Sprachassistenten: Wird Amazon auch hier absolut herrschen?
In der Welt der Ökosysteme und Plattformen herrscht heutzutage ein Gleichstand, der von Apple, Google, Facebook und Amazon bewahrt wird. In der letzten Zeit stieß noch Microsoft hinzu.
Alle genannten Firmen bieten mehr oder weniger ähnliche Leistungen an, Medienverkauf und Ausleihe, Synchronisation von verschiedenen Devices über Cloud-Dienste, App-Stores und Endgeräte, die nur mit dem jeweiligen Dienst funktionieren. Die erfolgreichen Features eines Ökosystems werden relativ schnell von der Konkurrenz übernommen.
Sprachassistenten auf dem Vormarsch
Ein recht neues Feature der unterschiedlichen Plattformen ist ein sogenannter „Personal Assistant“, der sprachgesteuert ist und unterschiedliche Aufgaben erledigen soll. Auch hier ähneln sich „Google“, „Siri“, „Cortana“ und „Alexa“. Man kann Wecker stellen (das Feature für die meisten Nutzer), eine Adresse in das Navigationssystem eingeben (ein Killerfeature für die Moskauer Taxifahrer), Wetter abfragen und Medien abspielen lassen.
Bisher verfügen diese Sprachassistenten über diese mehr oder weniger nützlichen Gimmicks, denen jedoch ein wirklicher Use-Case fehlt, denn bis heute unterhalten sich Nutzer in der Öffentlichkeit noch selten mit ihrem Smartphone. Zu Hause ist das eher der Fall. Man kann inzwischen mit entsprechendem Aufwand das Haus derart vernetzen, dass man mit dem Sprachassistenten die Heizung und das Licht regulieren kann. Amazon reagierte und brachte mit „Echo“ und „Echo Dot“ stationäre Geräte heraus, auf denen der Sprachassistent „Alexa“ installiert ist. Andere Plattformen möchten nachziehen, Apple mit Home-Kit und Google mit Google Home.
Siri geht nicht einkaufen…
Doch es gibt eine einfache Frage, die nur einer der Assistenten beantworten kann: „Siri, kannst Du Milch, Eier und Mehl besorgen?“ Siri quittiert mit „Das kann ich nicht“. Lediglich Alexa in Verbindung mit Amazon Prime Now führt die Bestellung aus, in einigen Ballungszentren sogar innerhalb von zwei Stunden.
Diese Fähigkeit, die von anderen Assistenten nicht erfüllt werden kann, könnte Amazon zu der beherrschenden Plattform der Zukunft machen, neben der selbst die Marktmacht von Google und Facebook sehr bescheiden aussehen werden. Warum könnten die Lebensmittel- und Drogerielieferungen mit Alexa den Durchbruch bedeuten, der den stationären Supermärkten ähnlich gefährlich werden könnte, wie Web2.0 den Journalisten?
Lebensmitteleinkauf über das Web ist zwar heute schon möglich, aber recht umständlich. Man ist beim Kühlschrank-Inspizieren nicht am Computer und muss dann die Produkte, die man möchte, umständlich in die Bestellformulare eintragen. Vor dem Kühlschrank sitzend und am Handy dutzende Varianten von Milch durch scrollen ist auch nicht jedermanns Sache.
Ebenfalls scheitern die Ansätze, dass man regelmäßig einen festgelegten Korb an Lebensmitteln geliefert bekommt. Zum Einen ist man nicht immer zu Haus, zum Anderen möchte man auch variieren.
…Alexa schon
All das ist möglich mit Alexa: Vorm Kühlschrank sitzend bestellt man die frischen Produkte, aus dem Bad bestellt man die Drogerieartikel, kurze Überprüfung der Bestellung und innerhalb von zwei Stunden klingelt es an der Tür und man bekommt die Waren geliefert.
Kein Schleppen von Tüten, keine Suche nach Produkten in den Regalen, kein Stau vor der Ein- oder Ausfahrt, keine Schlange an der Kasse, keine Einkaufsbeschränkungen durch Öffnungszeiten.
