Einzelhandel digital wie noch nie – doch bleibt das auch so?
Die letzten Monate waren auch für viele Händler*innen nicht leicht. Dennoch ist der deutsche Einzelhandel digital wie noch nie. Die Krise hat deutlich eine hohe Dynamik ausgelöst. Doch scheint genau diese im Hinblick auf die Digitalisierung wieder abzuflachen, wie eines der Ergebnisse dieser Befragung des Bitkom zeigt. Investitionen in Digitalisierung werden von den meisten Unternehmen nicht anhaltend eingeplant.
Social Media Aktivitäten verdoppelt
Zwei Drittel (68 Prozent) der Einzelhändler*innen besitzen eigene Social-Media-Profile. Ein Drittel (34 Prozent) bezahlt für Anzeigen etwa in Form von gesponserten Posts. Insgesamt sind fast drei Viertel (72 Prozent) auf Facebook, Instagram und Co. aktiv – doppelt so viele wie vor zwei Jahren, als es 28 Prozent waren. Auch die Zusammenarbeit mit Influencerinnen und Influencern hat während der vergangenen beiden Jahre deutlich an Bedeutung gewonnen: 8 Prozent der Einzelhändler*innen kooperieren mittlerweile mit ihnen, 2019 waren es noch weniger als ein Prozent. Eine eigene Website gehört ohnehin für fast alle Einzelhändler*innen zum Standard (98 Prozent).
85 Prozent verkaufen online
Aktuell verkaufen 85 Prozent der Einzelhändler*innen ihre Waren komplett oder parallel zu einem stationären Geschäft im Internet. 2019 waren es mit 58 Prozent noch deutlich weniger. Insbesondere Plattformen spielen eine entscheidende Rolle: Von den Händler*innen, die online verkaufen, bieten drei Viertel (72 Prozent) ihre Produkte und Dienstleistungen auf Online-Marktplätzen bzw. Online-Verkaufsplattformen wie Ebay, Amazon oder Zalando an. Vor zwei Jahren waren es erst 46 Prozent. Einen unternehmenseigenen Webshop betreiben 92 Prozent, diese Zahl ist im Vergleich zu 2019 konstant geblieben.
Digitale Services auf dem Vormarsch
Auch der stationäre Handel baut seine digitalen Services aus. An der Kasse bieten mittlerweile 8 von 10 Einzelhändler*innen (79 Prozent) die Möglichkeit an, bargeldlos via Smartphone oder Smartwatch zu bezahlen. Vor Corona waren es erst 44 Prozent. Auch insgesamt werden Kassensysteme digitaler und mobiler: Tablet- oder Smartphone-gestützte Kassensysteme waren bei 23 Prozent bereits vor Corona im Einsatz, fast genauso viele (20 Prozent) kamen seitdem hinzu.
27 Prozent der stationären Einzelhandelsunternehmen setzen Tablet-PCs und interaktive Bildschirme ein, um ihre Kundschaft zu informieren und zu beraten – 13 Prozent waren es vor Corona. W-LAN im Geschäft (88 Prozent) gehört mittlerweile für die meisten stationären Händler*innen zum Standard (vor Corona: 77 Prozent). Und Loyalitäts- bzw. Bonusprogramme, mit denen man per Smartphone Treuepunkte sammeln kann, gibt es bei 56 Prozent der Einzelhändler*innen (plus 4 Prozentpunkte gegenüber der Vor-Corona-Zeit).
Die Lieferoptionen wurden in der Pandemie ebenfalls deutlich ausgebaut. So bieten heute 77 Prozent Click & Collect an. 36 Prozent waren es vor der Pandemie. Auch Dropshipping, wenn die im Laden bestellte Ware direkt durch Hersteller bzw. Großhändler an die Kundin oder den Kunden geliefert wird, gibt es bei jedem dritten Handelsunternehmen (33 Prozent) – das sind doppelt so viele wie noch vor Corona (16 Prozent).
Digitalisierung ist kritischer Erfolgsfaktor
Ob Einzel- oder Großhandel: Fast alle der befragten Unternehmen (91 Prozent) sagen, dass durch die Corona-Pandemie Digitalisierung für ihr Unternehmen an Bedeutung gewonnen hat. Mehr noch: Der Einsatz digitaler Lösungen wird von den meisten als entscheidender Vorteil in der Pandemie gesehen. So sind 8 von 10 Händler*innen (79 Prozent) der Meinung, dass Handelsunternehmen, deren Geschäftsmodell bereits digitalisiert ist, besser durch die Corona-Pandemie kommen. Gleiches gilt für digitale Geschäftsprozesse, sagen 74 Prozent.
