Das große Jammern über die Retouren
Man liest ja immer wieder, dass sich der stationäre Einzelhandel über das veränderte Kundenverhalten erbrüstet und gerne mit dem erhobenen Zeigefinger gegen die Abwanderung in den Onlinehandel protestieren. Wir kennen alle die Beispiele, bei denen mahnende Aushänge in das Schaufenster gehängt oder selbige gar ganz verhangen werden, um ein drohendes Szenario inklusive Schuldzuweisung zu darzustellen. Der böse Kunde lässt sich vom Onlinehandel verführen und schadet den lokalen Händlern. Dabei ist es ein großer Irrglaube, dass Konsumenten unter vorwurfsvollem Druck das Kaufverhalten ändern und zu bedingungsloser Loyalität gelangen. Das klappt weder in zwischenmenschlichen Beziehungen noch im Handel.
Auch im eCommerce eine gewisse Jammerkultur nicht zu übersehen.
Der Stein des Anstoßes ist wie so oft der Kunde: In diesem Fall die Retourenkultur der Konsumenten. Laut Erkenntnissen der Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg wird im Fashion-Bereich jedes zweite Paket zurückgeschickt. Da freute sich so mancher Onlinehändler über die Änderung des Widerrufsrechts im Sommer 2014, nach der Konsumenten die finanzielle Verantwortung für ihre Retouren selber tragen müssten. So konnten Kunden für die Zurücksendung nicht passender Artikel bestraft werden. Manche kamen gar auf die Idee, „Wiederholungstäter“ als Kunden gänzlich zu verstoßen. Allerdings merkten die meisten schnell, dass solche Saktionen kaum umzusetzen sind. Die Studie „Versand- und Retourenmanagement im E-Commerce“ des ECC Köln und des EHI bestätigte schon frühzeitig, dass die Mehrheit der Käufer für ihre online getätigten Einkäufe nicht nur versandkostenfreie Lieferungen sondern auch die Übernahme von eventuell anfallende Retouren erwartet. Was bleibt, ist die offensichtliche Bemühung einiger (auch großen) Onlineshops, die Retouren zu erschweren. Bei Amazon zum Beispiel muss man online sieben Schritte absolvieren, um sich ein Rücksendeetikett für ungewollte Artikel auszudrucken. Bei Bershka bin ich daran neulich sogar gänzlich gescheitert.
Neben solchen trotzigen Reaktionen wird dem Konsumenten gern auch die moralische Verantwortung zuzuweisen! Der böse Kunde lässt sich zu einer Auswahlbestellung verführen und schadet mit den Kosten dem Onlinehandel und den “verantwortlich agierenden“ Kunden, die keine Retouren verursachen?
Da machen es sich einige Onlinehändler einfach zu leicht. Vergessen wir nicht, dass man sich u.a. die Kosten für Ladenmiete, Instore Operations, Category Management etc. spart. Von der Verkäuferin, die ihrer Kundin Sommerkleider in verschieden Größen, Formen und Ausführungen geduldig in die Umkleide reicht, ganz zu schweigen.
Und nicht ohne Grund ist die Retourenquote im Bereich Fashion markant höher als bei allen anderen Sortimenten. Denn dort ist eines so deutlich wie in keinem anderen Bereich: Die Individualität des Kunden! Unsere Körper lassen sich nun mal nicht wirklich gut in standardisierte Passformen einkategorisieren. Das heißbegehrte neue Sommerkleid sitzt nun mal bei mir anders als bei meiner Freundin mit der gleichen Konfektionsgröße.
Was bleibt, ist die schlichte Erkenntnis, dass auch der eCommerce keine eierlegende Wollmilchsau ist! Es wird immer Sortimente geben, bei denen der stationäre Handel seine Stärken ausspielen kann; und umgekehrt. Also sollte der Handel statt zu jammern lieber seine jeweiligen Stärken ausspielen!
Retourentacho 2017
Die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg erhebt auch in diesem Jahr einen Retourentacho. Alle Interessierte können sich hier zum Expertenpanel anmelden.
Titelbild: Pixabay, CCO Lizenz
Sehr schön geschrieben! Die Schwächen des eCommerce sind genau der Grund, warum ich Bekleidung dann doch lieber stationär kaufe … und besonders Schuhe! ;o)