6 Gründe für eine autofreie Innenstadt mit Zukunft…
Im Rahmen des Klimaschutzes steht in der ersten Etappe das Erreichen der Klimaneutralität im Fokus. Zur Erreichung der Ziele, kann der Verkehr eine wesentliche Rolle spielen. Somit liegt es nahe, auch die Option „autofreier Innenstädte“ zu prüfen.
Positive Effekte einer autofreien Innenstadt
- Die Reduzierung der Stickstoffdioxid-Belastung führt zu sauberer Luft und einer Steigerung der Gesundheit
- Je weniger Autos unterwegs sind, je höher wird die Reduktion von verkehrsbedingten Todesfällen sein
- Weniger Autos bedeuten weniger Lärm, viel Ruhe und einen niedrigeren Stresspegel
- Es entsteht mehr freie Fläche für Bäume und andere Grünflächen
- Ebenfalls reduziert sich die Hitze ohne fahrende Autos und die zusätzlichen Grünflächen
- Die frei gewordene Fläche kann auch für zusätzliche Einkaufsmöglichkeiten genutzt werden
Chancen und Herausforderungen einer autofreien Innenstadt
Wie immer, wenn man etwas neu ausrichten möchte, gibt es ganz viele Meinungen und mindestens zwei Seiten der „Medaille“. Auch autofreie Innenstädte können zu Herausforderungen führen. Welche dies sein könnten, sehen Sie hier:
- Einzelhändler:innen, Gastronom:innen, Friseure und weitere befürchten bei einer für Autos gesperrte Innenstadt, dass ihnen die Kundschaft verloren gehen und sich eher auf den Online-Handel konzentrieren
- Der öffentliche Nahverkehr ist noch nicht so ausgelegt, dass der ein Verbot von Autos in der Innenstadt und die einhergehenden Massen an Menschen kompensieren könnte
- Menschen, welche in der Stadt wohnen, möchten nicht auf ihr Auto verzichten, um ihren Alltag zu bestreiten
Befürchtungen der Händler:innen einer autofreien Innenstadt
Um sich dem Thema mit handfesten Zahlen zu untermauern, hat das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam eine repräsentative Studie mit rund 2.000 Kund:innen und 145 Händler:innen in Berlin angefertigt. Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie stelle ich Ihnen im Folgenden vor:
93 % der Kund:innen haben die Innenstadt nicht mit dem Auto erreicht, sondern mit dem Rad, zu Fuß oder den öffentlichen Verkehrsmitteln. Also lediglich 7 % der Kund:innen haben die Innenstadt mit dem Auto erreicht. Allerdings haben die Autofahrer und Autofahrerinnen auch lediglich 9 % an Umsatz getätigt, während 91 % des Umsatzes von denjenigen kam, welche mit Rad, zu Fuß oder den öffentlichen Verkehrsmitteln kamen.
Weitere Studien anderer Innenstädte aus Gera, Erfurt oder Leipzig bestätigen diese Ergebnisse. Auch hier haben lediglich rund 7 % der Kund:innen die Innenstadt mit dem Auto erreicht. Der Wohnort der Kund:innen ist überraschend nah, denn im Durchschnitt wohnten 51 % der Befragten (> 1.000) in einem Radius von 3 km von der Einkaufsstraße entfernt.
Mit dem neuen Flair einer autofreien Innenstadt entstanden rund 30 % mehr Geschäfte. Diese zogen mehr Kundschaft an und für einen Mehrumsatz im Einzelhandel.
Mobilität und Verkehr in anderen Ländern
Im Laufe der letzten Wochen habe ich für Sie recherchiert, welche Länder oder Städte bereits autofrei sind und welche auf dem besten Weg dahin sind. Das Ergebnis war für mich teilweise sehr überraschend.
Kopenhagen hat 5-mal so viele Fahrräder als Personenkraftwagen! Die dänische Hauptstadt hat sehr gut ausgebaute Radwege, worauf rund 50 % der Dän:innen zur Uni, Schule oder ins Büro fahren.
Die slowenische Hauptstadt Ljubljana hat seine Innenstadt bereits seit 2007 für Autos gesperrt. Der Kern der Innenstadt wurde so umgebaut, dass dort lediglich Radfahrer:innen, Fußgänger:innen und der Busverkehr erlaubt ist. Für Menschen, welche in die Innenstadt wollen, gibt es ein gut ausgebautes öffentliches Personennahverkehrsnetz. Darüber hinaus hat man E-Taxis, welche komplett kostenlos sind und 25 km/h fahren, etabliert für insbesondere ältere und bewegungseingeschränkte Menschen, aber auch für Touristen. Auch Fahrrad-Verleihstationen finden sich in der Innenstadt wieder, hier kann man die erste Stunde sogar kostenlos zurücklegen.