Sollte diese Form des Einkaufens sich ähnlich schnell durchsetzen wie die Smartphone-Verbreitung, dann wird es Auswirkungen geben, die die der Smartphone-Revolution in den Schatten stellen werden. Schauen wir uns einige Implikationen an:
- Niedergang der meisten Lebensmittel- und Drogerieartikelmarken: Wenn der Nutzer Milch bestellt, dann sagt er normalerweise nicht, welche Marke er haben möchte. Höchstens der Fettgehalt oder das Attribut Bio spielen eine Rolle. Nur die wenigsten werden explizit Landliebe, Ehrmann oder andere Molkerei angeben. Dasselbe gilt für praktisch alle Produkte. Amazon wird auswählen, von wem die Standard-Milch kommen wird. Das wird zu Monopolbildung beitragen, die Produktvielfalt wird sich entscheidend reduzieren.
- Sonderangebote werden verschwinden: Wie man schon an Amazon Dash-Buttons sehen kann, spielt es keine Rolle mehr, ob Waschpulver billiger ist. Es wird immer dieselbe Marke nachbestellt, sobald der Nutzer den Knopf drückt. Auch ist es schwierig, die Sonderangebote zu kommunizieren. Es sei denn, Alexa könnte eine Liste von Sonderangeboten vorlesen, aus denen man dann auswählen kann.
- Die existierenden Supermärkte werden durch Lieferlager ersetzt: Wie genau Lieferungen passieren, wie viele Lageristen und Fahrer eingesetzt werden, wird sich im Zuge des Ausbaus der Automatisierung sicherlich ändern, eher zu Ungunsten der menschlichen Arbeitskraft.
- Die Menge des Bargeldes wird abnehmen: Bargeldzahlungen sind gerade im Bereich des Lebensmitteleinkaufs beliebt. Sie werden wegfallen, was wiederum Auswirkungen auf den Bankbereich haben wird.
- Die verbleibenden Läden werden sich auf die Innenstädte konzentrieren: Hier geht es zum Beispiel darum, Reisende mit Lebensmitteln zu versorgen oder spezialisierte Nischen zu besetzen wie das KDW, Galerie La Fayette oder Dallmayr. Auch der Lebensmitteleinkauf wird zum Erlebnis.
- Das Strassenbild wird sich ändern: Sollten Roboterfahrzeuge unterschiedlicher Größe die Waren liefern, müssen die Strassen und Wege entsprechend angepasst werden. An massenhafte Drohnenliefungen glaube ich nicht, da zu viele Geräusche entstehen und es visuell zu störend sein würde. Doch für die Roboterfahrzeuge würde es Sinn machen, Sonderspuren oder gar Strassen oder Tunnel einzurichten, die exklusiv von solchen Fahrzeugen befahren werden dürfen.
Was es für Deutschland bedeutet
Ist Deutschland auf diese Veränderungen vorbereitet? Ein klares „Nein“.
Es gibt keine Firma in Deutschland oder in Europa, die die gesamte Kette angefangen vom sprachgesteuertem Assistenten über die Verarbeitung in der Cloud mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) über die Logistik zur Auslieferung von Lebensmitteln innerhalb von wenigen Stunden hin bekommt. Die großen Lebensmittelhändler wie zum Beispiel Rewe haben zwar Online-Plattformen zur Lebensmittellieferung, aber wie schon beschrieben, ist der Bestellvorgang recht kompliziert.
Selbst wenn es dem Lebensmittelhandel gelingen würde, einen Sprachassistenten entwickeln zu lassen, zum Beispiel bei der Deutschen Telekom, muss der Assistent auch die Heimautomation beherrschen, um der Amazon Plattform überlegen zu sein. Darüber hinaus müsste er alle Features aufweisen, die die heutigen Cloud-Plattformen zur Verfügung stellen, denn das kann Alexa auch schon.
