Buchhandel im Wandel: Käuferschwund zwingt zum Handeln
Der deutsche Buchmarkt ist unter Druck, die Verkäufe schwinden. Buchhandel und Verlage beklagen den Untergang des Buchs als Kulturgut. Geht wirklich das Abendland unter? Oder sieht sich diese Branche, wie viele andere auch, einem durch die Digitalisierung getriebenen Wandel gegenüber, der gemeistert werden will? Der Buchhandel im Wandel.
Das Jammern über den Niedergang des „Kulturgutes Buch“ kennen wir schon seit Jahren, aber jetzt scheint es allmählich ernst zu werden. Von 2012 bis 2016 hat der deutsche Buchmarkt mehr als sechs Millionen Buchkäufer verloren. Das erste Halbjahr 2017 sah nicht besser aus. Es verschwanden 600.000 Käufer, heute sind es noch 30,8 Millionen. Der niedrigste Stand in den letzten zehn Jahren. Weitere Ergebnisse der Studie „Buchkäufer – quo vadis?“ des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels hat die FAZ zusammen gefasst.
In den USA ist die Entwicklung schon viel dramatischer. Hier sank die tägliche Lesezeit schon auf 17 Minuten.
Diese Entwicklung hat sich die Branche in der Vergangenheit noch schön geredet. Die Umsätze blieben vergleichsweise stabil. Dies lag jedoch daran, dass die bestehenden Käufer teurere und nicht mehr Bücher gekauft haben. Neue Käufer kamen kaum hinzu. Und so hat man wertvolle Zeit für neue Ideen und Konzepte verstreichen lassen.
Wichtig! Schuldige finden
In schöner Regelmäßigkeit machten einzelne Buchhändler mit Aktionen auf sich aufmerksam. Da wurden medienwirksam die Schaufenster zugeklebt oder Pamphlete gegen den Erzfeind Amazon ins Fenster gehängt. Die klare Botschaft: Andere sind Schuld an unserer Misere! Entweder unsere Kunden oder das böse, böse Amazon. Prima! Die Gründe für den Rückgang sind gefunden und man muss sich nicht mit den eigenen Versäumnissen oder denen der eigenen Branche beschäftigen.
Doch nun werden die Rückgänge so dramatisch, dass es um viele Existenzen geht, nicht nur im Buchhandel, auch in den Verlagen. Denn auch diese haben lange auf irgendetwas gewartet, dass ihre Welt heilen würde. Doch nichts passiert.
Mobile kannibalisiert andere Massenmedien
Seit dem 15. Jahrhundert gibt es Massenmedien und die Menschen nutzen sie parallel, d.h. das jeweils nächste Massenmedium hat es nicht geschafft, die vorherigen so zu kannibalisieren, dass deren Existenz bedroht gewesen wäre.
Dies änderte sich erst zaghaft mit dem Internet und dann ganz massiv mit den Smartphones. Die Smartphones, als siebtes Massenmedium, haben tatsächlich die älteren Medien in weiten Teilen abgelöst und dieser Veränderungsprozess ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
Die sieben Massenmedien:
- Druck (ab 1400)
- Aufnahmen (ab 1890)
- Kino (ab 1900)
- Radio (ab 1920)
- Fernsehen (ab 1940)
- Internet (ab 1992)
- Mobile (ab 1998)
Mediennutzungszeit steigt
Ein Grund für den Rückgang des Anteils der Bücher am gesamten Mediennutzungsbudget liegt unter anderem daran, dass das Angebot einfach größer geworden ist. Zwar ist auch das Gesamtzeitbudget stark gestiegen, aber in der näheren Betrachtung können Bücher davon immer weniger profitieren.
1964 lag die Mediennutzungszeit noch bei 3,1 Stunden pro Tag. Dieses Zeitbudget stieg stark an und liegt seit 2005 relativ stabil bei neun bis zehn Stunden am Tag.