Barcelona wiederum hat ein anderes Konzept. Barcelona ist die kosmopolitische Hauptstadt der spanischen Region Katalonien. Seit mehreren Jahren werden dort „Blocks“ oder auch „Inseln“ genannt eingerichtet. D.h. es wird nicht die komplette Innenstadt gesperrt, sondern es werden Häuserblocks zu einem nahezu autofreien Quartier zusammengefasst. Frei werdende Flächen wurden begrünt und das Netz für Fahrräder und Fußgänger ausgebaut. Anwohner:innen oder Lieferverkehr dürfen sich nur auf ausgewiesenen Straßen bewegen und maximal 10 km/h „schnell“ fahren.
In Wien, der Hauptstadt von Österreich, werden über 40 % der Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. In die Innenstadt dürfen fast nur noch Anwohner:innen fahren und die Zufahrtswege zur Innenstadt wurden von über 30 auf rund 25 reduziert.
Die französische Hauptstadt Paris ist seit Anfang 2020 vom ersten bis vierten Arrondissement autofrei und seit Mitte 2016 ist einmal im Monat (jeweils am ersten Sonntag) die Champs-Elysées für Autos gesperrt, genauso die 3 km lange rechte Seine-Seite.
Oslo verzichtet in der Innenstadt komplett auf Autos. Das Ziel der norwegischen Hauptstadt ist es, die Stadt den Menschen zurückzugeben. Parkplätze gibt es kaum noch in der Innenstadt und die Infrastruktur öffentlicher Verkehrsmittel wurde nicht nur extrem verbessert, sondern auch noch preisattraktiv gestaltet.
Besonders interessant finde ich, dass die niederländische, kleine Stadt Houten als Modellstadt zählt. Das Stadtzentrum ist schon sehr lange autofrei und Radfahrer haben stets Vorrang. Das hat eine große Umfahrungsstraße möglich gemacht.
In jedem Bericht, welchen ich über die oben genannten „autofreien“ Innenstädte gelesen habe, sprach man von Widerstand. Die Veränderungen fanden meist schleichend und nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt statt.
Anzahl Personenkraftwagen auf dt. Straßen
Das Kraftfahrt-Bundesamt hat zum 01.01.2022 im Vgl. zum VJ 59,6 Mio. zugelassene Kraft-Fahrzeuge in Deutschland verzeichnet. Personenkraftwagen (PKW) verzeichnet ein Plus von 0,6 %, was 292.294 PKWs entspricht.
Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen mit 12,4 Mio. (+1,0 %), Bayern mit rund 10,6 Mio. und Baden-Württemberg mit rund 8,4 Mio. (+0,9 %) haben den größten Zuwachs.
Fazit
Alle sprechen über Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz insbesondere im Bereich Verkehr und Mobilität, aber die Anzahl der aktiv Handelnden ist weitaus geringer. Das brisante Thema der Klimaziele führt zu endlosen Gesprächen, Tagungen und Sitzungen sowohl in Wirtschaft, Gesellschaft als auch der Politik. Final wird es nicht möglich sein, sich einheitlich auf ein Konzept zu einigen, da Betroffene unterschiedliche Meinungen haben und auch unterschiedliche Ziele verfolgen.
Um die Erderwärmung und deren fatalen Folgen einzudämmen, ist ein verändertes Mobilitätsverhalten, aus meiner Sicht, einer von mehreren wichtigen Bausteinen. Alles andere sehe ich als alternativlos an!
Autofreie, einzelne Innenstadtteile würden einen ersten Schritt in die richtige Richtung bedeuten. Dies bedarf allerdings einer flächendeckenden Infrastruktur öffentlicher und sonstiger Verkehrsmittel wie E-Roller, E-Bikes oder beispielsweise E-Taxis. Darüber hinaus brauchen wir zusätzliche und breitere Radfahr- und Fußgängerwege.
Auch eine Studie über Statista belegt, dass rund 2/3 der Befragten sich autofreie Innenstädte in Deutschland vorstellen können. 38 % der Befragten allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Infrastruktur der öffentlichen Verkehrsmittel ausgeweitet werden.
Das Thema autofreie Innenstadt wird seit langem diskutiert, ist hoch spannend, sehr sensibel und oft prallen „Vorstellungs-Welten“ aufeinander. Anfang 2023 bin ich zum Thema autofreie Innenstädte bei einem Verband eingeladen, um aktiv an den Diskussionen teilnehmen zu können. Ich freue mich darauf und berichte im Nachgang!
Haben Sie Ergänzungen, weitere Ideen oder sonstiges, wenden Sie sich gerne an mich über LinkedIn oder meine Homepage unter . Ich freue mich auf Sie.
Trackbacks & Pingbacks
[…] das Thema „Gründe einer autofreien Innenstadt“ habe ich Ihnen bereits einen Beitrag vor geraumer Zeit zur Verfügung gestellt. Heute habe […]
Ihr Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlassen Sie gern einen Kommentar!