händler sind weit davon entfernt, den Markt zu beherrschen. 30 % werden von Pure playern wie Allyouneed, Lebensmittel.de, Mytime und Gourmondo umgesetzt.
Scheinbar gibt es kein allgemein gültiges Rezept für den Vertrieb von Lebensmitteln über das Netz. Beruhigend ist aber, dass es auch keines für den stationären Handel gibt, wie der unrühmliche Versuch von Walmart oder verschiedenen französischen Formaten in Deutschland gezeigt hat.
Das Trojanische Pferd kann man essen
Warum wagt sich also Amazon in die Höhle der Löwen? Lust am Scheitern kann man den erfolgsverwöhnten Managern absolut nicht nachsagen, vielleicht ist es ja ein anderer Grund. Lebensmittel über das Internet zu verkaufen ist für die klassischen Handelsformate ein reines Wachstum in das längste Regal der Welt. Ihr Sortiment wird einer breiteren Kundschaft mit verbessertem Service angeboten, eine Virtualisierung des bestehenden Geschäftsmodells also. Für Amazon sind Lebensmittel bisher nie das ursprüngliche Modell gewesen, sondern der Focus lag rein auf NonFood. Aus meiner Sicht ist der Lebensmittelbereich bei Amazon ein Trojanisches Pferd, um den NonFood Bereich zu pushen. Wie oft kauf der normale Kunde bei Amazon? Sind es 20, 40 oder gar 60 mal pro Jahr? Erweitert man sein Sortiment um Lebensmittel, kann die Anzahl der Kaufakte vervielfacht werden. Lebensmittel braucht man häufiger, der Schnitt liegt bei 3 Einkäufen pro Woche. Damit kann man die Anzahl der Besuche auf der Webseite deutlich erhöhen, die Möglichkeit des Cross-Sellings steigt dramatisch an, der Kunde hinterlässt mehr Datenspuren und kann noch personifizierter angesprochen werden. Sprich: Wenn ich eh bei Amazon auf der Seite Lebensmittel bestelle, kann ich gleich die Socken und Staubsaugertüten mit bestellen.
Unter diesem Aspekt macht der Eintritt in die Höhle der Lebensmittel-Löwen Sinn, denn damit greift man die hohe Kaufkraft der Deutschen wunderbar ab. Auch wenn das Food Business schwächelt profitieren andere Kategorien von den Skaleneffekten. Schlau gemacht! Es bleibt also spannend und ich natürlich am Thema!
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