54 Prozent geben an, dass digitale Technologien ihnen helfen, die Pandemie zu bewältigen. Bei 45 Prozent sorgt die Pandemie für einen Innovationsschub. Dennoch sieht sich der Großteil der Händler*innen (73 Prozent) eher als Nachzügler*in beim Thema Digitalisierung. Nur ein Viertel (26 Prozent) sieht sich eher als Vorreiter*in.
8 von 10 Unternehmen (79 Prozent) verfolgen eine Strategie zur Bewältigung des digitalen Wandels – etwas mehr als 2019, als es 70 Prozent waren. Weitere 12 Prozent planen die Einführung einer Digitalstrategie, nur jedes zwölfte Handelsunternehmen (7 Prozent) ist in Sachen Digitalisierung bislang nicht aktiv geworden und hat auch nichts geplant.
Krise verändert Geschäftsmodelle
Über alle Größen und Handelsbereiche hinweg ist jedes zweite Unternehmen nach eigenen Angaben bislang gut durch die Corona-Krise gekommen (53 Prozent). Ein mit 45 Prozent etwas geringerer Anteil der Händler*innen kann das nicht von sich behaupten und ist sehr schlecht oder eher schlecht durch die Coronazeit gekommen. 3 von 10 Händler*innen (29 Prozent) hatten sogar Sorge, Insolvenz anmelden zu müssen.
Zugleich gab es einen starken Einfluss auf die Geschäftsmodelle der Handelsunternehmen in Deutschland: So geben 8 von 10 Händler*innen (83 Prozent) an, infolge der Pandemie bestehende Produkte und Dienstleistungen anzupassen. Jedes zweite Unternehmen (55 Prozent) bietet neue Produkte und Dienstleistungen an und fast ein Viertel (23 Prozent) nimmt bestimmte Produkte und Dienstleistungen vom Markt. Die Auswirkungen gehen aber auch noch einen Schritt weiter: So spricht ein Drittel (35 Prozent) von Veränderungen des gesamten Geschäftsmodells.
Kaum dauerhafte Investitionen in Digitalisierung
Drei Viertel (75 Prozent) der Händler*innen sehen Digitalisierung als Chance für ihr Unternehmen – nur 22 Prozent als Risiko. Und viele Unternehmen stellen Budget für Digitalvorhaben bereit. So haben 4 von 10 Händler*innen (41 Prozent) im Jahr 2020 in die Digitalisierung ihres Unternehmens investiert. Etwas weniger (35 Prozent) investieren in diesem Jahr – mit einem durchschnittlichen Anteil von 5 Prozent an den Gesamtinvestitionen.
Die Hälfte (50 Prozent) plant, im Jahr 2022 oder später zu investieren. Die meisten (59 Prozent) haben bereits vor 2020 Geld für die Digitalisierung ihres Unternehmens aufgebracht. Nur 12 Prozent haben noch nicht investiert und planen dies auch nicht.
Allerdings sind nur die Wenigsten bereit, dauerhaft Geld in die Digitalisierung zu stecken. Lediglich 2 Prozent der Handelsunternehmen wollen Jahr für Jahr in die Digitalisierung investieren.
Starker Veränderungsdruck
Leerstehende Ladengeschäfte in Fußgängerzonen, finanzielle Belastungen in Folge der Corona-Pandemie, Konkurrenz aus dem Netz: Der stationäre Handel steht unter Druck. Allerdings ist seine Existenz grundsätzlich nicht bedroht, wie ein Großteil der Handelsunternehmen meint. Fast alle sind der Meinung, dass der stationäre Handel auch in Zukunft bestehen bleibt, nur 2 Prozent sagen, dass er keine Zukunft hat.
7 von 10 der befragten Unternehmen (71 Prozent) sagen jedoch, dass sich der stationäre Handel in den Innenstädten neu erfinden muss.
Fazit
Viele Handelsunternehmen beweisen, dass sie zu notwendigen Veränderungen nicht nur bereit, sondern auch in der Lage sind. Was mich jedoch beim Lesen der Ergebnisse zutiefst beunruhigt hat, war, dass die Investitionen nicht dauerhaft budgetiert werden. Nur zwei Prozent der Befragten wollen in jedem Jahr investieren, d.h. 98 Prozent haben dies nicht vor. Die Entwicklungszyklen der digitalen Technologien sind kurz und verkürzen sich weiter. Hinzu kommen immer wieder neue Lösungen, die auch im Handel Einzug halten, z.B. ganz aktuell die verschiedenen Lösungskonzepte bei autonomen Stores. Die Digitalisierung ist nie abgeschlossen, sondern benötigt in jedem Unternehmen immer wieder die notwendigen Mittel, um Anpassungen und Erweiterungen vornehmen zu können.
Zur Befragung: Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom durchgeführt hat. Von Mitte Juli bis Ende August 2021 wurden dabei 505 Handelsunternehmen in Deutschland telefonisch befragt. Die Umfrage ist repräsentativ.
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