In diesem Budget drängen sich alle Medien und Formate, die dem Durchschnittsnutzer heute zur Verfügung stehen: Musik Streaming, Radio, Zeitungen, Kino, Bücher, lineares Fernsehen, YouTube, Instagram, Netflix, Facebook und und und. Vieles davon ist jederzeit und an jedem Ort nutzbar, manches nicht. Auf jeden Fall ist für jeden Geschmack etwas dabei und jeder stellt sich seine Medien nach den eigenen Wünschen zusammen.
Verändertes Nutzerverhalten
Ganz in der bereits oben beschriebenen Tradition, einen Schuldigen zu finden, sehen viele im Internet und seinem wohl populärsten Frontend, dem Smartphone, den Feind des Buches. Da stürzt man sich auf jede Studie, egal wie aussagekräftig sie ist, die den Menschen bescheinigt, dass sie „online- oder smartphonesüchtig“ seien. Der moderne Mensch hätte nur noch eine Konzentrationsspanne, die unter der eines Goldfisches läge.
Liebe Leser*in, wenn Sie es bis hierhin geschafft haben, diesen Artikel zu lesen, haben sie gerade das Gegenteil bewiesen.
Wer wissen will, was es mit dieser Erkenntnis in Sachen „Goldfisch“ auf sich hat und ob das wirklich so festgestellt wurde, dem empfehle ich die Lektüre dieses Artikels.
Und die bösen Social Networks würden uns derart konditionieren, dass wir ständig nach unseren Smartphones greifen würden, willenlos, fremdgesteuert, wie Smombies eben. Und dann sitzen wir neben unseren Freunden, unserer Familie und starren in diese Geräte und unterhalten uns gar nicht mehr. Ein sehr unsoziales Verhalten.
Das ist in höchstem Maße übertrieben, auch wenn die beschriebenen Effekte durchaus auftreten. Doch das Beklagen dieser Entwicklungen ist nicht zielführend. Es verstellt den Blick für die Lösungen, die man suchen und anstreben sollte.
Es ist nicht alles schlecht
Und das Internet zeigt auch etwas sehr Positives. Der Erfolg von Netflix beruht auch darauf, dass Menschen gern auch sehr lange Geschichten erleben möchten. Die Lust an guten Erzählungen ist ungebremst groß.
Über das Format jedoch rümpft so mancher Literaturfreund die Nase. Ist doch nur das papierhafte, gedruckte Buch mit möglichst sperrigem Inhalt von einem verstorbenen Autor das wahre Kulturgut. Eine Fernsehserie mit acht Staffeln? Niemals!
Die Autorin Melanie Raabe schreibt im Standard: „Ein bekannter deutscher Kritiker wirft gar alles, was seiner Meinung nach nicht überzeugt – bevorzugt Publikumslieblinge – im TV demonstrativ in die Mülltonne; ein nicht nur in ästhetischer Hinsicht unappetitlicher Akt, der dem Buch schadet.
Wenn ich in ein Restaurant komme, bestelle – und dann erst einmal von der Kellnerin, vom Koch und vom Gastrokritiker nebenan darüber belehrt werde, dass meine Wahl eine schlechte ist und ich offensichtlich inkompetent bin, dann gehe ich. Und komme so schnell auch nicht wieder.“
Es geht also darum zu akzeptieren, dass sich das Nutzerverhalten und auch die Geschmäcker verändert haben, ob man das nun gut findet oder nicht.
Buchhandel im Wandel
Und es geht – wie immer im Kontakt zum Kunden – darum, ihn dort abzuholen wo er gerade steht. Es nützt nichts, den Menschen immer wieder das „hohe Kulturgut Buch“, möglichst in gedruckter Form, um die Ohren zu hauen und laut „Kauf!“ zu schreien. Auch der erhobene Zeigefinger, es gehöre doch gefälligst (!) zu einem gebildeten Menschen, Bücher zu lesen, hilft nicht weiter.
