Agentic Commerce 1/10 – Die unsichtbare Disruption: Warum Amazon gegen Perplexity klagt
Serienstart: Agentic Commerce
Die Klage von Amazon gegen Perplexity markiert einen Wendepunkt im Handel: Erstmals verteidigt ein Tech-Gigant seinen Kaufprozess juristisch gegen einen KI-Agenten, der eigenständig Preise vergleicht und Bestellungen abschließt. Das ist mehr als ein technischer Rechtsstreit. Es zeigt, dass Handelsentscheidungen nicht mehr ausschließlich beim Menschen liegen. Systeme beginnen zu handeln und verschieben Wertschöpfung, Rollen und Machtverhältnisse.
Diese Entwicklung beleuchte ich in den kommenden Wochen in einer zehnteiligen Serie zu Agentic Commerce oder auf Deutsch: Agentenökonomie. Im Fokus: Was diese Veränderung für Händler*innen, Industrie und alle bedeutet, die am Point of Sale, mit Sortimenten, Kundschaft und Technologie arbeiten.
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Die unsichtbare Disruption: Amazon vs. Perplexity
Was wie ein Nischenthema wirkt, zeigt eine tektonische Verschiebung: Amazon klagt nicht nur, weil ein KI-Agent auf Konten zugreift. Es geht darum, dass Perplexitys Browser Comet nicht markiert, dass es ein KI-Agent ist, Sicherheitsmechanismen unterläuft und Nutzungsbedingungen missachtet. Zum ersten Mal übernimmt ein System autonom alle Schritte: Suche, Auswahl, Vergleich, Bestellung. Die Plattform verliert einen Teil ihrer Kontrolle.
Drei Kernvorwürfe:
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Automatisierter Zugang ohne Kennzeichnung als System
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Umgehung von Sicherheitsmechanismen
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Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
Das juristische Verfahren läuft. Relevant für den Handel ist jedoch die wirtschaftliche und strukturelle Komponente.
Maschinen treffen Kaufentscheidungen
Comet entscheidet, welche Produkte verglichen, welche Kriterien angesetzt und welcher Preis akzeptiert wird. Die KI gibt vor, was in die engere Auswahl kommt, nicht mehr der Mensch vor dem Monitor. Der Unterschied zu klassischen Vergleichsportalen: Diese filtern, KI-Agenten handeln. Händler*innen stehen nicht mehr im direkten Kontakt mit der Entscheiderin. Die klassische Customer Journey mit Touchpoints wie Beratung, Präsentation oder spontanes Upselling wird ausgehebelt.
Beispiel: Ein Comet-Agent sucht eine Kaffeemaschine, bewertet Energieverbrauch, Lieferzeit und Budget und bestellt. Menschliche Vorlieben und Kontext treten in den Hintergrund, wenn Algorithmen die finale Auswahl treffen.
B2M – Business-to-Machine verändert den Handel
Der Handel steht vor einer neuen Kundengruppe: Systeme, die eigenständig für Menschen einkaufen. Händler*innen müssen nicht nur überzeugend für reale Kundschaft argumentieren, sondern vor allem maschinenlesbar und konsistent werden. Wer keine sauberen Produktdaten, gepflegte Attribute oder nachvollziehbare Lieferbedingungen liefert, wird für KI-Agenten unsichtbar. Relevant sind ausschließlich:
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Klare, strukturierte Produktdaten
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Vollständige und aktuelle Bestände
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Nachweisbare Nachhaltigkeit und Servicequalität
Die alte Regel „Präsentiere gut und biete Service“ reicht nicht mehr. Jetzt entscheidet der Datensatz.
Dreifache Abhängigkeit: Plattform – Hersteller – Systeme
Händler*innen hängen künftig in drei Richtungen fest:
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Plattformen kontrollieren den Zugang zum Einkauf.
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Marken drängen mit Direktvertrieb an Händler*innen vorbei.
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Systeme (KI-Agenten) treffen Vorauswahlen und filtern Sichtbarkeit.
Wer glaubt, mit guten Daten allein ausreichend präsent zu bleiben, verkennt das Machtgefüge: Die Plattformen bestimmen, welche Systeme welche Informationen sehen. Kleinere Handelsunternehmen laufen Gefahr, komplett aus dem Radar der Agenten zu fallen.
Souverän bleibt, wer beide Sprachen spricht
Der Wandel ist keine abstrakte Vision: Maschinen entscheiden heute schon mit. Wer künftig relevant bleiben will, muss doppelt fit sein. Erstens: Menschliche Bedürfnisse verstehen und echten Mehrwert bieten. Zweitens: Für Agenten zählt, was eindeutig, strukturiert und korrekt hinterlegt ist. Beschreibungen, Marketingtexte oder Storytelling spielen hier keine Rolle. Was nicht in den Daten steckt, bleibt für Maschinen unsichtbar.
Zwischenfazit
Der Handel erlebt seine schwerste Verschiebung seit Einführung des E-Commerce. Wer immer noch glaubt, Produktpräsentation und Erlebnisfläche seien das Kerngeschäft, wird überholt. Heute gestalten algorithmische Systeme die Wertschöpfung und Entscheidungsprozesse.
Was ich denke
Es reicht nicht mehr, Plattformregeln einzuhalten. Händler*innen müssen ein tiefes Verständnis der heutigen Anforderungen haben und die Sprache von Systemen und die Sprache der Menschen sprechen. Und sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass meist Plattformen den Zugang zu beiden Welten besetzt halten und sich dort auch nicht von Agenten vertreiben lassen. Für Handelsunternehmen bedeutet dies, dass sie auf der einen Seite den Agenten die Daten zur Verfügung stellen müssen. Auf der anderen Seite sind sie dringend gefordert, ihre Kundenbeziehungen zu pflegen, zu intensivieren und krisenfest zu machen. Klingt wie ein Spagat, und das ist es auch.
Ausblick
Im nächsten Artikel: Warum Maschinen eine echte Kundengruppe sind, wie B2M funktioniert und was es bedeutet, wenn der Handel auf die „Kunden“ System und Mensch gleichzeitig reagieren muss.
Die Serie im Überblick
- Die unsichtbare Disruption: Warum Amazon gegen Perplexity klagt
- Maschinen als Käufer im digitalen Handel
- Wenn KI die Beratung übernimmt
- Verändertes Konsumverhalten durch KI-Agenten
- Buyer Personas 2.0: Strategische Schlüsselressource
- Sichtbarkeit im Agentic Commerce: Datenqualität als Wettbewerbsvorteil
- Personalisierung neu gedacht: Mensch und Maschine im Zusammenspiel
- Geschäftsmodelle im KI-Zeitalter: Wer überlebt?
- Überlebensstrategien: lokal, nischig, community-getrieben
- Werbung ohne Menschen: KI-Agenten gestalten den Markt neu
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Zur Transparenz: Ich nutze KI-Werkzeuge für Strukturierung und erste Entwürfe. Die fachliche Einordnung, die Ausarbeitung des Inhalts und die finale Fassung liegen vollständig in meiner redaktionellen Verantwortung.










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