Und es muss schnell geschehen, denn hier gilt der Grundsatz der Internet-Plattformen: „The winner takes it all“. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Nutzer zwei unterschiedliche Assistenten bei sich zu Hause stehen hat, selbst wenn sie verschenkt werden. Und Amazon hat schon einen Vorsprung, der kaum aufzuholen ist.
Was der Handel tun kann
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der deutsche Handel reagieren kann:
- Zusammenschluss mit anderen Ökosystemen, wie zum Beispiel Apple. Wenn über Siri Milch bestellt wird, dann liefert zum Beispiel Rewe. Es ist unwahrscheinlich, dass Betreiber von digitalen Plattformen wie Google oder Apple in kurzer Zeit eigene Lieferstrukturen aufziehen werden, deswegen werden sie Partner brauchen. Doch die Anzahl der Ökosystemen ist beschränkt, es ist Platz für höchstens drei bis vier Partner.
- Regulierung beim Zugang zum digitalen Assistenten: Der Nutzer soll auswählen können, von wem er beliefert werden möchte. „Immer die Deutschen mit ihrer Regulierung“ höre ich schon die Klagen. In dem Fall muss die Regulierung so schnell wie möglich vollzogen werden, denn der Regulierungsprozess braucht Zeit und wenn die Politik erst in zwei bis drei Jahren sieht, was für eine Marktmacht da entstanden ist und dann erst mit Regulierung anfängt, ist es zu spät. Die deutsche Supermarktlandschaft ist dann bereits irreparabel beschädigt.Nur auf diese Art und Weise können auch zum Beispiel regionale Bioläden erhalten bleiben, die dann den Nutzer im Umkreis mit hochwertigen und umweltfreundlichen Produkten beliefern. Was in diesem Fall geschehen muss, ist ein offener Standard und eine Schnittstelle zu den „Personal Assistants“ (von denen es dann einige geben dürfte), so dass die Lieferanten ihre Systeme anpassen können, es muss also ein Online-Shop für „Personal Assistants“ eingerichtet werden.
Im Gegensatz zu autonomen Fahrzeugen, von denen so oft die Rede ist, sind Lebensmittellieferungen mit Hilfe von Sprachassistenten schon heute möglich. Schätzungsweise hat Amazon Prime Now in München schon 40 bis 50 Mio. EUR umgesetzt, „Echo“ und „Echo Dot“ kommen jetzt in den deutschen Handel. Die Bestellung erfolgt derzeit noch auf Einladung und es dauert schon aufgrund der hohen Nachfrage mehrere Wochen, bis man die Einladung überhaupt bekommt. Amazon Fresh wird 2017 in Deutschland starten.
Verschläft Deutschland wieder einen Trend?
Es ist ein Multi-Milliardenmarkt, der sich gerade disruptiv ändert. Wenn Amazon alleine diesen Markt für sich einnimmt, weil es der einzige Spieler ist, der in der Lage ist, es überhaupt zu tun, wird Deutschland sich vorwerfen lassen müssen, schon wieder eine digitale Revolution verschlafen zu haben.
Wenn man einen Blick in die Zukunft wirft, dann ist der nächste logische Schritt, „Echo“ mit einem Bildschirm und einer Kamera zu verknüpfen. Dann ist der Textilhandel dran, wenn die Kleidung auf das Kamerabild mittels Augmented Reality überlagert wird und man sie virtuell anziehen kann, ohne das Haus zu verlassen. Dies ist viel intuitiver als durch Online-Shop Seiten zu scrollen und zu überlegen, was einem passen könnte. Zalando, hört ihr die Signale?
Über den Autor: Anton Klotz gründete zwei StartUps, eines davon, spar-radar.com, ist im mobilen Umfeld angesiedelt. Hauptberuflich beschäftigt er sich mit Mikroelektronik und ist heute University Program Manager bei Cadence Design Systems. Weitere Interessen sind Osteuropa, schräge Musik und schlaue Bücher über die Welt(un)ordnung.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf mobile zeitgeist.
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