Das Buch, ganz egal ob gedruckt oder in digitaler Form, ist immer ein wunderbarer Rückzug in eine von mir als Leserin mitgestaltete Welt. Meine Phantasie kann auf Reisen gehen, sich Bilder, Gesichter und Landschaften ausmalen. Stundenlang in einer anderen Welt zu verschwinden würde ich niemals missen wollen, auch wenn ich persönlich immer weniger dazu komme. Doch ich muss akzeptieren, dass es anderen eben nichts oder nicht so viel gibt.
Die Buchbranche sollte sich auf ihre bisherigen Kunden konzentrieren und deren Bedürfnisse und Wünsche bestmöglich erfüllen. Hierbei helfen digitale Technologien, sowohl am Point of Sale als auch unter der Motorhaube, wie z.B. Machine Learning oder Künstliche Intelligenz (KI).
Hier den Schwund der lese- und zahlwilligen Kunden zu stoppen, ist die Pflicht. Die Kür ist, Nicht- oder Nicht-Mehr-Leser*innen zu gewinnen. Dies ist ungleich schwerer und damit aufwändiger.
Es wird spannend, wie Buchhandel und Verlage den Wandel, der durch die Digitalisierung beeinflusst wird, meistern werden. Ich habe im Deutschlandfunk mit Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, darüber diskutiert, ob das (gedruckte) Buch ein Auslaufmodell ist.
Vielleicht wird es aber auch so, wie Tobias Nazemi es in seiner Bibliotopia beschreibt und es müssen erst 50 Prozent der Verlage und zwei Drittel der Buchhändler den Markt verlassen, um einen Neuanfang im Jahr 2030 zu schaffen.
Was meinen Sie? Wie wird es mit dem gedruckten oder digitalen Buch, dem Buchhandel und den Verlagen weitergehen? Wer übersteht den Wandel und wie?
Beitragsbild: Buch oder Smartphone– Stock Photo – Giulio_Fornasar/Shutterstock
Uns erreichte dieser Kommentar von Monika Kucera:
Ich möchte ihren Artikel gerne weiterdenken bzw die Realität in der wir uns befinden kurz beschreiben.
Ich verstehe sehr gut dass der Handel und die Verlage ein großes Problem mit dem Rückgang der Verkaufszahlen von Büchern hat. Das eigentliche Problem gesehen ist allerdings, dass Handel und Verlage in den 1980ern-90ern massenweise Bücher verkauft haben und dies anhielt. Der Markt ist mit Büchern überschwemmt und die PRIVATE Bibliothek, die Ende die Mitte des 20.Jahrhunderts noch überschaubar war ist Ende des 20. Jahrhunderts einfach nur noch explodiert.
Das Buch wurde als Wertgegenstand geschätzt, was Handel und Verlage durch Billigware (Buchclubs) ausnutzten. Mittlerweile ist ein Parallelmarkt entstanden – ein Gebrauchtbuchmarkt und ein Tauschmarkt. Hervorgerufen durch die hohe Wertschätzung des Kulturguts Buch und der Auflösung sehr vieler der PRIVATEN Bibliotheken gefüllt mit Massenware. Der Boom der Buchspenden ist mittlerweile auch wieder vorbei, aber nicht weil keine Bücher mehr da wären die gespendet werden wollen. Nein, die Gebrauchtbücherportale haben schlicht keinen Platz mehr! Auf der Seite https://openbookcase.de/ sind öffentliche Bücherschränke eingetragen. Die Anzahl in Deutschland ist gigantisch und es gibt wesentlich mehr. Alleine in meinem kleinen 1000 Einwohner Ort haben wir 4 überfüllte Bücherschränke!!! Die online-Gebraucht-Buchhändler nehmen immer weniger Bücher an, weil die im Lager befindlichen Exemplare unverkäuflich sind.
Es wird Zeit das der Handel seine Verantwortung übernimmt und diese Massen SORTIERT und sinnvoll recycelt und sei es als VERPACKUNGSMATERIAL. Erst dann kann sich wieder ein stabiler Buchhandel etablieren.