Studie: Wer trifft wirklich die Kaufentscheidung?
Algorithmen verschieben Entscheidungsmacht im Handel. Prof. Dr. Nils Andres hat mit seinem Team 1.391 Konsument*innen zu dieser Frage befragt. Die Studie zeigt: Freundesempfehlungen genießen 68 Prozent Vertrauen, algorithmische Empfehlungen nur 37 Prozent.
Während Entscheidungen früher auf menschlichen Empfehlungen oder Markenbotschaften basierten, strukturiert heute eine dritte Quelle das Kaufverhalten: algorithmische Systeme. Diese Durchdringung stellt eine psychologische Zäsur dar, bei der Konsument*innen immer weniger unterscheiden können, ob sie selbst oder ein Algorithmus entschieden hat.
Autonomie erodiert unsichtbar
Die Studie dokumentiert ein Autonomie-Paradox: Algorithmen entlasten kurzfristig, untergraben aber das Gefühl selbstbestimmten Handelns. 45 Prozent der Befragten konnten nicht nachvollziehen, warum bestimmte Produkte vorgeschlagen wurden.
Für den Handel bedeutet dies: Effizienzgewinne durch Personalisierung sind mit psychischen Kosten für Kunden verbunden. Stationäre Händler können gegensteuern, indem sie Beratungskompetenz als Differenzierungsmerkmal ausbauen.
Vertrauenshierarchie bleibt stabil
Die Untersuchung bestätigt eine klare Rangfolge: Freunde erreichen höchstes Vertrauen, Marken folgen auf Platz zwei, Algorithmen landen abgeschlagen auf Rang drei. Bemerkenswert: Auch jüngere, digital sozialisierte Konsument*innen vertrauen menschlichen Quellen mehr als maschinellen.
Markenvertrauen erweist sich als institutionalisiert: es basiert auf Konsistenz und Reputation, nicht auf emotionaler Nähe. Algorithmenvertrauen hingegen ist instrumentell: Man nutzt sie, solange sie funktional erscheinen.
Hybride Szenarien verstärken Dissonanz
Am problematischsten sind Mischformen: Influencer-Posts, die algorithmisch ausgespielt werden, oder Chatbots mit menschlich wirkender Sprache. In diesen Kontexten entsteht ‚Decision Delegation Dissonance‘, die Spannung zwischen dem Gefühl eigener Entscheidung und der Erfahrung von Fremdsteuerung.
Diese hybride Realität prägt bereits den Handelsalltag: Empfehlungen von Amazon, personalisierte Newsletter oder KI-gestützte Beratung verschränken menschliche, markenbasierte und algorithmische Logiken untrennbar.
Transparenz als Sicherheitsventil
Die Studie zeigt: Transparenz wirkt ambivalent. Sie reduziert kurzfristig Vertrauen, stabilisiert aber Autonomieerleben und verhindert langfristige Entfremdung. Händler, die algorithmische Empfehlungen klar kennzeichnen, schaffen psychische Entlastung.
Für Plattformen und Marken bedeutet dies: Wer Manipulation verschleiert, riskiert Vertrauensbrüche. Wer Einflussnahme offen kommuniziert, kann dagegen Autonomie und Kontrolle vermitteln.
Die Ergebnisse zeigen: Händler*innen, die die Vertrauenslücke nicht durch transparente Kommunikation schließen, riskieren langfristige Kundenentfremdung. Konsum im digitalen Zeitalter ist kein Kampf um Präferenzen, sondern vielmehr um die psychische Integrität der Entscheider*innen.
Die Studie kann hier nachgelesen werden.
Foto von Magnet.me auf Unsplash






Ocado



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